Mittwoch, 18. Juni 2008

Unbequeme Wahrheiten: Studie zur Ursachen rechtsextremer Einstellungen

Die Uni Leipzig veröffentlichte eine neue Studie über die Ursachen rechtsextremer Einstellungen in Deutschland.
Wenn auch die Ergebnisse alles andere als unerwartet sind, sind die möglichen Konsequenzen erschreckend.
Es zeigte sich, dass es mehr Fremdenfeinde als bislang angenommen gibt. Selbst Befragte, die in der ersten Studie nicht durch rechtsextreme Einstellungen aufgefallen waren, äußerten der Gruppendiskussion mit großer Selbstverständlichkeit ausländerfeindliche Ressentiments.

Die Teilnehmer der Diskussionen empfinden offenbar einen hohen gesellschaftlichen Anpassungsdruck. Gleichzeitig werden aber Sanktionen gegenüber abweichendem Verhalten akzeptiert, die diesen Druck noch verstärken. Diese scheinbar paradoxe Haltung kann man im Alltag oft beobachten: Zum Beispiel den Arbeitslosen, der über die "unverschämte Neugier" der Arbeitsagentur stöhnt - aber es gleichzeitig völlig in Ordnung findet, dass ALG II - Empfängern, die nicht "sputen", die Bezüge gekürzt werden. Oder den Steuerzahler, der über das "kleinliche" Finanzamt meckert, aber dafür ist, dass "Steuertrickser" mit aller Härte des Gesetzes bestraft gehören. Ein für autoritäre Persönlichkeiten typisches Verhaltensschema.

Hinzu kommt ein offenbar großes Unwissen und Unverständnis über die Möglichkeiten der Mitwirkung in einer Demokratie, verbunden mit einer Geringschätzung des demokratischen Systems an sich. Es sieht so aus, als ob es nur insofern akzeptiert wird, wie es individuellen Wohlstand garantiert. Eine keineswegs neue Erkenntnis - für die Alt-BRD war das schon in den 1960er bekannt, unter dem Schlagwort "Schönwetterdemokratie".
Erschreckend war für uns, wie gern die Befragten auch die bescheidenste Demokratie gegen autoritäre Strukturen eintauschen würden, in denen vermeintlich Ordnung, Ruhe und Chancengleichheit herrscht",
sagt Dr. Oliver Decker, einer der Autoren der Studie.
Viele der jungen Leute hofften auf "irgend einen Führer", weil es so nicht mehr weitergehen könne, die Teilnehmer mittleren Alters resignierten und meinten sarkastisch, Politik sei ohnehin nur Lug und Trug, während die Älteren die klaren Regeln ihrer Jugend - im Osten die Umstände in der DDR und im Westen zuweilen sogar die Nazizeit - als Vorbild heranzögen und glorifizierten.
Eine keineswegs überraschende Erkenntnis.

Die Studie zeigt aber auch, dass sich etwas gegen den "Rechtsextremismus" in der Mitte der Gesellschaft tuen lässt:
Autoritäre Denkstrukturen und Gewalterfahrungen haben eine große Bedeutung, wenn sich rechtsextremer Einstellungen herausbilden.
Die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineindenken und hineinfühlen zu können, zur Empathie, und die Erfahrung, anerkannt zu werden, schützen vor rechtsextremen Ressentiments.

Ein weiterer zentraler Punkt ist der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands: Weigern "man" (Politik, Medien, Schule, Elternhaus usw.) sich, mit der NS-Zeit auseinanderzusetzen, fördert das rechtsextreme Einstellungen.
Rechtsextreme Einstellungen werden durch inhaltliche und emotionale Auseinandersetzung mit dem Thema gebremst.
Eigentlich sollte das eine Binsenwahrheit sein!

Dass rechtextremes Gedankengut selbst nach über einem halben Jahrhundert noch weit verbreitet sei, erklären Decker und Brähler, die Autoren der Studie, mit der "narzisstischen Plombe": Der mit dem so genannten Wirtschaftswunder in Westdeutschland relativ schnell einsetzende Wohlstand habe weder für Nachdenklichkeit noch für Scham Raum und Zeit gelassen. Was m. E. die Erkenntnisse des Ehepaars Mitscherlich aus den 1960er Jahren ("Die Unfähigkeit zu trauern") auch für die heutige Zeit bestätigt.
Eine ähnliche Entwicklung - ein "Wirtschaftswunder" (und wahrscheinlich auch einen "Schlussstrich" unter die unerfreulichen Seiten der DDR) - erhofften Ostdeutsche nach der Wende und antworteten, als diese Erwartung enttäuscht wurde, mit Politik- und Demokratieverdrossenheit.
"Immer dann, wenn der Wohlstand als Plombe bröckelt, steigen aus dem Hohlraum wieder antidemokratische Traditionen auf",
sagt Decker.

Studie der Untersuchung zum Download (pfd)

Einige Bemerkungen:
Die Studie zeigt wieder einmal, dass der geläufige und auch von mir verwendete Ausdruck "rechtsextrem" im Grunde falsch ist - der "klassische" Nationalsozialismus ist, wie seine modernisierten Varianten (z. B. die Ideologie der "Neuen Rechten") ein Extremismus der Mitte. Die Weltsicht, die dem "Rechtextremismus" zugrunde liegt, ist in der "Mitte der Gesellschaft", bis weit in "konservative" aber auch "traditionslinke" Kreise hinnein, weit verbreitet. Was z. B. Neonazis von den Antidemokraten am Stammtisch und am Küchentisch unterscheidet, ist, dass sie Worten auch Taten folgen lassen.

