Samstag, 28. November 2009

NaNoWriMo - einige Gedanken übers Schreiben

Chandler schrob sinngemäß, dass ein Schriftsteller, der über das Schreiben schreibt, sonst nichts mehr zu schreiben hätte.
Ich bin der Meinung, dass ein Blogger, der vor allem über sich selbst schreibt, das Bloggen besser zugunsten des guten, alten Tagebuchschreibens aufgeben sollten.

Daher verstößt dieser Beitrag gleich gegen zwei meiner Prinzipien. Vielleicht, weil ich weder Schriftsteller noch "A-" (oder auch nur "B-", "C-" oder "D-") -Blogger bin? (Zur Erinnerung: Schriftsteller ist nicht jemand, der schreibt, sondern jemand, dessen Beruf es ist, zu schreiben.)

Für mich ist der NaNoWriMo eine (weitere) Lektion in der "Schule des Lebens", im Fach "Kreativität". Weil ich merke, wie sehr meine "Filter", der "innere Zensor", die "Schere im Kopf", meine schöpferische Fähigkeiten normalerweise behindern. Ich merke aber auch, dass einige - nicht alle - dieser Filter nötig sind, aus ethischen Gründen, und aus Gründen der Selbstachtung. So nötig, dass ich mein hektisches Geschreibsel selbst Freunden nicht zum Lesen geben werde, bis ich ein wenig "Selbstzensur" an dem Skript verübt habe. Ich gehöre nicht zu den Typen, die sich in Nachmittagsshows oder in Castingsendungen öffentlich bloßstellen.
Der Gedanke, dass die Leser meines "Senfblogs" oder eines von mir unüberlegt dahingeschriebenen Romanversuches wie bei einer "Docu Soap" in voyeuristischen Freuden schwelgen könnten, mag mir, bei allem Selbstdarstellungsdrang, gar nicht behagen. Warum sollte ich der Welt Dinge anvertrauen, die ich allenfalls einem Psychotherapeuten anvertrauen würde - und auch das nur, weil ich mir davon Heilung verspreche und weil ich auf die Schweigepflicht vertraue?

Zu den "nicht notwendigen" Filtern. Wie kommen die in meinen Kopf - und in den Kopf vielen anderer?
Eine Antwort: Sie sind erlernt - und manchmal so tief verinnerlicht, dass ich vergesse, dass sie mir beigebracht wurden. Ich vermute, dass das anderen genau so geht.

Kreatives Schreiben ist eine "Handfertigkeit", und es kann und muss, wie jede Handfertigkeit, erlernt werden. Die Grundlagen - nicht die Handfertigkeit selbst, denn die kommt durchs Ausprobieren, Üben, Scheitern, trotzdem weitermachen - die lassen sich zum Beispiel in speziellen Seminaren lernen. Es soll sogar Schulen geben, in denen das "kreative Schreiben" gelehrt wird. Die Schulen, auf denen ich war, gehörten eindeutig nicht dazu. Was vielleicht gar nicht so schlecht war, wenn ich daran denke, was ich so alles nach der Schulzeit verlernen musste.

"Kreatives Schreiben" ist, davon bin ich nicht erst seit den "NaNo" überzeugt, "intuitives" Schreiben.
Im "nichtkreativen Schreiben", wozu ich ausdrücklich auch den Journalismus zähle, hat Intuition einer eher untergeordnete Funktion. Die "journalistische Spürnase" ist wichtig, wenn ein Journalist recherchiert (also das tut, wozu Journalisten im Arbeitsalltag kaum noch kommen). Beim Schreiben des Artikels zählen nur, wie in der gerade vom "Focus" so selten beherzigten alten "Focus"-Werbung, Fakten, Fakten, Fakten.

In den Schulen wird das "intuitive" Schreiben nicht gelehrt. Ganz im Gegenteil. Ich hatte noch das Glück, "altmodische" Hausaufsätze schreiben zu dürfen - zurecht "dürfen", denn damit habe ich mir einige Male die gute Deutschnote gerettet. (Ich hatte und habe einen starken Hang zur eigenwilligen Rechtschreibung und Grammatik, und war daher in Deutsch nie "sehr gut". Bis auf die Abi-Note. Wie ich das damals schaffte, ist mir bis heute ein Rätsel.)
Aber schon zu meiner, nun einige Jahrzehnte zurückliegenden Schulzeit, stand der "freie Aufsatz" tief im Schatten des angeblich "objektiven" Schreibens. (Obwohl es ausgerechnet eine Deutschlehrerin, die auch Philosophie unterrichtete, war, die uns eindringlich vor der Illusion warnte, dass etwa eine der schon damals so beliebten "Erörterungen" auch nur annähernd "objektiv" sein könnte. Sie gab auch zu, dass es zum Teil sicher von ihrem literarischen Geschmack abhänge, ob eine Textinterpretion als "gut" oder "sehr gut" bewertet würde - sie könne kann nur versuchen, dabei fair und gerecht zu sein, und zur Fairness gehöre es nun mal, den Schülern nichts vorzumachen. Sie gab sogar zu, dass die von der Kultusministerkonferenz geforderte "objektive" Notengebung geradezu zwangsläufig unfair sei. Nun ja, sie stand kurz vor der Pensionierung und hatte nichts mehr zu verlieren ... )

