Freitag, 17. Juli 2009

"Freiheit statt Angst" - der Trailer

Freiheit statt Angst - der Trailer from Alexander Svensson on Vimeo.

Gefunden auf netzpolitik.org.

Auch vor 40 Jahren - die Bundesrepublik bestand den Freiheitstest

Es ist viel von der "´68ern" die Rede, sehr oft leider in einer Weise, die ich nicht mehr als "kritisch", sondern nur noch als "hämisch" bezeichnen kann: an allem Möglichen und Unmöglichen, vor allem am angeblichen Werteverfall, sollen die (realistisch gesehen) paar rebellischen Studenten und Jung-Akademiker schuld sein.
Die "´68er" waren aber nur ein winziger Teil einer umfassenden Änderung des gesellschaftlichen Klimas und der politischen Kultur in der Bundesrepublik Deutschland. Ich halte dabei die Spiegel-Affäre 1962 und die Reaktionen der empörten Öffentlichkeit auf die Verhaftung regierungskritischer Journalisten für die entscheidende Wegmarke weg vom autoritären Gesellschaftsmodell, hin zum westlich-liberalen Gesellschaftsmodell.
Das ungeachtet der z. B. von Jaspers damals gesehenen - und heute wieder bestehenden - Entwicklung der Bundesrepublik zur Parteienoligarchie, die wiederum in Richtung Diktaturstaat treibt.

1969 war das Jahr, in dem die Bundesrepublik Deutschland sich politisch von vielen "alten Zöpfen" der autoritären Vergangenheit trennte. Ich erwähnte an anderer Stelle das 1. Strafrechtsänderungsgesetz, das am 1. September 1969 in Kraft tat, womit gleichgeschlechtlicher Sex erstmals seit Jahrhunderten keine Straftat mehr war. 1969 erfolgte auch die große Reform des § 166 StGB, der "Beschimpfung von Bekenntnissen". Die Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen wird seitdem nur dann mit Geld- oder Freiheitsstrafe verfolgt, wenn der öffentliche Friede gestört werden kann. Verurteilungen aufgrund des "Gotteslästerungs-Paragrafen" 166 sind seitdem sehr selten geworden. Nicht zu vergessen: 1969 erlitt die NPD, die schon in den Landtagen von Hessen, Bayern, Bremen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Baden-Würtemberg saß, eine empfindliche Wahlschlappe und schaffte es bei der Bundestagswahl entgegen den Prognosen nicht über die 5 %-Hürde. Der Grund lag wahrscheinlich darin, dass die NPD nach innerparteilichen Auseinandersetzung ein Parteiprogramm verabschiedete, das nationalistisch und revisionistisch geprägt war, dass bekannt wurde, dass die NPD eine paramilitärische, SA-ähnliche Schlägertruppe mit Kampfausbildung und -ausrüstung unterhielt, und dass die NPD-nahe "Wiking-Jugend" eine beängstigende Ähnlichkeit zur Hitlerjugend hatte. Ein Partei mit erkennbaren Neonazi-Tendenzen und gewaltbereitem Anhang war offensichtlich für viele "Antilinke" und "Altrechte" nicht wählbar. In den kommenden dreieinhalb Jahrzehnten gelang es der NPD nicht mehr, oberhalb der kommunalen Ebene die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen.
Dass aus den Wahlen eine SPD-FDP-Koalittionsregierung unter Willy Brand ("Mehr Demokratie wagen") hervorging, beschleunigte die Entwicklung in Richtung "westliche liberale Demokratie" noch, war meiner Erachtens trotz des Reformwillens für diesen Prozess keine zwingende Voraussetzung. Wichtig war die sozialliberale Koalition, weil sich unter ihr die schon von der 1. Großen Koalition begonnene Entspannungspolitik gegenüber dem Ostblock beschleunigte. Damals waren viele Oppositionspolitiker der Ansicht, dass die Entspannung die deutsche Teilung zementieren würde, ab 1989 stellte sich heraus, dass sie das Zustandekommen der deutschen Einheit erleichtete. Man stelle sich zum Beispiel vor, es hätte keine de-facto Anerkennung der polnischen Westgrenze gegeben - wäre die "Wiedergewinnung der Ostgebiete" in den 70er und 80er Jahren noch offizielle Politik der BRD gewesen, wäre der 2 + 4-Vertrag schwerlich zustande gekommen. Auch hätte das Misstrauen gegenüber einer offen revanchistischen BRD alle Einheitsbestrebungen diskreditiert - übrigens auch im Westen.

