Im September vor 40 Jahren begann die Zukunft

jedenfalls im Fernsehen. Im Abstand von nur neun Tagen "starteten" die Raumschiffe "Enterprise" (8. September 1966) und "Orion VII" (17. September 1966). Die Fernsehserien "Star Trek" ("Raumschiff Enterprise") und "Raumpatrouille" genießen nicht nur bei Science Fiction-Fans noch heute "Kultcharakter".

Dieser anhaltende Ruhm ist schwerlich durch den Charme veralteter Trickaufnahmen und erkennbar aus Sperrholz, Styropor und Pappmaché bestehender Sets zu erklären. (Obwohl das mühelos als solches erkennbare Bügeleisen auf dem Leitpult der "Orion" das vermutlich meistbelächelte Requisit der deutschen Fernsehgeschichte sein dürfte.) Es ist vielmehr das Konzept dieser beiden Serien, die ihre nachhaltige Wirkung auch auf nachfolgende Generationen bewirkte. Die meisten heutigen "Enterprise" und "Orion"-Fans waren zur Zeit der Erstsendung noch nicht einmal geboren.

Was die beiden Serien von fast allen anderen Sci-Fi-Fernsehserien bis in die 1990er unterschied, war die "utopische" Idee hinter der abenteuerlichen Handlung - das Konzept einer zukünftigen Gesellschaft, die sich wesendlich von der Heutigen unterscheidet. Die meisten Sci-Fi-Produktionen beschränken sich auf technische Neuerungen und äußere Faktoren (Invasoren aus dem All, globale Katastrophen usw.), die Gesellschaft bleibt ansonsten die der Produktionszeit.
Allerdings waren die beiden Serien in dieser Hinsicht Pionierleistungen, die aus heutiger Sicht nicht immer überzeugen.

Die Zukunftswelt von "Star Trek" ist in der Originalserie ein grob skizzierter, aber deutlich durchscheinendes, Hintergrund: Die Episoden spielen in einer utopischen Zukunft, in der die Menschheit als globale Einheit die gängigen Probleme wie Rassismus, Intoleranz, soziale Ungleichheit und Krieg überwunden hat. Die Existenz eines Weltstaates wird angedeutet (dieser Konzept wurde erst in den nachfolgenden Serien und Filmen näher beleuchtet). Die Menschheit hat sich mit vielen außerirdischen Zivilisationen zur "United Federation of Planets" (UFP, mit einem dem UN-Emblem nicht unähnlichen Logo) verbündet. Obwohl die UFP mit der Sternenflotte eine militärische Organisation herausgebildet hat, ist deren Hauptfunktion die friedliche Erforschung fremder Welten und Zivilisationen.

Die Besatzung der "USS Enterprise" NCC 1701 ("No bloody A, B, C or D!")besteht aus Menschen verschiedener Nationen und einige Außerirdischen. Dies war zur Entstehungszeit der Serie sehr ungewöhnlich, da die politischen Verhältnisse in den damaligen USA immer noch stark durch Rassismus und den Kalten Krieg geprägt waren - und die Verhältnisse im Fernsehen durch eine rigorose Selbstzensur, die gesellschaftskritische oder tabuverletzende Inhalte nicht zuließ.
Tatsächlich versuchte der geistige Vater der Serie, Gene Rodenberry, in der Tarnung eines "Weltraum-Westerns" Elemente in das Fernsehprogramm zu bringen, die ansonsten einfach nicht "gingen". Außerdem war die Serie von Anfang an ein Magnet für z. T. sehr prominente Science Fiction-Autoren, die den hohen Standard ihrer Romane und Kurzgeschichte auch bei den Drehbüchern wahrten. (Es gibt allerdings auch einige Star Trek-Folgen, deren Drehbücher man hätte gründlich bearbeiten sollen - mit dem Papierschredder.)
"Star Trek" war die erste "echte" Science Fiction Serie mit fortlaufender Handlung der Fernsehgeschichte.
Allerdings mußten auch Kompromisse gemacht werden. So war die stets nur "Nummer 1" genannte energische und kompetente Erste Offizierin des Pilotfilmes in der Serie nicht durchsetzbar - es war schwer genug, den "satanisch" aussehenden Spock zu halten. Aus heutige Sicht wirkt die Darstellung von Frauen und Minderheiten etwas altmodisch - für die 1960er Jahre war das Programm fortschrittlich und gewagt. Legendär ist z. B. der erste Fernsehkuss zwischen einem weißen und einem schwarzen Charakter in den Vereinigten Staaten - in einige US-Bundesstaaten wurde diese Folge boykottiert.

Die utopische Welt der "Raumpatrouille" ist, laut Vorspanntext, der von "Star Trek" nicht unähnlich: "Es gibt keine Nationalstaaten mehr. Es gibt nur noch die Menschheit - und ihre Kolonien im Weltraum. Man siedelt auf fernen Sternen. Der Meeresboden ist als Wohnraum erschlossen. Mit heute noch unvorstellbaren Geschwindigkeiten durcheilen Raumschiffe unser Milchstraßensystem." Die aus nur sieben einstündigen Folgen bestehende Serie wird diesem utopische Anspruch allerdings nicht gerecht: Nicht nur, dass das Hauptthema - der Kampf gegen aggressive Außerirdische, die Frogs - wirklich ein alter Hut war, die militärische-autoritären Strukturen, die immer wieder durchscheinen, dürften schon 1966 ziemlich "altmodisch" gewesen sein. Im Dialog wird sehr viel gebrüllt, heruntergeputzt, hysterisch geschrien, was bei den durchweg erfahrenen Schauspielern wohl nicht dem Overacting, sondern den Dialogautoren geschuldet ist. Alles in allem entsteht statt dem Bild eines friedlichen Utopias das einer Streitmacht mit "defekter" innerer Führung, mit autoritären Vorgesetzten, intringaten Stabsoffizieren und nur widerstrebend gehochenden Frontsoldaten. Den meisten Flottenangehörigen liegen die Nerven sichtlich blank, von der professionellen Coolness eines Captain Kirk oder gar eines Spocks ist da nichts zu spüren. Auch die Erdregierung besteht - wie die Flottenführung - offensichtlich aus zynischen Machttaktikern. Unklar bleibt auch, wozu die gewaltige Raumflotte vor dem Erscheinen der Frogs gebraucht wurde, wie auch die Invasions-Motive einer Spezies, die gar nicht auf der Erde leben könnte, unklar bleiben. Sie sind einfach a) durch und durch bösartig und b) technisch weit überlegen.
Meiner Ansicht nach wirken in allen diesen Punkten Erfahrungen aus dem 2. Weltkrieg nach, die allerdings zu wenig reflektiert wurden. Bewußt "militaristisch" oder gar "faschistoid" ist die Serie nicht, dagegen sprechen schon die häufigen (sehr plakativen) pazifistischen Aussagen. Addiert man noch die völlig Ignoranz gegenüber psysikalischen und astronomischen Gegenbenheiten und das besonders absurd geratene "Technobabble" ("Rücksturz zur Erde") hinzu, fällt "Raumpatrouille" gegenüber "Star Trek" ganz gewaltig ab.
Allerdings - zwei der Folgen, bezeichnenderweise jene, in der die bösen Frogs gar nicht agieren, könnten inhaltlich ohne weiteres in "Star Trek" bestehen: "Hüter des Gesetzes" (Thema sind die asimovschen Robotgesetze bzw. ihre problematischen Auswirkungen bei "unlogischem" menschlichen Verhalten) und und "Kampf um die Sonne" (in der ein ehemaliger Kolonialplanet. auf dem sich eine matriarchalische Gesellschaft entwickelt hat, im Mittelpunkt steht). Gerade letztere Folge zeigt einen unerwarteten "Vorsprung" gegenüber der originale "Star Trek-Serie": Das Frauenbild in "Raumpatrouille" weitaus "moderner" als das in "Raumschiff Enterprise" - zumindest ließen sich "starke" und kompetente Frauen wie GSD-Sicherheitsoffizier Tamara Jagellowsk, General Lydia van Dyke oder "SIE", die Herrscherin von Chroma, im deutschen Fernsehen leichter "unterbringen" als im US-Fernsehen.

Trackback URL:
https://martinm.twoday.net/STORIES/2634940/modTrackback

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Geheimauftrag MARIA STUART...
Krisenfall Meuterei Der dritte Roman der Reihe "Geheimauftrag...
MMarheinecke - 9. Apr, 19:42
Urlaubs-... Bräune
Das "Coppertone Girl", Symbol der Sonnenkosmetik-Marke...
MMarheinecke - 1. Aug, 08:34
Geheimauftrag MARIA STUART...
Ahoi, gerade frisch mit dem Postschiff eingetoffen. Der...
MMarheinecke - 26. Mär, 06:48
Kleine Korrektur. Man...
Kleine Korrektur. Man kann/sollte versuchen die Brille...
creezy - 11. Nov, 11:29
strukturell antisemitisch
Inhaltlich stimme ich Deinem Text zwar zu, aber den...
dummerle - 5. Jun, 11:12

Suche

 

Status

Online seit 7082 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


doof-aber-gut
Gedankenfutter
Geschichte
Geschichte der Technik
Hartz IV
Kulturelles
Medien, Lobby & PR
Medizin
Persönliches
Politisches
Religion, Magie, Mythen
Überwachungsgesellschaft
Umwelt
Wirtschaft
Wissenschaft & Technik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren