Samstag, 26. Januar 2008

Die "Weimarer Republik" war besser als ihr Ruf

Dieser Artikel des "Kölner Stadt-Anzeigers" passt thematisch gut zu meinem vorherigen Blog-Beitrag:
Gerechtigkeit für Weimar.
Die Verunglimpfung, unter der die erste deutsche Demokratie vom ersten Tag an litt, hält auch nach ihrem Tod an - so als wäre diese schwächliche Republik nicht ein Opfer deutscher Raserei gewesen, sondern schuld am deutschen Unglück.
"Weimarer Verhältnisse" - das steht im politischen Sprachgebrauch für Chaos und Instabilität, Arbeitslosigkeit, Gewalt und Scheitern. Selbst im Geschichtsbuch, das ich damals in der Schule hatte, wurde die Erste Republik weitgehend von ihrem Scheitern aus dargestellt - zum Glück war unser Lehrer ein liberaler "Querdenker", die die allzu glatten und bundesrepublikanisch-selbstgefälligen Erklärungsmodelle "wie Hitler an die Macht kam" gegen den Strich bürstete. Denn auch im Buch war von einer "Republik ohne Republikaner" die Rede - aber es stimmt einfach nicht! Die meisten Deutschen waren nicht demokratiefeindlich (und selbst die meisten noch zu Kaisers Zeiten eingesetzten Beamten waren, wenn auch oft sicher zähneknirschend, der Republik gegenüber loyal).
1920 rettete ein Generalstreik der Arbeiter und Beamten nach dem Kapp-Putsch die junge Republik. Bei den meisten Reichstagswahlen hatten die bürgerlichen Parteien eine relative Mehrheit; bis 1932 waren die Sozialdemokraten stets stärkste Partei.
"Weimar" - das war auch eine Epoche kultureller Blüte und Vielfalt, eine Zeit rapiden gesellschaftlichen Fortschritts in Richtung einer offenen, humanen Gesellschaft. Das Scheitern der Ersten Republik wäre selbst im Januar 1933 noch ohne Mühe abzuwenden gewesen.
Weimar war größer als das meiste, das man auf deutschem Boden jemals für groß hielt.
Dem stimme ich uneingeschränkt zu!

Nachtrag: auch die übrigen Artikel des "Kölner Stadtanzeigers" zum Thema "Das Jahr 1933"sind unbedingt lesenswert.

Geschichtswissen ist wichtig für die Demokratie

Wozu soll es wichtig sein, über die ollen Germanen Bescheid zu wissen? Pures Luxuswissen! Oder etwa nicht?
(...) Nicht unterschätzt werden darf nämlich die Attraktivität des Verbotenen, die durch die faktisch existierende Tabuisierung einer Beschäftigung mit germanischer Mythologie in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg entstand. Nur aus diesen Gründen war es der so genannten "rechten Szene" möglich, germanische Mythologie und die Geschichte der Germanen für sich zu vereinnahmen und entsprechend auszudeuten. Auf Grund des in der Allgemeinheit heute nur noch geringen Wissens über germanische Mythologie, das eine deutliche Folge der Tabuisierung der Thematik ist, gelingt es der rechtsextremen Szene, Mythen und Symbole auch zur geheimen Identifikation zu verwenden. (...)
Aus: Vereinnahmung germanischer Mythologie im rezenten Rechtsextremismus – Sprache und Symbolik von Prof. Dr.Dr. Georg Schuppener

Ich bin der Ansicht, dass historisches Unwissen Gefahr für die Demokratie ist. Wobei die Aufklärung genau da einsetzen muss, wo andere Legenden stricken. Es wäre schön, wenn wir einer Gesellschaft leben würden, in der das Wissen darüber, wer "die Germanen" (die es als Stamm, Volk oder gar "Rasse" niemals gab) wirklich waren und was diese Kultur - und andere gern politisch instrumentalisierte "alte Kulturen" - wirklich ausmachte, reines Hobbywissen sein könnte.

Aber dieses Problem, so wichtig es sein mag, ist längst nicht das schlimmste Defizit. Pressemeldung der FU Berlin: Bayerische Schüler wissen mehr über die Geschichte der DDR als Schüler aus Brandenburg. Wobei der Wissenstand der bayrischen Schüler keineswegs "gut" zu nennen ist. Ungeachtet der auch in Bayern bei vielen Schülern vorhandenen Wissenslücken sind diese besser in der Lage, zwischen Demokratie und Unfreiheit zu unterscheiden und die DDR als Diktatur einzustufen.
Es ist signifikant: je weniger Schüler über die DDR wissen, desto milder ist ihr Blick auf den SED-Staat.

Abgesehen davon, dass die Defizite "im Osten" teilweise durch die Scheu der Lehrer erklärt werden kann, dieses für sie "heikle" Thema anzuschneiden - ich habe den Verdacht, dass mangelhaftes historisches Wissen gar nicht so wenige politische Entscheidern gelegen kommt. Denn wer am Beispiel der DDR gelernt hat, woran der Unterschied zwischen Demokratie und Unfreiheit besteht, und zwar gerade anhand des eines Systems, das nicht wie das "Dritte Reich" ein offenkundiger, aggressiver Unrechtsstaat war, der akzeptiert vielleicht die heutige Bundesrepublik Deutschland mehr, als jemand, der das nicht gelernt hat. Aber ganz sicher ist sein kritisches Bewusstsein geschärft. Wer weiß, dass die Stasi kein "ganz normaler Geheimdienst" war, "wie ihn jeder Staat hat", der hinterfragt auch die alarmierenden Tendenzen in Richtung Überwachungsgesellschaft. Wer die Verlogenheit der DDR-Propaganda durchschaut, der durchschaut auch die Meinungsmache in heutigen Medien.

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