Mittwoch, 7. Oktober 2009

Generalverdacht im Gefahrengebiet

Unter dem Titel “Kultur – Technik – Überwachung. Alltagspraktiken und Überwachung – Überwachungspraxen im Alltag” findet am Freitag und Samstag in Hamburg eine interessante Tagung am Institut für Volkskunde/Kulturanthropologie der Universität Hamburg statt:
Forschungskolleg Kulturwissenschaftliche Technikforschung, 9. und 10. Oktober 2009
Anmeldung: tagung2009 @ surveillance-studies.org
(Über: Tagung zu Überwachung in Hamburg (netzpolitik))

Hamburg ist als Tagungsort nicht schlecht gewählt. In Hamburg, eigentlich eher als "liberal" und "tolerant" bekannt, gibt es seit 2005 mit dem "Hamburgische Gesetz zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" das, laut Eigenlob der CDU-Bürgerschaftsfraktion, "schärfste Polizeigesetz Deutschlands". Es ist m. E. typisch für den verschobenen Bezugspunkt polizeilichen Handelns in den letzten Jahren: es geht nicht mehr darum, die Bürger und ihre Rechte zu schützen, sondern um Verbrechensprävention - auch um den Preis, dass im Prinzip jeder ein potentieller Risikofaktor ist, ein potenzieller Gefährder, der überwacht werden muss.

Seit Juni 2005 hat die Hamburger Polizei das Recht, aufgrund ihrer "Lageerkenntnisse" sogenannte Gefahrengebiete zu definieren, in denen sie "Personen kurzfristig anhalten, befragen, ihre Identität feststellen und mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen" darf. (§ 4 Abs. 2 PolDVG)
Seitdem hat die Polizei 38 Gefahrengebiete auf die Stadtkarte gezeichnet. Ganze Stadtteile unterliegen dem polizeilichen Ausnahmezustand, um Identitätsfeststellungen, Durchsuchungen, Platzverweise und Aufenthaltsverbote zu begründen. Gefahrengebiete - die übrigens nicht nur vermeintlich "üble Gegenden" sind, sondern zu denen auch z. B. der eher beschauliche Ortskern Bergedorfs gehört - konstruieren einen Generalverdacht gegenüber Menschen, die sich in bestimmten Stadtteilen aufhalten.
(Mehr darüber: Gefahrengebiete in Hamburg.)

Im Prinzip wäre ich ja für ein "Bürgergeld", aber ...

... mit dem Modell eines "bedingungslosen Grundeinkommens" hat das, was die FDP einführen möchte, nur am Rande etwa zu tun.

Das FDP "Bürgergeld" hat auch nur am Rande mit der radikal liberalen Idee einer "Negativen Einkommensteuer" zu tun - die einzige Übereinstimmung sehe ich darin, dass das "Bürgergeld" vom Finanzamt ausgezahlt werden soll. Es verzichtet nicht auf die Bedürftigkeitsprüfung (gut, das war zu erwarten) - und es ist mit 662 Euro im Monat so niedrig angesetzt, dass es gerade keine Freiräume schafft. Tatsächlich würde damit das soziale Sicherungssystem auf ein Minimum gekürzt.

Der Hammer aber ist das damit verbundene "Workfare"-Konzept - "Workfare" bewusst in Anführung, denn es geht dabei um "Kein-Euro-Jobs" - "Workfare" im klassischen Sinne wäre der "1-Euro-Job", so wie er ursprünglich mal geplant war. Hartz IV soll durch Workfare ersetzt werden.
Der nun angedachte "Kein-Euro-Job" geht de facto in Richtung Dienstverpflichtung. Natürlich fehlt zu einem tatsächlichen "Reichsarbeitsdienst" noch die Kasernierung. Aber früher oder später wird irgendein "Experte" auch noch darauf kommen - z. B. bei jungen Arbeitslosen.

Was es mir dem "Bürgergeld"-Vorschlag der FDP auf sich hat, und worin sich "Bürgergeld" und "Grundeinkommen" unterscheiden, lässt sich in zwei Broschüren nachschlagen: Bürgergeld (Kerstin Funk) (pdf) und Bürgergeld und Grundeinkommen (Peter Altmiks) (pdf).

Was ungemein auffällig ist: allenfalls die ökonomische Einstellung ist "liberal" - Bürgerrechte für arme Menschen sind offensichtlich weniger wichtig. Wer sich nicht im Niedriglohnsektor ausbeuten lassen will, ist eben faul. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.
Die liberale Rhetorik kann gar nicht über die erzkonservative bis reaktionäre Auffassung, die Reduzierung der Bürger auf ihre Arbeitskraft, hingwegtäuschen.

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