Andererseits: Auch wenn es erschreckend viele "Rechtsextremisten" und noch mehr stille Beifallklatscher gibt - sie sind eine Minderheit! Unser Problem ist, dass Minderheiten, die die "kulturelle Hegemonie" im Sinne Gramscis erobern, auch bestimmen können, wo es "politisch längsgeht" - ein Beispiel war die de facto Abschaffung des Asylrechtes 1993 - ein fremdenfeindliches Ressentiment hatte nicht nur die "Lufthoheit über den Biertischen" erobert, sondern auch "bürgerliche" Medien. Angesichts der Eskalationen stimmten FDP und SPD nach höchst kontroversen innenpolitischen Diskussionen einer von der CDU-Regierung Kohl vorgeschlagenen Einschränkung des Grundrechts auf Asyl zu - mir dem Ziel, den "sozialen Frieden" zu bewahren.

Und noch etwas: "Moraltheologie", immer gleiche Textbausteine der "Empörung", Lichterkettenwerfen, symbolische Symbolverbote und eine Strategie, die auf Verbote, Überwachung und Sanktionen setzt, bringen gegen einen "Extremismus der Mitte" wenig. Hysterie und unüberlegter Aktionismus spielen unseren "braunen Kameraden" eher in die Hände - und Verbote schaden der Demokratie mehr, als sie sie schützen.

(K)Eine gute und eine schlechte Nachricht aus unseren Nachbarländern

Zuerst die Gute:
Schwedens Regierung zieht Abhörgesetz zurück.
Die konservative schwedische Regierung unter Statsminister (etwa: Premierminister oder Ministerpräsident) Fredrik Reinfeldt wollte dem militärischen Abhördienst FRA umfassende und verdachtsunabhängige Kontrollmöglichkeiten für den kompletten Mail- und sonstigen Internet-Verkehr ins Ausland sowie alle grenzüberschreitenden Telefonate geben, um "Gefahren von außen" schneller erkennen zu können.
Dazu sollten alle von Schweden ins Ausland führenden Datenkabel mit Filtern versehen werden, die auf vorher definierte Begriffe, Zahlenkombinationen oder andere Codes reagieren. Eine ähnlich umfassende Kontrolle gibt es nach Auskunft von Experten ausschließlich über das umstrittene britisch-amerikanische Spionagesystem "Echelon". Die liberale schwedische Zeitung "Dagens Nyheter" verglich Schweden deshalb mit Nordkorea oder der früheren DDR. Der Gesetzentwurf wird an die Ausschüsse zurücküberwiesen.
Zu denken gibt mir, dass der Gesetzentwurf wegen Widerstands aus den eigenen Fraktionen der vier Koalitionsparteien zurückgezogen wurde - das Regierungsbündnis verfügt nur über eine knappe Mehrheit von vier Mandaten. Gäbe es in Schweden eine große Koalition mit satter Mehrheit, wäre das Schnüffelgesetz jetzt durch.

Nachtrag: Es sieht so aus, als ob mit ein kleine Korrekturen das in schwedischen Medien "Lex Orwell" genannte Gesetz doch noch durchkäme: Schweden legt Lausch-Gesetz mit Abstrichen vor
Stimmt "Nein" - Schweden protestiert gegen Abhörpläne der Regierung.
... Fy fan *)
Schwedens Parlament stimmt umfassendem Lausch-Gesetz zu - mit einigen kosmetischen Abstrichen und einigen kleinen Beruhigungspillen.
*) Pfui Teufel! - Mir fällt gerade kein saftigeres schwedisches Schimpfwort ein ...

Nachtrag: sehr guter Beitrag auf Rabenhorst: "STOPPA Lex Orwell" in Schweden

... und nun die Schlechte:
Weißrusslands Parlament billigt repressives Mediengesetz .
Ein Mediengesetz, mit dem sich meines Erachtens Lukaschenkos Regime als "lupenreine Diktatur" (und nicht "nur" als "autoritärer Staat", wie Weißrussland bei uns meistens genannt wird) zu erkennen gegeben hat. Bisher war das Internet in Weißrussland praktisch die einzige noch unabhängige Informationsquelle. Das neue Gesetz macht damit Schluss: Alle Medien müssen sich bei der Regierung registrieren lassen, auch Internet-Zeitungen. Websites können nur ohne Vorwarnung geschlossen oder der Zugang blockiert werden. Journalisten können für die Weiterverbreitung ausländischer Nachrichten inhaftiert werden. Weiterhin dürfen nur noch registrierte Journalisten im Internet Texte und Bilder publizieren. (Praktisch ein Blog-Verbot.) Das Gesetz muss noch eine zweite Lesung im Herbst passieren, was wohl reine Formsache ist.

Wahlslogan

Zugegeben, bisher war Oskar Lafontaine ("Fremdarbeiter") für mich eher ein Grund, nicht die "Linken" zu wählen.
linke
"Für ein Deutschland ohne Dieter Bohlen!" Mit der Parole schafft "Die Linke" aus dem Stand 45 % - mindestens!

Bildmontage und Bearbeitung: zenzizenzizenic aus dem ZAF-Beitrag:
Der Tagesspiegel als Satirezeitung

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