Sonntag, 18. Januar 2009

Politikverständnis, deutsches

Nach Angaben des Deutschen Kinderschutzbundes werden rund 80 Prozent der Fälle von sexuellem Missbrauch *) an Kindern im familiären Umfeld begangen, dies gilt unter anderem für die Aufnahme kinderpornografischer Bilder.
(*) Besser wohl: sexualisierter Kindesmisshandlung, es gibt keinen "korrekten Gebrauch" von Kindern!)

Neue Bedenken gegen Web-Sperren im Kampf gegen Kinderpornographie

Auch wenn es unter den Politiker der im Bundestag vertretenen Parteien und unter den einschlägigen Verbandsfunktionären sicher zahlreiche Fälle von informationstechnischem Analphabetismus gibt, müssten zumindest diejenigen, die wissen, wo man den Rechner anschaltet und was denn ein Browser ist, wissen, dass die geforderten Zensur- und Blockademaßnahmen aus technischer Sicht schlicht Blödsinn sind.
Sagt irgend einer einfach: Ich mache diesen unnützen Scheiß nicht mit?
Nö. Denn wir sind in Deutschland. Und in der Deutschen Politik kommt es nicht darauf an, dass eine Maßnahme wirksam ist oder wenigstens nicht schadet, sondern, dass sie gut gemeint ist (die beiden Konjunkturprogramme sind z. B. voller rein symbolischen Maßnahmen) - die (vermeindlich) moralische Absicht rechtfertigt alles - einschließlich Grundrechtsverletzungen.
Die grüne Familienpolitikerin Ekin Deligöz warnte davor, sich von einer Sperrung von Kinderpornos im Internet "Wunder" zu erwarten. "Der Zugang zu Internetseiten kann blockiert werden, aber nicht der Zugang zu Pornographie", weiß die künftige Vorsitzende der Kinderkommission des Bundestags.
So weit, so gut. Was nun kommt, ist für das deutsche Politikverständnis leider symptomatisch:
Der Konsum verschiebe sich auf ausländische Seiten oder auch auf den Postweg. Sie unterstütze eine Gesetzesänderung für das Vorhaben der Familienministerin dennoch, da es damit zumindest schwieriger werden könnte, an Kinderpornographie heranzukommen.
Also, im Klartext: es gibt durch die Filterung weder weniger Kinderpornographie noch weniger Konsum von Kinderpornos. Dass potenzielle Konsumenten es dann eventuell ein klein wenig schwierigen haben, an ihren "Stoff" zu kommen, rechtfertigt massive und aufwändige Zensur. (Der Internetexperte der Opferorganisation "Weißer Ring", Veit Schiemann, wies darauf hin, wie viel Personalaufwand mit einer ständig aktualisierten BKA-Liste verbunden wäre.) Wobei "Kinderpornographie im Internet" sowieso nicht über das WWW, also Websites, läuft, sondern über File Sharing, IRC und in gewissen Umfang auch noch Usenet-Gruppen. Selbst die "verschlüsselten Seiten", die Harald Summa, Geschäftsführer des Providerverbandes Eco erwähnt, dürften kaum eine Rolle spielen, da sie für die Betreiber zu riskant wären. Im Übrigen widerspricht auch Summa Erwartungen, durch die Filterung könne die Kinderpornografie an sich verhindert werden.
Gegen die größte reale Gefahr für surfende Kinder, nämlich die, dass ein Kind in einem Chatroom von einem Pädosexuellen angechattet wird, sind technische Filtermaßnahmen ohnehin unnütz.

Was soll das Ganze also? Eine mögliche Antwort gibt der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar im Tagesspiegel: Bis zur Sperre. (Übrigens ein Artikel, der voller unhinterfragter Behauptungen steckt.)
„Es muss vermieden werden, dass normales individuelles Surfverhalten nachverfolgt wird.“ Sonst könnte solch ein Filter etwa auch für die Kontrolle von Urheberrechten benutzt werden.
Ich bin kein Freund von Verschwörungstheorien, allerdings sieht es für mich durchaus so aus, als ob genau das mittelfristig der Sinn der Übung wäre: das politische Fernziel wäre die Möglichkeit, das Surfverhalten "endlich" wirksam kontrollieren zu können (und bei "auffälligem Verhalten" präventiv einzuschreiten). Ich habe den Eindruck, unsere politische Klasse hat (möglicherweise zurecht) Angst vor dem Internet und will es deshalb so weit wie irgend möglich kontrollieren.
Ein kurzfristiger ökonomischer Nutzen entsteht durch die Urheberrechtskontrolle.
Natürlich ist die Rechteverwertungsindustrie (denn um deren Interessen geht es bei der Urheberrechtskontrolle, nicht etwa um die der gern vorgeschobenen Kulturschaffenden) nicht allmächtig - tatsächlich beschränkt sich ihre Macht darauf, dass ihre Lobbyisten das Ohr der politischen Entscheider haben. Aktuelles Beispiel ist die von der EU geplante Verlängerung der Schutzfrist von Tonaufnahmen auf 95 Jahre: Open Rights Group zur geplanten Verlängerung der Schutzfrist des Copyrights für Tonaufnahmen

Nun ist die Musikindustrie eine eher unwichtige Brache. Deshalb fragt Thomas Knüwer zurecht:
Wenn selbst eine so unbedeutende Branche eine Internet-Sperrung erreichen kann - was passiert, wenn größere Industrien entsprechendes begehren?
Wie eng politische und kommerzielle Interessen bei der Bürgerüberwachung verzahnt sind, zeigt sich auch bei der Vorratsdatenspeicherung: Vorratsdaten - Überwachungstechnik als Wettbewerbsvorteil - Teil 2: Merkantiler Mehrwert und bereits anfallende Daten.

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