Montag, 26. Juli 2010

Sexualität, Macht und Gewalt

"Sexuelle Gewalt ist Machtausübung und keine Sexualität"
Birgit Kohlhofer, Diplompsychologin, Psychotherapeutin und Mitautorin des Buchs "E.R.N.S.T. machen - Sexuelle Gewalt unter Jugendlichen verhindern".

Missbrauch. Ich mag das Wort im Zusammenhang mit "Kindesmissbrauch" nicht, da es suggeriert, es gäbe einen korrekten "Gebrauch" von Kindern. Oder überhaupt von Menschen. Es riecht nach Instrumentalisierung, als wären Menschen tote Gegenstände. Ganz im Sinne des "Humankapitals" oder des "Menschenmaterials".

Aber es gibt tatsächlich Dinge, die da missbraucht werden. Angstschürerei etwa ist Missbrauch von Können und Macht. So, wie es Missbrauch eines Küchenmessers ist, damit jemandem die Kehle durchzuschneiden. Und es gibt den Missbrauch der Sexualität. Etwa den der sexuellen Neugier, die es auch bei Kindern gibt.

Es ist wichtig, dass wir über die Bedingungen nachdenken, die Menschen zu Tätern machen. Im Falle einer pädophilen Veranlagung - das sind übrigens die wenigsten der Täter - gibt es Initiativen wie "Kein Täter werden".
Aber die meisten Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen haben andere Gründe.
Es ist wichtig, sich mit diesen Gründen zu befassen. Nicht um Täter zu be- oder entlasten, sondern dafür, dass wir Bedingungen schaffen können, in denen Menschen nicht mehr zu Tätern werden.

Einschub: Ja, es ist die sexuelle Selbstbestimmung, die vom Gesetz geschützt werden soll, und die das gesellschaftlich zu schützende Gut ist. Nicht die Moral, auch nicht die sexuelle "Unschuld" junger Menschen. Bei Kindern, mit ihre vorhandenen, aber unentwickelten Sexualität, heißt "sexuelle Selbstbestimmung", dass sie von Erwachsenen und von Jugendlichen sexuell in Ruhe gelassen werden. Kein Erwachsener, der noch bei Trost ist, käme auf die Idee, einen kleinen Jungen, der ihn mit erhobenen Fäusten zum Boxkampf auffordert, mit voller Kraft einen Faustschlag zu verpassen, um sich darauf herauszureden, der Junge hätte das doch gewollt. "Sexuell in Ruhe lassen" heißt aber auch: "Doktorspiele" unter kleinen Kindern zulassen, und auch: ein "Nein" zu Aufforderungen wie "Gibt Omi ein Küsschen" zu akzeptieren.

Welche Bedingungen begünstigen Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern?

Wenn Kinder als Sexsymbole, z. B. als "Lolitas" aufgestylt werden, zum Beispiel. Ganz unabhängig davon, ob diese Kinder nackt oder "sexy angezogen" posieren.
Vor allem ist es aber die Kombination von Sexualität und Macht, die gefährlich ist. Es war vermutlich das Gefühl von Macht, dass die Jugendlichen auf Ameland zu Tätern machte. Erst danach kam - wenn überhaupt - die sexuelle Erregung ins Spiel.
Die Strukturen sind mit dem sogenannten "Bullying" vergleichbar. Also einem besonders exzessiven und häufig auch Gewalt einschließendem Mobbing. Im Prozess der Demütigung bilden sich eigene Hierarchien heraus, die Täter stehen oben im Ansehen, die Opfer unten. Zu solchen Abläufen kommt es immer dann, wenn Gruppen neu gemischt werden. Das Geschehen führt auf eine makabere Art zu einer eigenen Ordnung.

Von mehreren Tätern vergewaltigt und bloßgestellt zu werden, potenziert die Scham der Opfer. Die Struktur der Mitwisser erfüllt noch eine andere Funktion: "Wenn mehrere Jugendliche beteiligt sind, wird auch schon mal das eigene Gewissen abgelegt", sagt die Kölner Kriminalpsychologin Sabine Nowara. Das Motto sei: Wenn andere das machen, dann kann ich das auch machen.

