Samstag, 28. Februar 2009

Schreiben nach Schema F?

Vor einigen Wochen meinte momorulez, angesichts einer gewissen Öde in einer hamburgischen Großbuchhandlung:
Lebenweisheit - Kanon - Best of, eigentlich zieht sich das durch alle Regalbretter da in der Thalia-Buchhandlung, und das Schlimme ist ja, daß es darum auch in den “Sternstunden der Bedeutungslosigkeit” geht, nur gegativ, wobei zum Glück bisher keine Songs auftauchen. Soweit es nicht den Wildwuchs von Krimi, Thriller, Fantasy betrifft, wo auch alle Klappentexte sich gleich lesen - hätte es wirklich so viele dubiose Geheimbünde gegeben, wäre die Realhistorie bestimmt lustiger gewesen.Und vor lauter Serienkillern gäbe es die Menschheit gar nicht mehr.
Kunst kommt nicht von Können

Was das Buchsortiment als solches und im großen und ganzen angeht, kann ich momorulez Beobachtung nur bestätigen. Tendenziell sah es bei "Thalia" zwar nie anders aus, allerdings ist das Angebot, nicht nur hier, tatsächlich im Laufe der Jahre risikoscheuer geworden. Wie überall gilt: hohe Gewinne lassen abseits des Massengeschmacks nicht realisieren.

Als eifriger Science Fiction-, Fantasy und Krimi-Leser (und gelegentlicher -Schreiber) mag ich aber den Vorwurf, der auch an die Adresse der Schreiber geht, nicht auf den Science Fiction, Fantasy- und Krimi-Schreibern sitzenlassen.

Klappentexte bzw. Rückseitentexte haben in diesen Genres - überhaupt im Massen-Buchmarkt - erfahrungsgemäß nicht viel mit dem Inhalt zu tun. Oft sind sie sogar regelrecht falsch - als ob die Autoren der Klappentexte niemals das dazugehörige Buch gelesen hätten. In meinem Blog verlinkte ich einen Klappentextgenerator für Mystery-Thriller á la Dan Brown: Auch mal Bestseller-Autor sein? - die generierten Texte wirken sehr echt, weil auch bei realen Texten dieser Art immer wieder mit den selben “bewährten” Textbausteinen gearbeitet wird. Wie fast überall, wo es um Werbung und PR geht.

In Verteidigung der Schreiber meine ich ferner: Das Problem in diesen Genres liegt weniger bei den Autoren, denen nichts originelles mehr einfallen würde, als bei den großen Verlage - wobei die paradoxe Faustregel gilt: je größer, desto risikoscheuer. (Mutmaßliche Gründe: hohe Gewinnerwartung, Planbarkeit von Umsätzen, Angst der Medienkonzerne, bei Anteilseigner oder politischen Unterstützern ins Fettnäpfchen zu treten.) Das sitzen genau die Sorte Leute, die Frau Joanne K. Rowling erzählten, Kinderbücher über Magier und Internate würden sich heutzutage nicht mehr verkaufen, da hätte man Erfahrung, so was lesen die Kids heute nicht mehr.

Hinzu kommt meiner Ansicht nach, dass bestimmte Themen “den Nerv der Zeit treffen”, wenn auch manchmal leider so, wie ein ungeschickter Zahnarzt beim Bohren den Nerv trifft. "Verschwörungen” und “Serienkiller” umreißen ziemlich genau zwei zentrale, aber irrationale, Ängste unserer Zeit - die Verbindung aus beidem wäre das politische Angstthema Nr. 1, Terrorismus.

Da widersprach mir momorulez. Er wäre nur richtig wütend, irgendwann beim Stöbern, bei so vielen Büchern immer auf die gleiche Skizze zu treffen. Und die Serienkiller seien ja nur deshalb so beliebt, weil sich da der Plot am besten drumrum basteln ließe nach Lehrbuch - passieren halt immer wieder neue Morde, die neue Hinweise bedeuten, man kann Opfer in irgendwelche Keller sperren und dann die nächsten 50 Seiten verschweigen, was mit denen da passiert usw. . Er glaube gar nicht, dass das der Terrorismus ist, der dahinter steckt, “Schweigen der Lämmer” als Film, das wäre ja schon 1990 gewesen. (Da denkt momorulez vielleicht zu kurz: denn die aus dem Gefühl des Kontrollverlustes, des Gefühls, Spielball unkontrollierbarer Ängste zu sein, geborene Verschwörungsangst ist viel älter als 1990. Und Terrorismusangst ist zumindest in Westdeutschland schon seit ca. 1970 kultureller Faktor.)

Bei Science Fiction und Fantasy kenne ich er sich viel weniger aus, aber er wettete mit mir, dass auch da 98% nach den immergleichen Mustern geschrieben sind. Ich ließ mich auf die Wette nicht ein, denn wenn auch nicht 98% der erschienenen Titel nach "Schema-F" geschrieben sind, so hege ich den begründeten Verdacht, dass 98% der "abverkauften Auflage" oft gut gemachte Konfektionsware sind.

Das lässt sich mit "Sturgeons Gesetz" allein nicht begründen. Nach diesem Gesetz ist nur eines von 10 Büchern wirklich lesenswert, und von den 10 lesenswerten Büchern hat nur eines literarischen Bestand. Verallgemeinert: "99 % of everything is scrap" - was nicht ganz dem Sinn des ursprünglichen Gesetzes entspricht.
Dieses Gesetz stammt vom SF-Schreiber Theodore Sturgeon, einem hervorragender Schriftsteller, der es aber nie zum Bestseller-Autoren gebracht hatte - auch, weil er ungern nach "bewährten Rezepten" schrieb. (Allerdings taten auch die "ganz großen" SF-Schreiber seiner Generation - etwa der mit ihm befreundete Robert A. Heinlein - das nicht.)
Zurück in die Gegenwart: Zum Beispiel neigt der finanziell erfolgreichste deutschsprachige Fantasy-Autor, Wolfgang Hohlbein, sehr dazu, formelhaft zu schreiben. Es gibt zwar auch originellere Kollegen, die ebenfalls sehr gut verkaufen, z. B. Andreas Eschbach - aber auch bei Eschbach fällt auf, dass er einige seiner größten kommerziellen Erfolge im Weltverschwörungs-Bereich erzielte. ("Das Jesus-Video" ist zwar ungleich origineller und besser recherchiert als die meisten Verschwörungsthriller - und einige Zehnerpotenzen besser als die unsägliche Ver-Filmung - aber eine Zeitparadoxa-Geschichte ohne verschwörerische Elemente wäre wohl nur etwas für SF-"Stammleser" gewesen - und das sind zu wenige für einen echten Bestseller.)

Woran liegt's? Auch am Lesepublikum. Sicher vor allem an den Verlagen. Aber leider auch an den Schreibern.
Zugleich handwerklich gute und originelle Schreiber kommen nicht aus dem Nichts.

Lange Zeit waren in Deutschland die Heftromane zugleich “Versuchslabor” und “Talentschmiede” der Genreliteratur. Seit etwa den 1980er Jahren ist dieser Markt fast vollständig zusammengebrochen - wie zuvor in den USA der Markt der Story-Magazine. Beides wirkt sich meines Erachtens deutlich auf die durchschnittliche Qualität der Genreliteratur aus.
Auf dem Feld der Musik wäre der entsprechende Faktor das “Clubsterben”.

Was dabei wesentlich ist: ein Heftroman-Schreiber verdient mit seinem Schreiben Geld. Anders die heutigem "Fanautoren", für die die Schreiberei ein reines Hobby ist.
Habe ich als Hobbyschreiber Ambitionen, mit meinem Schreiben Geld zu verdienen, muss ich eine relativ hohe Schwelle überwinden: Mein Buch muss den Lektor und - noch wichtiger - den Marketing-Leiter des Verlags überzeugen. Das geht nicht mit rasant und ideenreich hingerotzten Texten. Also werde ich, als angehender Autor zum “Wie schreibe ich einen Roman”-Ratgeber greife oder Schreibkurse besuchen. (Es gibt auch gute Schreibkurse, die dem angehenden Autoren wirklich erlauben, sich weiterzuentwickeln, aber die meisten gehen doch in die Richtung, "bewährte Rezepte" zu vermitteln. Was man bitte nicht mit der alten Erfahrung "nur, wer die Regeln kennt, kann sie aufbrechen" verwechseln sollte.)

Das Ergebnis sind dann Schreiber, deren Debutromane sich formal und stilistisch kaum hinter denen "alter Hasen" verstecken müssen - bei denen ich als Leser aber oft das Gefühl habe, das Buch schon längst zu kennen.
Das andere Extrem sind Hobbyautoren, die nie ernsthaft mit Kritik konfrontiert wurden - und die sich oft in maßloser Selbstüberschätzung für verkannte Genies halten. Die dann allzu leicht an unseriöse Druckkostenzuschussverlage oder gar an betrügerische Pseudoverlage gelangen.
(Damit einem das nicht passiert, sollte man als angehender Schriftsteller sollte man deshalb unbedingt mal hier vorbeisehen: Aktionsbündnis für faire Verlage.)

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