Ein gerapter Kommentar zur Musikindustrie

Rap gehört zu den wenigen Musikrichtungen, bei denen fast alles vom Text abhängt. Jedenfalls früher und jedenfalls beim deutschsprachigen Rap. Tatsächlich verdanken Bands wie die "Fantastischen Vier" oder "Fettes Brot" ihren Einstieg in den "kulturellen Mainstream" der Qualität ihrer Texte. Im Rap gab es etwas, was im Deutschland der Nach-Kohl-Ära eher selten ist: Lieder mit sozialkritischen Texten und kommerziellem Erfolg. (Bekanntes Beispiel: "Weck Mich ..." von Sammy De Luxe.)

Seit einiger Zeit sieht das anders aus. Irgendwie habe ich den Verdacht, dass deutschsprachiger Rap am Ende ist. Dass Möchtegern-Gangster-Rapper mit primitiven und oft hasserfüllten Texten die Charts dominieren. Wobei ich mich oft frage, was mich mehr ankotzt: der angeblich "authentische" Hass auf Schwule, Juden und andere Minderheiten, die ebenso "authentische" Frauenfeindlichkeit - oder doch das garantiert authentische Interesse am großen Abkassieren. Okay, ist bestimmt auch ein Generationenproblem, und Martin Reichert von der "taz" hat sicher auch recht, wenn er schreibt:
Doch unterdessen hat sich unter deutschen Jugendlichen ein Klima entwickelt, das Menschen, die sich dem Mittelschichts-Verdikt der Political Correctness verpflichtet fühlen, den Atem nimmt: Die Jugend von heute, gleich welcher sozialen Herkunft, macht Witze über Juden, Schwule und "Blondinen", also frauenfeindliche Witze. Im wesentlichen ist sie also genauso beschaffen, wie die Jugend von gestern: Sie möchte sich von der älteren Generation abgrenzen und springt daher auf deren Nervenkostüm herum, wie auf einem Trampolin.
Rap gegen Homos - Tourette-Selbsthilfegruppe im Tonstudio

Aber irgendwie fällt es doch auf: Warum setzten die sonst eher konservativen Major-Labels seit einer Weile auf Aggro-Rap? Klar, das Zeugs verkauft sich gut, aber irgendwie fällt schon auf, dass das "Wertesystem" der Aggro-Rapper voll kompatibel zu einen unverhüllt egoistischen und sozialdarwinistischen Brutal-Kapitalismus ist, der in linken Kreisen gerne (und meist zu Unrecht) "Neoliberalismus" genannt wird. Besonders massiv fällt das bei dem stark gehypten Rapper "Massiv" auf. Warum?

Eine mögliche Antwort, passenderweise in gut anhörbaren Rap gegossen, gibt die Band "Pan" - MASSIV Gegendarstellung".


Die wahre Geschichte von "Massiv", der angeblichen "deutschen Antwort auf 50 Cent". Mag sein, dass der Brückenschlag vom Medienkonzern Sony-BMG (BMG steht für "Bertelsmann Music Group) zur Bertelsmann-Stiftung etwas gewagt ist, mag sein, dass Pan den Einfluss dieses "Think Tanks" auf politische Entscheidungen überschätzt - aber wie sie selber rappen: "das ist keine Verschwörungstheorie". Es geht nicht darum, die "Bertelsmänner" als finstere Drahtzieher im Hintergrund zu zeigen, sondern um ein System gegenseitiger Abhängigkeiten, das etwa so transparent wie Milchglas ist, und in dem Demokratie, Liberalismus oder soziale Marktwirtschaft nicht viel mehr als Worthülsen sind.

Immerhin zeigt die Beliebtheit des "Pan"-Videos (in etwa zwei Wochen 75000 mal angesehen und etwa 1000 mal kommentiert), was "wir" machen können: Selber machen! Ohne die mediale Großindustrie. Heute haben wir, anders als noch vor 15 Jahren, die Mittel dazu.

