Der Sarrazin und der Brotberuf
Rüdiger Suchsland ist mir als jener Filmkritiker bekannt ist, der nur selten Filme ähnlich beurteilt, wie ich sie beurteilen würde. Tatsächlich habe ich sehr oft, wenn Suchsland einen Film bespricht, den auch ich sah, den Eindruck, dass er einen ganz anderen Film mit dem zufällig dem selben Titel gesehen haben muss.
Auf "telepolis" bespricht er dieses Mal keinen Film, sondern ein ziemlich umstrittenes zivilisationskritisches Buch. Wobei ich mich nicht zu dem Buch "Echtleben" von Katja Kullmann äußern möchte, da ich es bisher nicht gelesen habe, und Suchsland-Kritiken grundsätzlich ein gewisses Misstrauen entgegenbringe.
Was mich zum in den letzten Wochen (für meine Verhältnisse) arg vernachlässigtem Bloggen brachte, war aber nicht "Echtleben" oder das, von dem Suchsland behauptet, dass es in diesem Buch stünde. Es war ein zitierter Kommentar zu diesem Buch von niemandem anders als Dr. Thilo Sarrazin, Berlin.
Also ergriff ich den Brotberuf eines IT-Kaufmanns. Aber das ist eine andere Geschichte.
Dass heißt, dass ich Thilo Sarrazin in dieser Hinsicht recht geben muss. In anderer Hinsicht nicht: auch aus Geschichte, Meeresbiologie oder Illustrationsgraphik, selbst aus Philosophie lässt sich eine gute Karriere machen - wenn man wirklich 100% hinter dieser Berufswahl steht, auch wenn die Ausbildung sehr viel abverlangt, wenn man in den gewählten Beruf gut ist, und vor allem: wenn der Blick auf das Einkommen zwar wichtig, aber nicht entscheidend ist.
Wenn tüchtige Germanisten und Historiker, Politologen und Soziologen, Schriftsteller und Journalisten im Vergleich zu anderen Berufen, die deutlich weniger anspruchsvoll sind, was Ausbildung, Arbeitseinsatz, Zeitaufwand und erforderliches Talent angeht, schlecht bezahlt werden, dann mag das zum Teil tatsächlich an einem "Überangebot" von, sagen wir mal, Journalisten, liegen. (Das ist übrigens der einzige der aufgezählten Berufe, in denen es meiner Ansicht nach tatsächlich so etwas wie ein "Überangebot" gibt.)
Es kann mir aber niemand erzählen, dass gut bezahlte Jobs tatsächlich immer Jobs sind, für die die Leute, die sie ausüben könnten, wirklich knapp sind. Es gibt sogar lausig bezahlte Mangelberufe, etwa in den Pflegeberufen.
Tatsächlich hat es nicht immer mit Qualifikation und Tüchtigkeit zu tun, mit wem ein gut dotierter Job besetzt wird oder, bei freien Berufen, welche Dienstleistung gut bezahlt wird. Dafür umso mehr mit etwas, was Marxisten "Klassengesellschaft" nennen: Herkunft ("Stallgeruch") und die "richtigen" Beziehungen sind in vielen Berufen leider entscheidend. Ein "Arbeiterkind", das Ingenieur wird, wird vielleicht noch mit einem guten Abschluss vergleichbare berufliche Chancen wie ein Akademikerkind mit vergleichbarem Abschluss haben - wenn auch nicht in allen Unternehmen. Bei anderen Ausbildungen und Studiengängen ist die Chancengleichheit illusionär.
Illusionär ist auch die Vorstellung, mit einem "guten Brotberuf" wäre es getan. Fast niemand, mit dem ich näher befreundet, arbeitet heute in genau jenem Beruf, für den er oder sie sich einst, als Schulabgänger oder Schulabgängerin, entschieden hatte. Wenn ein Berufswechseln im späteren Leben ohnehin wahrscheinlich ist - wieso dann nicht den einfach den Erstberuf ergreifen, der einem am meisten Spaß bringt?
Aber von "Spaß" und "innere Motivation" oder gar "Inspiration", "Berufung, "Talent" haben die Sarrazins dieser Welt, die arroganten selbsternannten Pflichtmenschen mit dem ökonomischen Tunnelblick auf die Welt, eben nicht viel Ahnung!
Auf "telepolis" bespricht er dieses Mal keinen Film, sondern ein ziemlich umstrittenes zivilisationskritisches Buch. Wobei ich mich nicht zu dem Buch "Echtleben" von Katja Kullmann äußern möchte, da ich es bisher nicht gelesen habe, und Suchsland-Kritiken grundsätzlich ein gewisses Misstrauen entgegenbringe.
Was mich zum in den letzten Wochen (für meine Verhältnisse) arg vernachlässigtem Bloggen brachte, war aber nicht "Echtleben" oder das, von dem Suchsland behauptet, dass es in diesem Buch stünde. Es war ein zitierter Kommentar zu diesem Buch von niemandem anders als Dr. Thilo Sarrazin, Berlin.