In dieser Gruppendynamik genierten sich die Täter auch nicht, gegebenenfalls sexuelle Erregung zu zeigen. "Da spielt die eigene Scham überhaupt keine Rolle", so Nowara, Autorin der ersten Studie, in der mehr als 300 minderjährige Sexualstraftäter und ihre Taten erfasst wurden.
Missbrauch durch Jugendliche - Im Sog des Grauens (spon)

Es kommt also darauf an, Sexualität, Macht und Gewalt zu entkoppeln. Wenn Sexualität zur einer Funktion von Macht wird, missbraucht wird, dann führt das geradewegs zum "sexuellen Missbrauch", zum Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern.
Wir leben immer noch - und seit ein paar Jahre wieder verstärkt - in einer hierarchischen und autoritären Gesellschaft. Diese Hierarchisierung unserer Gesellschaft hat sich, im Zuge der Verdinglichung menschlicher Leistung, der zunehmenden Optimierung und Selbstoptimierung, in sämtliche Bereiche des Lebens ausgedehnt - bis in den Privatbereich hinein.
Sie geht immer auf Kosten Schwächerer.
Je härter eine Gesellschaft oder ein Teil von ihr, etwa eine Organisation, eine Schule, ein Unternehmen, ganz allgemein: eine Gemeinschaft, hierarchisiert ist, je mehr der, der in der Rangordnung über einem steht, tritt, desto größer ist die Unmenschlichkeit in dieser Gemeinschaft. Eine Unmenschlichkeit von der Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung nur einen kleinen, wenn auch grausamen, Teil darstellen.
Es ist wohl kein Zufall, dass es in straff hierachisierten Gemeinschaften, wie z. B. in der Kirche, in Internaten, beim Militär und auch in den Sportvereinen besonders oft zu sexualisierter Gewalt kommt.
Laut Zartbitter bieten Sportvereine einen Nährboden für sexuelle Gewalt. "Aufgrund unserer Erfahrungen gehen wir davon aus, dass Missbrauch dort ein größeres Ausmaß hat als in der katholischen Kirche", sagt Enders.
Ein weiterer Faktor bei der Verknüpfung von Sexualität, Macht und Gewalt ist offensichtlich die Pornographie. Allerdings wohl nicht im Sinne des alten feministischen Spruches, dass Pornographie die Theorie und die Vergewaltigung die Praxis sei. Die "PorNo!"-Kampagne halte ich für völlig verfehlt, und zwar nicht nur, weil sie zu einen absurden Bündnis zwischen Feministinnen und der immer noch stramm antifeministischen römisch-katholischen Geistlichkeit führte.
Es ist nun einmal so, dass in den meisten Pornos eine Sorte Sex dargestellt wird, in dem Menschen zu Objekten degradiert werden.
Ich erinnere mich genau daran, wie es auf mich wirkte, als ich mit mit zwölf zu ersten Mal die Porno-Hefte meines Vaters genauer ansah. Ich war zwar fasziniert, aber auch angeekelt - über das, was Menschen anderen Menschen an Gewalt antun, sie quälen, demütigen. Dass Sex im wirklichen Leben zum Glück meisten ganz anders aussieht, begriff ich erst Jahre später. Und um zu begreifen, dass es im einvernehmlichen BDSM nicht um tatsächliche Macht und Gewalt geht, brauchte ich noch viel länger. Es hätte aber leicht sein können, dass mir die Pornos den Eindruck vermittelt hätten, dass die Erniedrigung der Partners zum Sex "einfach dazugehört".
Pornos werden von jungen Menschen konsumiert, das lässt sich auch mit klostertauglichem Jugendschutz nicht verhindern. (Mein Vater hätte seine "Schmuddelhefte" schon in einem Tresor einschließen müssen. Und wenn er es getan hätte - so ab der siebten Klasse wurden die Dinger auf dem Jungensklo in der Schule getauscht. Internet macht die Sache einfacher, aber Zugriffssperren sind für einen computertechnisch interessierten Jugendlichen allenfalls eine sportliche Herausforderung.)
Das große Problem beim Porno die die mangelnden Reflexion darüber. Jugendliche konsumieren Pornos, aber sie können es nicht verarbeiten, weil in vielen Familien nicht darüber gesprochen wird.

Ich habe leider keine Patentrezepte, wie sich Sexualität, Macht und Gewalt entkoppeln ließen.
Patentrezepte, wenn auch garantiert wirkungslose, haben merkbefreite PolitikerInnen wie die bayrische Justizministerin Dr. Beate Merk (CSU), die ja allen Ernstes Killerspielen und der FDP, bzw. den Kritiker einer Netzzensur-Infrastruktur die Schuld für schreckliche Vorfälle wir auf Ameland gibt.

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