Samstag, 28. August 2010

Von Dampfloks, Eilzugwagen und Authentizität

Es geht um die "A"-Frage. Die Frage "Ist das denn authentisch?"
Sie spielt nicht nur - verständlicherweise - im historischen Reenactment eine große Rolle, sondern auch auf und im Umfeld der normalerweise (vorsichtig gesagt) historisch nicht ganz authentischen Mittelaltermärkte. Sogar bei einige Bereichen des LARP (Life Action Role Playing) wird die "A"-Frage gern diskutiert, denn allzu krasse Anachronismen (auch ein A-Wort) stören das Spielvergnügen. Meinungsverschiedenheiten gibt es hier über die Frage, wann ein Anachronismus zu krass ist. ("Wieso soll meine Armbanduhr für einen römischen Senator anachronistisch sein? Die hat doch römische Ziffern!")
Selbst bei Fantasy- und Steampunk-LARPs soll es "A"-Debatten geben. Allerdings hier eher unter den Gesichtspunkten: "Passt es vom Stil her?" und "Ist so was plausibel?"

Es gibt eine weitere Gruppe Menschen, die leidenschaftlich und endlos über "A"-Fragen diskutieren können: die Modelbahner. Womit wir endlich fast beim Thema wären.

Aber eigentlich hat es doch eher mit Steampunk-LARP zu tun. Genauer gesagt, mit der Suche nach möglichen Locations. Beim Steampunk bietet sich natürlich alles an, was mit Dampf zu tun hat, womit die Brücke zwischen "Location" und "Lok" geschlagen wäre.

Auf dem Gelände der Tolk Schau, Deutschlands nördlichstem Familien- und Freizeitpark (unweit von Schleswig) wird eine Güterzug- Dampflokomotive der Baureihe 50 ausgestellt - vor zwei Eilzugwagen.
Allerdings hat eine Güterzuglok ja eigentlich nicht viel vor Eilzugwagen zu suchen. (Unzählige Modelbahner werden dem zustimmen.)

Schlepptender-Dampflokomotive 50 3552
Schlepptender-Dampflokomotive 50 3552 (Baujahr 1942) - Berliner Maschinen-Bau AG
Urheber: Heidas. CC-Lizenz: Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported.

Es ist unstrittig, dass es im realen Bahnbetrieb kaum etwas gab, was es nicht gab. Wenn keine andere Lok zur Verfügung stand oder man eine Leerfahrt vermeiden wollte, lief dann mal schon eine alte P8 (BR 38 bei Reichsbahn und Bundesbahn), eigentlich eine Personenzuglok, vor einem schweren Erzzug (auf der "letzten Rille"), eine schwere Güterzuglok der BR 44 vor einem Nahverkehrszug oder eine Schnellzuglok der Baureihe 01 vor Kesselwagen. Vor allem in der Nachkriegszeit, als viel improvisiert werden musste, und gegen Ende der Dampflokzeit gab es ungewöhnliche Einsätze - vom späteren Museumsbetrieb gar nicht zu reden. Die technische Möglichkeit (Achsdruck etc.) natürlich vorausgesetzt. Und sicher wird eine Lok der BR 50 mit Eilzugwagen "fertig".

Aber wurde die 50er wirklich planmäßig vor Eilzügen eingesetzt?

Dass sie für Nahverkehrszüge auf Nebenstrecken gut geeignet war, steht außer Frage.
Die 50er hat einen Achsdruck von nur 15 Tonnen und eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h. Ihr Fahrwerk ist so konstruiert, dass sie, obwohl sie fünf gekuppelte Antriebsachsen hat, Bögen mit 140 Metern Radius durchfahren kann. (Schon daran erkannt man, dass die wenigsten Modellbahnanlage "authentisch", bzw. vorbildgetreu sind: 140 Meter Gleisbogenradius wären im Maßstab 1:87 (Spur H0) ca. 161 cm, im 1:120 (Spur TT) ca. 117 cm, in 1:160 (Spur N) immerhin noch 87,5 cm. Und das ist Nebenbahn! Auf dem meisten Modellbahnen fahren Schnellzüge auf Gleisradien, die allenfalls bei Straßenbahnen glaubwürdig wären.) (Nachtrag: der minimale Gleisbogenradius für eine BR 50 sind sogar nur 100 m.)
Aufgrund der "kleinen" Räder (1400 mm - bei Schnellzugloks 2000 mm und mehr) hat sie eine gute Beschleunigung, was für den Betrieb im Nahverkehr mit seinen vielen Haltestellen günstig ist. Mit einem geeigneten Tender konnte sie rückwärts und vorwärts gleich schnell fahren, und musste daher in Endbahnhöfen nicht gewendet werden. Damit konnte sie so flexibel wie eine Tenderlok eingesetzt werden, bei größerer Reichweite und mehr Zugkraft als fast alle Tenderloks. Da auf vielen Nebenbahnen die Streckenhöchstgeschwindigkeit sowieso nicht höher als 80 km/h lag, war die 50er die ideale Zugmaschine für lange Nahverkehrszüge.
Die BR 50 wurde daher häufig für die Bespannung schwerer Berufspendlerzüge auf nicht elektrifizierten Strecken herangezogen.

Aber wie sieht es mit Eilzügen aus? Tatsächlich zog die 50er in der Nachkriegszeit bis in die fünfziger Jahren sogar Schnellzüge - denn auf vielen nur notdürftig reparierten im Krieg beschädigten Hauptstrecken reichten ihre 80 km/h völlig aus. Besonders galt das für die DDR, wo bis auf einige Hauptstrecken bei zweigleisigen Strecken jeweils ein Gleis demontiert wurde - als Reparationsleistung an die UdSSR, die mit den Schienen zumindest einen Teil der von Deutschen im 2. Weltkrieg zerstörten Bahnstrecken wiederherstellten. (Die Bundesbahn der alten BRD hatte das Glück, dass die deutschen Truppen im Westen weit weniger Gleisanlagen zerstörten als beim Rückzug im Osten.) Bei der Bundesbahn zog die BR 50 Anfang der 1950er Jahre sogar internationale Schnellzüge auf der Strecke zwischen Hamburg und dem Fährhafen Großenbrode-Kai.
Wegen ihrer Nebenstrecken-Tauglichkeit war sie auch vor Reisebüro-Sonderzügen anzutreffen. Der Fremdenverkehr spielte auch beim regulären Einsatz der 50er eine große Rolle - ein Beispiel ist die Strecke von Goslar nach Altenau im Oberharz, eine echte Nebenbahn, wo sie lange Reisezüge mit Wintersporttouristen zog.

Damit ist klar: Eilzugwagen passen hinter die Güterzugdampflokomotive der Baureihe 50.

Die Baureihe 50 war eine der besten Konstruktionen unter den deutschen Einheitsdampflokomotiven. Es wurden insgesamt ca. 3200 dieser Maschinen gebaut. Auch die letzte Regelspurdampflok, die 1960 in Deutschland neu gebaut wurde, die 50 4088 der Deutschen Reichsbahn der DDR, war eine 50er. Zählt man die ca. 7000 "Kriegsloks" der Baureihe 52 dazu, die eine vereinfachte BR 50 war, könnte sie durchaus die meistgebaute Strecken-Lokomotive der Welt sein.

Auch übrigens: den Tolk-Schau-Park halte ich für ein Steampunk-LARP ziemlich ungeeignet.

(Schon der dritte Dampflok-Beitrag dieses Jahr. Interessant, welche Weichen durch mein Steampunk-Interesse gestellt werden ... )

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