Dienstag, 10. Februar 2009

Klischees

Eine beinahe selbst zum Klischee gewordener Aussage in vielen Buch- oder Film-Renzensionen ist die, dass der renzensierte Text oder Film zu viele Klischees enthalten würde.

Das wirkt manchmal so, als ob Klischees etwas ganz schlimmes sein müssten. Und in der Tat gibt es Texte und Filme, deren Autoren so eifrig, ja krampfhaft, Klischees vermeiden, dass ihre Werke - nun, sehr verkrampft wirken. Klischees gelten nun einmal als Merkmal der Trivialliteratur - obwohl auch die Werke z. B. Thomas Manns oder Heinrich Bölls Klischees enthalten, und die "Klischees bei Günter Grass'" schon zu meiner Schulzeit, in der Grass so klischeereiche Bücher wie "Ein weites Feld" und im "Im Krebsgang" noch gar nicht geschrieben hatte, ein beliebtes Thema für Deutsch-Klassenarbeiten waren.
Sich von der pöbelhaften Trivialliteratur abzugrenzen, ist vor allem im deutschen Sprachraum immer noch eine relativ einfache Methoden, vornehm ausgedrückt, Distinktionsgewinne zu erzielen. Weniger vornehm: die Nase hoch zu tragen.

Klischees sind an sich nichts Schlimmes. Man mag sich an den "abgedroschenen Klischees" über z. B. Journalisten, Computerfreaks, Professoren oder Polizisten etwa in Krimis stören oder nicht: in den meisten Fällen sind sie immerhin recht treffende Karikaturen eines Journalisten, Computerfreaks, Professors oder Polizisten. Problematisch ist es nur, wenn sich die Charakterisierung etwa eines Journalisten auf diese Klischees beschränkt. Wenn eine Figur oder Situation mehr enthält als nur das Klischee, halte ich es für akzeptabel, manchmal sogar angebracht, auf ein Klischee zurückzugreifen.
Wirklich schlimm sind Klischees dann, wenn sie unzutreffend und diskriminierend sind - und dann, wenn nicht mehr Differenziert wird.
Ein schon morgens seinen Whisky trinkende Journalist ist ein Klischee, das insofern zutrifft, da Journalisten tatsächlich überdurchschnittlich oft Alkoholprobleme haben. Die Aussage "alle Journalisten sind Säufer" oder "die meisten Journalisten schreiben im Suff" trifft nicht zu und setzt einen ganzen Berufstand herab.

Trotzdem gibt es Klischees, die einfach nur auf die Nerven gehen. Abgegriffene Klischee-Handlungen zum Beispiel. Die Stellen, bei denen ich weiß: "Ach, nun kommt das schon wieder!" und je nach dem ein paar Seiten umblättere, vorspule, ein Bier aus dem Kühlschrank hole oder mal kurz aufs Klo gehe.
Um in diesem Sinne abgegriffen zu sein, muss ein Klischee gar nicht mal alt sein. Anje Schrupp nimmt in Hollywood im Vaterkompex ein relativ neues, aber trotzdem schon abgegriffenes Klischee aufs Korn: den "Vaterschwulst-Dialog", der seit einige Jahren sogar in Filmen auftritt, in denen es sonst gar nicht um Vaterkonflikte geht.
Womit ein anderer Grund, weshalb ein Klischee auf den Geist gehen kann, schon angeschnitten wäre: mangelnde Plausibilität.

Smog gehört - zumindest in Deutschland - zu den weitgehend gelösten Umweltproblemen. Trotzdem gehört er nach wie vor zum Inventar vieler Romane mit Umweltproblematik, und das nicht nur, weil diese buchstäblich atemraubende Mischung aus Abgasen und Nebel z. B. in China leider noch Alltag ist. Er taucht sogar da auf, wo er von der inneren Logik des Szenarios her längst verschwunden sein sollte.
Zum Beispiel im klischeereichen, aber trotzdem (manchmal beunruhigend) realistisch wirkenden Shadowrun-Universum.
Über den Ballungsgebieten (Metroplexen oder Sprawls) liegt in der Shadowrun-Zukunft typischerweise eine dichte Dunstglocke, die sich ohne Atemmaske kaum ertragen lässt. Anderseits erfährt man aus dem Hintergrundmaterial zum Rollenspielsystem, dass fast die gesamte elektrische Energie aus Fusionsreaktoren oder Solarkraftanlagen stammt. Autos fahren, zumindest in der "Allianz Deutscher Länder", mit Elektromotoren. Koksbetriebene Hochöfen gehören ebenfalls der Vergangenheit an. Das Zeitalter der fossilen Energieträger ist, da es kaum noch kostengünstig erschließbare Erdöl-, Erdgas- oder Steinkohlevorkommen gibt, und Kosteneffizienz im erzkapitalistischen und durch den buchstäblich mörderischen Konkurrenzkampf der Konzerne gekennzeichneten Shadowrun-Universum das oberste Gesetz ist, längst Geschichte.

Das heißt, für eine richtig "dicke Luft", egal, ob als klassischer rauchiger Wintersmog oder Sommersmog mit reichlich Ozon, fehlen die "Rohstoffe". Das Klischee stimmt nicht, obwohl es um den Umweltschutz, eben wegen des manischen Kosteneffizienzdenkens, eher schlecht bestellt ist, z. B. was die Sondermüllentsorgung angeht (die erfolgt nach dem Motto "Deckel drauf und vergessen", mit entsprechenden Folgen).

Warum also dieses "abgegriffene Smog-Klischee"? Es wird, nicht nur im "trivalen" Shadowrun, deshalb verwendet, weil es sich längst verselbständigt hat. Smog ist in unserer Kultur eine allgemein verständliche Metapher für Umweltzerstörung geworden - deshalb gibt es auch Wortprägungen wie "Elektro-Smog".

Umweltzerstörung ist eine Grundeigenschaft der kaputten Shadowrun-Welt - in Form von lecken Giftmülldeponien, katastrophalen Klimaveränderungen, zerstörten Kernkraftwerken usw.. Hinzu kommt, als charakteristische Besonderheit Shadowruns, die "magische Umweltverschmutzung".
Smog - mit Kratzen im Hals, schlechter Sicht, Hustenanfällen, brennenden Augen und Atemnot - ist eben eine "sinnliche" Form des Umweltdrecks, während man erhöhte Radioaktivität oder Dioxine im Salat nicht spürt - jedenfalls nicht sofort. Daher ist das Smog-Klischee eine einfache Methode, um beim Spieler oder Leser das Gefühl einer bedrohlich dreckigen Umwelt zu erzeugen.

Wieder verallgemeinert: dem Leser, Zuschauer oder Spielers geläufige Klischee erleichtern das Einfinden in die Situation. Was dann auch der Grund dafür ist, Klischees absichtlich und wohlbedacht zu verwenden.

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