Samstag, 17. April 2010

Macht twittern unglücklich?

Wer wenig oberflächlichen Smalltalk und viele tiefergehende Gespräche führt, ist zufriedener im Leben. Diese Binsenweisheit haben Psychologen der University of Arizona nun wissenschaftlich belegt. Sie untersuchten, was die Gespräche von Personen, die sich als “glücklich” bezeichnen, von denen unglücklicher Menschen unterscheidet. Zuviel Smalltalk macht unglücklich (pharmacon.net)
“Glücklich ist man im Leben eher dann, wenn man soziale Kontakte pflegt und in den Konversationen an die Substanz geht”, so die Forscher um Matthias R. Mehl.

Das ist in der Tat unter Menschen, die sich ein klein wenig mit Psychologie auskennen, eine Binsenwahrheit. Allerdings eine jener Wahrheiten, die gerne verdrängt werden - denn Smalltalk ist ungefährlich, Smalltalk geht immer, Smalltalk ist bequem. Und ein wenig unverbindlich-freundlich-oberflächliche Konversation ist recht erfreulich. Obgleich es beim Smalltalk völlig nebensächlich ist, worüber geredet wird - Wetter, Fußball, Fernsehprogramm, Mode - kann er sozial wichtig sein. Führe ich eine noch so seichte Konversation mit jemandem, zeige ich, dass ich mich für ihn interessiere - oder gebe es zumindest vor.
Wahrscheinlich macht es die Dosis, ob Smalltalk bekömmlich ist, oder nicht.
Ein ernsthaftes Gespräch strengt hingegen manchmal richtig an. Man kann es nicht überall, und nicht mit jedem führen. Der Vergleich drängt sich auf: Smalltalk, das sind Süßigkeiten, Unterhaltungen, die in die Tiefe gehen, vollwertige Mahlzeiten. Ein gutes Gespräch ist Seelennahrung. (Soulfood to go fällt mir dazu ein - gut, das ist Musik, und zwar gute.)
Warum schadet zu wie Smalltalk dem Wohlbefinden? Selbst wenn man sich nicht an die klassischen vier Verbote der gepflegten Party-Konversation hält - "Rede nie über Politik, Sex, Religion oder Geld" - wird Smalltalk von unzähligen ungeschriebenen Höflichkeitsregeln beherrscht, die als sozialer Schmierstoff sinnvoll sind, aber jede echte Gefühlsäußerung unterbinden. Smalltalk, über längere Zeit aufrechterhalten, wird zum Heuchelsprech. So "echt" und "tief" wie das aufgesetzte Dauerlächeln eines Wunderdecken-Verkäufers auf einer "Kaffeefahrt". Und so "ehrlich" wie sein Verkaufsgespräch.

Wie ist das mit den "sozialen Dienste im Internet"? Das hängt vom jeweiligen Dienst ab und wozu man ihn verwendet. Microblogging wie z. B. Twitter eignet sich mit den auf 140 Zeichen beschränkten Posts nicht für tiefsinnigen Gedankenaustausch, aber auch nicht für Smalltalk im eigentliche Sinne. Der ist eher auf Chats, Foren oder Communities wie Facebook zu finden.
Ich würde Twitter nicht benutzen, wenn es kein "Kaffeepausenmedium" wäre. Interessanterweise tritt es, bei mir, nicht in Konkurrenz zum Pausengespräch mit Arbeitskollegen - das den Smalltalk-Rahmen meistens übersteigt. Twitter verdrängt bei mir das Pausen-Kreuzworträtsel oder das Pausen-Sudoko. Oder das Browserspiel. Texten statt spielen.

Tatsächlich sind auch die Mechanismen der Online-Konversation nicht mit dem Smalltalk im persönlichen Gespräch oder am Telefon zu vergleichen. Trotzdem habe ich den Verdacht, dass etwa Facebook zu einer Art Pseudo-Kommunikation führt: ich erfahre einiges über meine "Freunde", aber zu einem Austausch auf "tieferer Ebene" kommt es - sinnvollerweise, wenn man das Datenschutzproblem bedenkt - dort nicht.

Vielleicht macht Online-Kommunikation auf nicht sicher vertraulichen Plattformen auf die Dauer ebenso unglücklich wie Smalltalk - weil der Austausche tieferer Gedanken und Gefühle unterbleibt. Und weil sie, wie der Smalltalk, meist so viel bequemer ist, als etwa ein Telefonanruf oder gar ein persönliches Gespräch.

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