In der Schule lernt man, wenn man, wie ich, Glück hatte, in etwa so beim Schreiben vorzugehen: Zuerst ein Überblick über den Stoff geben, dann Fragestellungen entwickeln, Argumente sammeln, das Ganze ordentlich gliedern, möglichst viele Sichtweisen diskutieren, um ganz am Ende - wenn gefordert - noch zwei, drei Sätze "eigene Meinung" darunter zu setzen. Dass die "eigenen Meinung" nur selten gefordert wird, gehört meines Erachtens zum "heimlichen Lehrplan". Wobei meiner Ansicht nach sehr, sehr viele Deutsche allein die Lektion aus dem "heimlichen Lehrplan", dass die eigenen Meinung unwichtig sei, und man auf die Frage "Was meinst du dazu?" im eigenen Interesse möglichst nie offen und ehrlich, sondern dem mutmaßlichen Wunsch des Frager gemäß antworten sollte, aus der Schule mit ins Leben nehmen.

Verkehrt ist es nicht, so zu schreiben. Es ist nur unkreativ. Zwar bleibt im Berufsleben für solch eine Sorgfalt meistens weder Zeit noch Energie, aber Konzepte, Berichte oder wissenschaftliche Arbeiten sollten tatsächlich die eine oder andere Lektion über das "richtige Schreiben" aus Schul- Studiums- und Ausbildungstagen berücksichtigen.
Schon beim journalistischen Schreiben ist das etwas anders. In der Nachricht, der Reportage, dem Bericht usw. sollten nun einmal die Fakten zählen, nicht Meinungen, Gefühle und schon gar nicht Gesinnungen. Aber gerade ein Journalist sollte sich vor der Illusion hüten, er oder sie würde objektiv berichten. Hinzu kommt, dass
ein Journalist ohne (fundierte) Meinung und den Mut, sie auch an passender Stelle zu äußern, meiner Ansicht nach den Beruf verfehlt.

Sogar beim Bloggen - und erst recht beim "richtigen" journalistischen Schreiben - gibt es eine lange Liste "unbeschreibbarer" Themen. Die gibt es natürlich auch beim Roman, jedenfalls dann, wer er veröffentlicht werden soll. Ich vermute, dass einer der wichtigsten Gründe dafür, dass das Sortiment in Buchhandlungen von einer unübersehbaren Öde geprägt wird (siehe Schreiben nach Schema F?) die in den letzten Jahren deutlich länger gewordene "das-geht-nicht"-Liste bei Großverlagen ist.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ich ausgerechnet beim Schreiben eines Romans, der diese Öde kein Stück beleben würde, wenn er dann erscheinen würde, merkte, wie tief sich diese lange Liste der "das-geht-nicht"-Themen und -Ansichten in mein eigenes Unterbewusstsein eingefräßt hat.
(Piratenromane und schlechte marinehistorische Romane gibt es schon viel zu viele. Selbst wenn man Geschreibsel gut sein sollte, was es IMO gar nicht ist und nicht sein kann, wäre es immer noch ein Buch, das die Welt nicht braucht.)

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Geheimauftrag MARIA STUART...
Krisenfall Meuterei Der dritte Roman der Reihe "Geheimauftrag...
MMarheinecke - 9. Apr, 19:42
Urlaubs-... Bräune
Das "Coppertone Girl", Symbol der Sonnenkosmetik-Marke...
MMarheinecke - 1. Aug, 08:34
Geheimauftrag MARIA STUART...
Ahoi, gerade frisch mit dem Postschiff eingetoffen. Der...
MMarheinecke - 26. Mär, 06:48
Kleine Korrektur. Man...
Kleine Korrektur. Man kann/sollte versuchen die Brille...
creezy - 11. Nov, 11:29
strukturell antisemitisch
Inhaltlich stimme ich Deinem Text zwar zu, aber den...
dummerle - 5. Jun, 11:12

Suche

 

Status

Online seit 6730 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


doof-aber-gut
Gedankenfutter
Geschichte
Geschichte der Technik
Hartz IV
Kulturelles
Medien, Lobby & PR
Medizin
Persönliches
Politisches
Religion, Magie, Mythen
Überwachungsgesellschaft
Umwelt
Wirtschaft
Wissenschaft & Technik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren