Die "Konvertitendatei" und das gezielte Missverständnis

Ich hatte mich schon gewundert, was den Bosbach geritten haben muss, als er eine (offen grundgesetzwidrige) "Konvertitendatei" forderte. Er ist zwar ein Politiker, dem ich durchaus eine Vorliebe für “hartes Durchgreifen” und auch einige Forderungen hart am Rande des Grundgesetzes zutraue, aber für einen Dummschwätzer, der sich frei nach dem "Eva-Prinzip" um Kopf und Kragen redet, halte ich ihn nicht. Nun sieht es so aus, als hätte ihn gar nichts geritten, sondern ihn jemand beim Bayrischen Rundfunk “gezielt missverstanden” - also nicht "nur" ein Zitat verfälscht wiedergegeben, sondern ihm das eigentliche Reizwort einfach in den Mund gelegt. Laut diesem Artikel der FTD war war Bosbach vom BR mit den Worten zitiert worden:
"Ein Konvertiten-Register ist sinnvoll, denn wir wissen, dass sich einige nach dem Übertritt radikalisieren lassen. Das ist kein Generalverdacht, sondern eine Gefahrenabwehr."
Laut Mitschrift sagte er in Wirklichkeit:
Es treten zum Beispiel viele über, weil sie einen Ehegatten muslimischen Glaubens geheiratet haben, und man will jetzt eine gemeinsame Konfession haben. Wir wissen von einigen, nicht einmal von allen, vielleicht nicht einmal von der Mehrzahl, dass sie danach bewusst Kontakt suchen zur radikalen, auch gewaltbereiten Islamisten-Szene und sich dort radikalisieren lassen. Dann würden wir gerne wissen, wer das ist. Das hat nichts mit einem Generalverdacht zu tun, sondern mit Gefahrenabwehr.
Was zwar immer noch einigen Zündstoff für die Überwachungs-Debatte enthält - aber woraus sich keine "Islamophobie" oder Kreuzzugs-Mentalität Bosbachs ableiten ließe.

Und wenn so etwas vorkommen kann, frage ich mich unwillkürlich, wer so alles noch “falsch zitiert” oder “missverstanden” wurde.

Wieso sich die "Ente" so lange halten konnte, ist leider klar: es gab seitens verschiedener Unionspolitiker in den letzten Wochen mehrere Zitate, die einem Bürgerrechtler die Socken ausziehen. Zwei Beispiele: CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla tritt wirklich dafür ein, dass Kruzifixe in allen Schulen und Gerichten angebracht werden können. (Was klar mit dem "Kruzifix-Urteil" der Bundesverfassungsgerichts kollidiert.) Das Interview mit der FAS ist authorisiert.
Es stimmt leider auch, dass im Strategiepapier "Moderner bürgerlicher Konservatismus" tatsächlich diese geschichtklitternde Formulierung steht:
Die aus dem christlichen Menschenbild entstandenen Menschenrechte sind universell gültig und dürfen nicht in Frage gestellt werden.
(Die universellen Menschenrechte gingen eben nicht aus dem christlichen Menschenbild hervor, sondern aus dem weltlich-humanistischen Menschenbild der Aufklärung. Sie mussten gegen eine sich auf das christliche Menschenbild berufende Obrigkeitherrschaft erst durchgesetzt werden. Das heißt nicht, dass dass christliche Menschenbild notwendigerweise "menschenrechtswidrig" sei. Aber ein christliches Menschenbild, dass ja immer auch z. B. die Erbsünde und die Verdammnis der Ungläubigen enthält, reicht zur Begründung der Menschenrechte nicht hin.)
Jedenfalls wirkt der bekannte, auch im Strategiepapier zitierte Satz:
Rechts von der Union darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.
wenn man ihm im Kontext dieses Papiers liest, so wie:
Rechts von der Union kann es keine demokratisch legitimierte Partei geben.
(Via: B.L.O.G. und Sven .)
Gregor Keuschnig - 13. Sep, 21:23

Bosbach

Wie kann man denn das hier interpretieren (ab 02:55)? Bosbach nimmt hier Bezug auf Becksteins Vorschlag zum Konvertitenregister und stimmt diesem zu.

Ich halte Bosbachs Rückzieher für ein übles Manöver. Er will nicht eingestehen, dass er einen Fehler gemacht hat, sondern spricht von einem "Missverständnis".

Am Rande: Das Kruzifix-Urteil wird praktisch seit seiner Verkündung systematisch gebrochen. Merkwürdigerweise findet sich kein Kläger gegen Kruzifixe bspw. in Gerichtsräumen oder Schulen.