(Gefunden bei zappi: Massiv Kritik und die Bertelsmänner)
MMarheinecke - 22. Feb, 10:50

Zusatzinfo: wie ich die "Bertelsmann-Stiftung" sehe

Viele aus bürgerrechtlicher oder bzw. und sozialstaatlicher Sicht problematische Entscheidungen (z. B. die Hartz-Reformen) werden gefällt, weil unsere Eliten in Interessen verflochten sind. Das gilt auch für Privatisierung “auf Teufel komm raus” oder ökonomisch wenig plausible Steuerbefreiungen. Es handelt sich m. E. nicht um eine Verschwörung, sondern um ein System der Korruption, in der eine Hand die Andere wäscht - einen “Klüngel”. Die Interessenverflechtung, die Vernetzung, funktioniert nicht ohne "Treffpunkte", "Foren", "Medien" oder "spezielle Drähte". Die Bertelsmann-Stiftung ist - unter anderem - Serviceagentur für Klügelbildung.
Drahtzieher ist sie eher nicht. Die Korruption, der tiefe Filz, werden von blankem (Gruppen-)Egoismus angetrieben. Und von Angst. Sie haben Angst, unsere Mächtigen, und sie werden von fast den selben Ängsten getrieben, wie einst die Mächtigen in der DDR: Angst vor "dem Volk", Angst vor Veränderung, Angst vor Kontrollverlust, Angst vor der Zukunft.

distelfliege - 22. Feb, 13:15

meine kleine Rap anekdote..

Ich zum Sohn von einem Kollegen: "Ich kann mit Rap nichts anfangen."
(ich meine den Musikstil an sich)
Sohn vom Kollegen, zu mir: "Die sind auch alle so frauenverachtend, da wär es ja komisch wenn du das gut fändest als Frau."

Aha, dachte ich. Dabei hatte ich echt den Musikstil gemeint, der liegt mir einfach nicht. Also ist es doch schon weiter gekommen als mir bewusst war?

MMarheinecke - 22. Feb, 22:37

Die Frauenfeindlichkeit ist schon seit Jahren "eingebaut"

Der amerikanische "Ghetto" bzw."Gangsta"-Rap strotzte von Anfang an vor Macho-Klischees. Und weil der deutsche Aggro-Rap eine schlechte Kopie des Gangsta-Raps ist, gehören Frauenfeindlichkeit und Schwulenhass zum Programm. Nur, dass es jahrelang niemanden kümmerte. War ja nur eine Unterschicht-Subkultur ...
Köppnick - 23. Feb, 10:02

Sehr guter Beitrag

Dass es Interessengruppen gibt, die im Hintergrund wirken und die nicht demokratisch legitimiert sind, ist bis zu einem gewissen Grad normal, da sich Menschen immer organisieren, um ihre Interessen besser gegenüber anderen durchzusetzen. An Bertelsmann hatte ich bisher weniger gedacht, eher an die INSM. Als ich soeben auf ihre Homepage gesehen habe, ist mir fast die Kaffeetasse aus der Hand gefallen: Oswald Metzger ist da zu sehen.

Zu den Mauscheleien im Hintergrund, zwei Fragen, die mich gerade beschäftigen: Warum sind die ersten Durchsuchungen gerade bei Zumwinkel durchgeführt worden und warum gibt es so bemerkenswert wenige Selbstanzeigen der Steuerhinterzieher (nach Aussage der Polizei)?

Londo (Gast) - 24. Feb, 21:06

Auch ich habe im Bereich des Rap..

...schon seit Jahren einen textlichen Niedergang festgestellt. In den Achtzigern zur Zeit von Grandmaster Flash & The Furious Five sowie von Run DMC (die sogar Genregrenzen übersprangen ("Rock This Way"), und dafür z.T. von ein paar anderen Rappern angefeindet wurden) ist der heutige sog. "Gangstarap" in meinen Augen menschenverachtende Müllmusik. Aus diesem Grunde höre ich so gut wie keinen Rap mehr.

Die Frauen- und Schwulenfeindlichkeit des Rap haben Fettes Brot vor ein paar Jahren satirisch thematisiert in dem Song "Schwule Mädchen". Insofern ist dein obiges Lob gerechtfertigt. Auch die Fanta 4 waren früher teilweise recht gut. Aber insgesamt stelle ich im Rap und im damit verbundenen HipHop auch rein musikalisch gesehen Stagnation fest.

Selber machen ist eine gute Idee. Allerdings würde ich dann keinen Rap machen, sondern lieber andere Musik, wie etwa Metal. Dort gibt es noch Innovation. In Finnland hat Metal bereits die Mitte der Gesellschaft erreicht, insofern wünsche ich mir eine "Finnlandisierung Europas" :)

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