Freitag, 31. Dezember 2010

Zauberei und Wissenschaft (ungereimte popkulturelle Gedankensplitter zum Jahreswechsel)

Jede hinreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.
Arthur C. Clarke
Jede hinreichend fortgeschrittene Magie ist von Technologie nicht zu unterscheiden.
Larry Niven
Was der eine Zauberei nennt, ist für den anderen Technik. "Übernatürlich" ist ein leeres Wort.
Robert A. Heinlein

Diese drei "Altmeister" der Science Fiction haben meiner Ansicht nach völlig recht.

Your ancestors called it magic. You call it science. I come from a place where they're one and the same.
Deine Vorfahren nannten es Magie. Du nennst es Wissenschaft. Ich komme von einem Ort wo sie ein und dasselbe sind.
(Aus dem Trailer für den Film "Thor".)

Wenn Clarke, Niven und Heinlein recht haben, dann ist Zauberei auch in Midgard, der Welt der Menschen, eine Art angewandte Wissenschaft, sprich Technik.

Allerdings, in Books of Magic lässt Niel Gaiman den "Phantom Stranger" sagen:
bom-steam
The difference in viewpoint. Science is a way of talking about the universe in words that bind it to a common reality. Magic is a way of talking to the universe in words that it cannot ignorore. The two are rarely compatibel.
Der Unterschied im Standpunkt. Wissenschaft ist eine Art über das Universum zu sprechen, die es an eine gemeinsame Realität binden. Magie ist eine Art zum Universum in Worten zu sprechen, die es nicht ignorieren kann. Die beiden sind nur selten vereinbar.

Ich bin der Ansicht, dass der "Phantom Stranger" recht hat - und zwar hinsichtlich der Denkweise.
Beim Anwenden wissenschaftlicher - (oder magischer?) Gesetzmäßigkeiten ist die dahinter stehende Denkweise nicht weiter wichtig. Man muss die Quantenphysik nicht begriffen haben um einen Flash-Speicher konstruieren zu können - und selbst wenn man noch nie von Quantenphysik gehört hat, kann man eine Speicherkarte oder einen USB-Stick benutzen. (Flash-Memory ist eine besonders gute Illustration für Clarkes "Gesetz", denn ein Physiker auf dem Wissenstand des Jahres 1900 hätte beweisen können, dass so ein Gerät nicht mit den Naturgesetzen vereinbar wäre, also "Zauberei" sein müsse. Und ein Physiker auf dem Stand des Jahres 1960 hätte eingeräumt, dass so ein Gerät vielleicht von den Gesetzen der Quantenmechanik her möglich sein könnte, aber es nicht einmal theoretisch eine Möglichkeit gäbe, so etwas zu bauen.)
Flash-Memory könnte, aus Anwendersicht, ebenso gut mit Mana aufgeladen sein, sich dienstbarer Dämonen bedienen oder auf der ominösen "Macht" der Star Wars-Universum beruhen. Umgekehrt brauche ich das "schamanisches Weltbild" nicht zu verstehen, um durch schamanische Techniken (!) von einem Leiden befreit zu werden.

Daher haben Clarke, Niven und Heinlein nur bezogen auf die reine Anwendung recht, eben "Technik".
Die wissenschaftliche Weltsicht, die sich nicht nur auf die Naturwissenschaften beschränkt, und die magische Weltsicht (nicht zu verwechseln mit dem "magischen Denken", wie es bei kleinen Kindern vorkommt) sind nur selten vereinbar.

Jedenfalls noch.

Gedanken über Magie (2)

Kennzeichen des wissenschaftlichen Denkens "westlicher" Tradition ist das Streben nach Allgemeingültigkeit. In der Mathematik und in den Naturwissenschaften ist das - meistens - kein Problem. In den Gesellschaftwissenschaften ist das eher fragwürdig - ohne jetzt einem radikalen Relativismus das Wort reden zu wollen.
Völlig auf dem Holzweg dürften die linearen, teleologischen (auf ein Ziel gerichteten) Geschichtserzählungen sein, die vom Aufstieg des Menschen, dem Sieg des Kapitalismus und dem "Ende der Geschichte", dem Untergang des Abendlandes usw. usw. erzählen. Die schaffen schon in der Biologie nur Verwirrung: die Evolution hat keine Absicht, kein Ziei. "Intelligent Design" / Kreationismus stammt meiner Ansicht nach aus der tief auch im wissenschaftlichen Denken des "Westens" verankerten Denken in linearen Kausalketten. Es gibt keinen Determinismus in der Geschichte. Noch nicht einmal in der Naturgeschichte.

Kennzeichen jeder Magie ist es, die Wirklichkeit / eine Wirklichkeit durch Wollen zu beeinflussen. Weitergedacht stellt schon der freie Wille an sich eine Form der Magie da. Polemisch formuliert: wer glaubt, einen freien Willen zu haben, denkt magisch.

Trotz der bekannten "Dialektik der Aufklärung" - Adorno und Horkheimer beschrieben, wie die "instrumentelle Vernunft" an ihr Ende kommt und in einen neuen Mythos umschlägt - sehe ich die Aufklärung als nötig und positiv an.
Sie ist allerdings mit Magie nicht verträglich. Inkompatibel.
Was nicht bedeutet, dass ein Zauberer, ein Schamane, ein Mystiker notwendigerweise das aufgeklärte Danken zurückweisen muss, um Zauberer, Schamane, Mustiker zu sein. Das ist der Irrtum der meisten Okkultisten / Esoteriker - und fast allen Theologen.

Was folgt daraus, für den Alltag? Entscheidungszwänge á la "entweder-oder" kritisch hinterfragen. Es gibt auch "sowohl-als-auch", "irgendwo dazwischen", "keines von beiden" und gar nicht einmal so selten das scheinbar paradoxe Phänomen, dass etwas zugleich und ganz und gar das Eine (etwa ein Teilchen, klassisches naturwissenschaftliches Beispiel) und zugleich ganz und gar das Andere (etwa eine Welle) ist.
Spätestens seit dem Strukturalismus (und natürlich erst recht nach dem Post-Strukturalismus im Sinne Foucaults) lässt sich, ohne in ethische Beliebigkeit zu verfallen, sagen, dass "Gut-Böse"-Kategorisierungen nicht allgemeingültig sein können. (Na ja, im Grunde ist diese Erkenntnis seit Schopenhauer oder spätestens seit Nietzsche ein alter Hut.) Es ist hilfreich, sie ersatztlos zu streichen.
Besser ist es, sich selbst Ziele zu setzen, freiwillige Ziele, um diese Welt ein klein wenig weniger unerträglich für seine Bewohner zu machen. Die Menschenrechte sind z. B. nicht "von Natur aus" universell, aber sie sind das notwendige Korrektiv zur instrumentellen Vernunft. Und da die instrumentelle Vernunft der modernen Industrie- und Informationsgesellschaft über die ganze Erde ausgebreitet hat, ist es nötig, den Menschenrechte ebenfalls für alle Menschen Geltung zu verschaffen.

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