In einem Interview mit Welt.de antwortete der deutsche Philosoph und Kulturwissenschaftler Peter Sloterdijk auf die Frage:
"Hat freiheitliches Denken in Deutschland überhaupt eine Chance?"
Immerhin haben wir vor 40 Jahren den entscheidenden Freiheitstest bestanden: Wie man weiß, hat man der BRD-Verfassung nach 1967 vorgeworfen, sie sei "eigentlich" nur eine faschistische Agentur unter liberaler Maske. Mir scheint die größte politisch-moralische Leistung der alten Bundesrepublik darin zu liegen, dass sie mit ihren jungen Hysterikern cum grano salis ohne größeren Schaden fertig geworden ist. Das politische System hat seine Reifeprüfung abgelegt, als es den Aufstand der Unreifen bewältigte. Es hat zahllosen Radikalen einen Rückweg in die Normalität angeboten, indem es ihnen zu verstehen gab: Sie hatten sich lächerlich, aber nicht strafbar gemacht. Mehr kann eine freiheitliche Verfassung ihren Verächtern nicht bieten.
Der Vorwurf, die BRD sei "eigentlich" nur eine faschistische Agentur mit liberaler Maske, den heute nicht einmal die meisten extremen Linken in dieser Form erheben würden, war damals weit bis ins linksliberale Lager verbreitet.
Wenn man sich z. B. den noch bestehenden Einfluss "alter Nazis" in Politik, Verwaltung, Bildungswesen und vor allem Justiz ansaht, an die Wahlerfolge der NPD dachte, die Debatte um die Notstandgesetze mitverfolgte, erlebte, mit welcher Brutalität Demonstrationen zusammengeknüppelt wurden, den aggressiven Antikommunismus vieler Medien (beileibe nicht nur denen des Axel-Springer-Verlages) berücksichtigte, die gefährlichen Lebenslügen der BRD erkannte (z. B. die, dass Westpolen und das ehemalige Ostpreussen nur "unter polnischer" bzw. "sowjetischer Verwaltung" stünden - kein bitterer Witz: damals zeigte die Wetterkarte der Tagesschau Deutschland in den Grenzen von 1937), und dann noch Jaspers kritische Analyse zur Parteioligarchie kannte, dann ist die extreme Skepsis gegenüber der BRD nur zu verständlich. Ab 1967 schlug diese Skepsis bei vor allem jungen Linken und Radikaldemokraten, wie Sloterdijk sagt, in Hysterie um. Durchaus verständlich, aber letzten Endes ein Bärendienst für die noch instabile liberale Demokratie.
Die Demokratie der BRD hat ihre Reifeprüfung bestanden, weil sie - trotz unübersehbaren Drucks, doch "hart durchzugreifen" und trotz der Terrorismus-Hysterie und des Radikalenerlasses der 70er Jahre, eben nicht die Mittel des autoritären Staates ausschöpfte - und "Jugendsünden" verzieh.

Leider ist die Gefahr groß, dass, sei es aus Dummheit, sei es aus Absicht, die autoritären Mittel heute nicht so sparsam angewendet werden wie ab 1969. Wobei die scheibchenweise Einführung eines Präventions-Straftrecht, das Unter-Strafe-stellen bloßer Absichten, die gefährlichsten Nebenwirkungen dieser Mittel für die Demokratie hat. Bezeichnenderweise war der größte Fehlgriff der 70er Jahre, der "Radikalenerlass", dem Präventionsgedanklen geschuldet - Prinzip: "Wer Mitglied in der DKP ist, betreibt auch Sabotage im Auftrag Ostberlins".

Damals bestand die BRD den Freiheitstest. Heute bin ich mir dessen leider nicht mehr so sicher.

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