In diesem Weltbild wird unterstellt, das System enthalte den quasi willkürlich den gerechten Lohn für die Arbeit ihrer kreativen Köpfe vor, und es sei empörend, dass der Realschulabschluss eines Provinzlers sich mitunter besser auszahlt als das Studium eines Geisteswissenschaftlers. Rührend naiv mutet die Klage an ...Wäre ich als Abiturient 1982 meinen damaligen Neigungen gefolgt, wäre ich Illustrationsgraphiker geworden oder hätte Meeresbiologie oder Geschichte studiert. Da ich aber schon als Abiturient mit wachen Augen in die Welt schaute, und wusste, dass dort das Geld verdient wird, wo kaufkräftige Nachfrage auf ein knappes Angebot stößt, entschied ich mich für einen Brotberuf und studierte Chemieingenieurwesen. Nach einen Studienabbruch wusste ich dann auch, wieso das Angebot an Chemieingenieuren so knapp war: es hatte mit der zumindest damals sagenhaft hohen Abbrecherquote in diesem Studiengang zu tun. Oder anders ausgedrückt: dieses Studium und verwandte Studiengänge waren eben mehr als ein Studium auf einen gut bezahlten Brotberuf, sondern solche, die tief gehendes Interesse, echte Begabung und sehr viel Fleiß erforderten - was dann auch das damals recht gute Gehalt eines Chemie- , Bio- oder Medizintechnik-Ingenieurs voll und ganz rechtfertigte. Kein Studium für Dünnbrettbohrer und Leute, denen es im Beruf in erster Linie auf die Bezahlung und dann erst mal lange nichts ankommt! (Die studierten damals BWL bzw. blockierten die BWL-Studienplätze, so dass viele, die sich wirklich für BWL interessierten und vielleicht tatsächlich gute Betriebswirte geworden wären, lieber etwas anderes machten.)
Wäre ich als Abiturient 1965 meinen damaligen Neigungen gefolgt, wäre ich Fotograf geworden oder hätte Geschichte und Germanistik studiert. Ich wollte aber weder Lehrer werden noch als Hungerleider in einer Provinzredaktion enden, und darum wählte ich einen Brotberuf. Wer mit wachen Augen in die Welt schaut, weiß auch schon als Abiturient, dass das Geld dort verdient wird, wo kaufkräftige Nachfrage auf ein knappes Angebot stößt.
Also ergriff ich den Brotberuf eines IT-Kaufmanns. Aber das ist eine andere Geschichte.
Dass heißt, dass ich Thilo Sarrazin in dieser Hinsicht recht geben muss. In anderer Hinsicht nicht: auch aus Geschichte, Meeresbiologie oder Illustrationsgraphik, selbst aus Philosophie lässt sich eine gute Karriere machen - wenn man wirklich 100% hinter dieser Berufswahl steht, auch wenn die Ausbildung sehr viel abverlangt, wenn man in den gewählten Beruf gut ist, und vor allem: wenn der Blick auf das Einkommen zwar wichtig, aber nicht entscheidend ist.
Wenn tüchtige Germanisten und Historiker, Politologen und Soziologen, Schriftsteller und Journalisten im Vergleich zu anderen Berufen, die deutlich weniger anspruchsvoll sind, was Ausbildung, Arbeitseinsatz, Zeitaufwand und erforderliches Talent angeht, schlecht bezahlt werden, dann mag das zum Teil tatsächlich an einem "Überangebot" von, sagen wir mal, Journalisten, liegen. (Das ist übrigens der einzige der aufgezählten Berufe, in denen es meiner Ansicht nach tatsächlich so etwas wie ein "Überangebot" gibt.)
Es kann mir aber niemand erzählen, dass gut bezahlte Jobs tatsächlich immer Jobs sind, für die die Leute, die sie ausüben könnten, wirklich knapp sind. Es gibt sogar lausig bezahlte Mangelberufe, etwa in den Pflegeberufen.
Tatsächlich hat es nicht immer mit Qualifikation und Tüchtigkeit zu tun, mit wem ein gut dotierter Job besetzt wird oder, bei freien Berufen, welche Dienstleistung gut bezahlt wird. Dafür umso mehr mit etwas, was Marxisten "Klassengesellschaft" nennen: Herkunft ("Stallgeruch") und die "richtigen" Beziehungen sind in vielen Berufen leider entscheidend. Ein "Arbeiterkind", das Ingenieur wird, wird vielleicht noch mit einem guten Abschluss vergleichbare berufliche Chancen wie ein Akademikerkind mit vergleichbarem Abschluss haben - wenn auch nicht in allen Unternehmen. Bei anderen Ausbildungen und Studiengängen ist die Chancengleichheit illusionär.
Illusionär ist auch die Vorstellung, mit einem "guten Brotberuf" wäre es getan. Fast niemand, mit dem ich näher befreundet, arbeitet heute in genau jenem Beruf, für den er oder sie sich einst, als Schulabgänger oder Schulabgängerin, entschieden hatte. Wenn ein Berufswechseln im späteren Leben ohnehin wahrscheinlich ist - wieso dann nicht den einfach den Erstberuf ergreifen, der einem am meisten Spaß bringt?
Aber von "Spaß" und "innere Motivation" oder gar "Inspiration", "Berufung, "Talent" haben die Sarrazins dieser Welt, die arroganten selbsternannten Pflichtmenschen mit dem ökonomischen Tunnelblick auf die Welt, eben nicht viel Ahnung!
MMarheinecke - Donnerstag, 21. Juli 2011