MMarheinecke - 13. Sep, 22:41

Bosbachs Rückzieher ist peinlich - trotzdem: die BR-Meldung ist problematisch

Er steckt ja auch einem für Politiker, die sich mit markigen Sprüchen profilieren wollen, typischen Dilemma: wenn er sich eingesteht, einen Fehler gemacht zu haben, distanziert er sich damit von Beckstein und macht sich bei der CSU und dem rechten Flügel der CDU, bei denen "der harte Backstein" beliebt ist, unbeliebt. Mein Mitleid hält sich in Grenzen.
Was mich beunruhigt hat, ist, dass der BR tatsächlich eine verfälschenden Meldung über Bosbachs Äußerung gemacht hat - und das diese Meldung und nicht etwa das Originalzitat in der medialen Öffentlichkeit (einschließlich Blogs) Kreise zog.
Deshalb habe ich mir auch zwei problematische Äußerungen von Unionspolitikern herausgesucht, die "wasserdicht" sind.

Es gibt zwei Dinge, die mich an dem Vorfall beunruhigen. Einerseits, dass es in der CDU/CSU eine ganze Reihe wichtige Politiker gibt, die das Grundgesetz offensichtlich zur Disposition stellen, den "Präventionsstaat" dem "Rechtsstaat" anscheinend vorziehen, und sich im ideologischen Raster eines "Kampfes der Zivilisationen" zwischen dem christlichen Abendland und seinen Feinden bewegen.

Anderseits, dass verfälschte, "aufgesexte", Meldungen selbst im öffentlich-rechtlichen Medien nicht selten sind, und dass sie, ungeprüft und unhinterfragt, übernommen werden und so die öffentliche Meinung stark beeinflussen. Was ich auch selbstkritisch sehe: ich habe als Blogger zwar nur beschränkte Recherchemöglichkeiten, aber wenn ich eine Meldung, nur weil sie mein Weltbild passt, völlig unhinterfragt übernehme, handele ich fahrlässig.
Gregor Keuschnig - 14. Sep, 11:58

ich glaube, dass sich CDU/CSU in dieser Situation dem Stammtisch nicht nur anbiedern, sondern ihn bestimmen wollten (die viel beschworene Lufthoheit). Mit den Ängsten von Leuten - seien sie noch so irrational - lässt sich prima Politik machen. Die "Sozen" müssen da erst einmal mithalten. Das hat m. E. dazu geführt, dass, immer wenn die SPD an der Regierungsverantwortung war, die Daumenschrauben noch viel stärker angesetzt wurden, weil man sich als "Musterschüler" präsentieren wollte. Ich möchte damit die (letztlich unbelegbare) These wagen: Die Diskussion hin zum "Präventionsstaat" wäre unter dem SPD-Innenminsiter (Schily oder nicht) mindestens ähnlich. Vielleicht hätte das Ministerium dann ein professionelleres Marketing, d. h. es würde nicht diese Kakophonie herrschen. Unter Umständen ist diese aber durchaus gewollt, um die Schmerzgrenzen in der öffentlichen Meinung auszuloten.

Ein Konvertitenregister wäre (abgesehen von der Undurchführbarkeit) grundgesetzwidrig gewesen. Das an sich hätte aber die Politik nicht gestört. Erst als innerhalb der CDU-Fraktion die Gegenstimmen auftauchten, hat man es zurückgezogen. Aber es hat seinen "Sinn" erfüllt: Die CDU (und CSU) stehen vor den Stammtischbrüdern als "Macher" da. Und es kann jederzeit wieder aus dem Hut gezaubert werden.

Zu den "aufgesexten" Meldungen: Es ist (leider) üblich, dass auch Blogger oft genug darauf 'reinfallen. Warum? Weil sie viel zu schnell auf diese Affekte reagieren. Das mit den eingeschränkten Recherchemöglichkeiten stimmt zwar, aber man könnte ja (nur mal so als Vorschlag) nur sicher belegte Sachverhalte entsprechend kommentieren. Das erlebt man selten. Meist stürzen sich die Blogger dann auch (je nach Meinungsbild) auf das, was ihnen gerade in den Kram passt. Die Erfahrung habe ich übrigens gelegentlich selber gemacht. Man sollte, man muss, daraus lernen.

Viel schlimmer ist allerdings der gelegentlich primitive Alarmismus der "seriösen" Medien. Oft genug wird nur noch von der Agenturmeldung abgeschrieben. Dann erst geprüft. Wie im Wilden Westen. Da wurde auch erst geschossen und dann gefragt.

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