Freitag, 28. September 2007

Zeitgeist Weltverschwörung

In meinem Kommentar zu Neueste Verschwörungs-Theorie ... bin ich schon kurz auf den Film "Zeitgeist - The Movie" eingegangen. Der im Stile einer Fernsehdokumentation aufgemachte Film kursiert schon ein paar Monate im Internet, er hat seine Fans nicht nur unter den "üblichen Verdächtigen", die hinter jedem Baum einen Illuminaten sehen und "Jan van Helsing" für einen Märtyrer der Wahrheit halten, sondern auch bei Bloggern und Forumsschreibern, die ich für vernünftig und freiheitlich gesonnen halte.

Part 1
Der interessantes und originellste Teil des Filmes. Obwohl die zentrale Botschaft, nämlich die, dass Religion zur Kontrolle der Bevölkerung eingesetzt wurde und wird, wirklich keine bahnbrechend neue Erkenntnis ist.
Die "Selbstähnlichkeit" der Religionen, ein Kernpunkt dieses Kapitels, kann ich bestätigen. Man braucht kein Experte in vergleichender Religionswissenschaft und Mythenforschung zu sein (noch nicht einmal ein Sagen- und Mythen-Enthusiast wie ich), um auf die von einer Kultur zu anderen wandernden Mythen, die übernommenen mythologischen Motive und Gestalten, die wechselseitig übernommen Geschichten, zu stoßen. Dass das "Alte Testament" sich bei älteren mythologischen Quellen, wie dem "Gilgamensch-Epos", bedient, dass sich Relikte einer älteren, polytheistischen Religion in ihm Finden, oder dass die alten Hebräer Ideen von ihren Nachbarn, den Ägyptern, Phönikiern, Babyloniern, Persern, Griechen usw. übernahmen, kann nur den erstaunen, der die Bibel losgelöst vom ihrem kulturellen Hintergrund liest. Den Mythos von Jesus Opfertod und Wiederaufentstehung als eine Art "Nacherzählung" des altägyptischen Mythos des Sonnengottes Horus darzustellen, dürfte eine glatte Überinterpretation sein. Die Autoren den Evangelien bedienten sich zwar bei den im östlichen Mittelmeerraum kursierenden Mythen und mythologischen Metaphern; der Mythos selbst ist aber so tief im Judentum verankert (Messiasvorstellungen usw.) und übernimmt so viele damals moderne hellenistische Ideen (vor allem aus der Philosophie der Stoa), dass die strukturelle Ähnlichkeit mit dem Horus-Mythos daneben weit zurücktritt. Die "Mutter Gottes"-Verehrung, die wirklich eine Übernahme von Elementen der Isis-Verehrung ist (bis zu Übernahme der Kultorte und der Attribute der Gottesmutter), zog erst lange nach den Evangelisten ins Christentum ein - und ohne Marienkult sind die Übereinstimmung zwischen Horus-Mythos und Jesus-Mythos weniger verblüffend.
Erheblich spekulativer als die Übereinstimmung der "religiösen" (genauen: mythischen) Überlieferungen ist da schon die behauptete Verbindungen zwischen den Religionen über die Himmelsmechanik, die Idee einer grundliegenden Astral-Religion. Sternbeobachtungen haben wirklich eine sehr wichtige Rolle in den frühen Kulturen gespielt, und Sternenmythen sind entsprechend weit verbreitet. Aber auch sind viele Aussagen hypothetisch oder reine Interpretation - manchmal Überinterpretation. Die "Jungfrauengeburten" als Geburt im Steinbild Jungfrau, die 12 Jünger mit den 12 Tierkreiszeichen oder die Fischsymbolik des Christentums mit den Zeitalter der Fische zu verbinden, und die Bibel als astrologisches Buch zu interpretieren, ist angesichts der anti-astrologischen Tradition des Judentums an den Haaren herbeigezogen. Dafür, dass die Präzession des Frühlingspunktes, das "platonische Jahr" oder "Weltenjahr" (von ca. 25.800 Jahren) und der "Weltenmonat" mit etwa 2150 Jahren (in der hellenistischen Astrologie "Aeon" genannt), in der Bronzezeit überhaupt bekannt waren, gibt es meines Wissens nicht den geringsten Hinweis. ( Von einer mythischen, religiösen oder astrologischen Bedeutung gar nicht zu reden).
Dass Johannis, als er die Apokalypse verfasste, mit dem Wort "Aeon" das astrologische Aeon (Zeitalter) gemeint hätte, ist eine weitere Spekulation. (Allerdings hat mich der Seitenhieb auf die auf den Weltuntergang wartenden christlichen Fundamentalisten amüsiert.)
Die Tatsache, dass der historische Jesus den antiken Historikern entging, spricht nicht gegen seine Existenz - zumal der historische Jesus sich wenig von anderen "Wanderlehrern" seiner Zeit unterschieden haben dürfte - und wenig von den anderen Juden, die wegen Aufruhr gegen die römische Besatzungsmacht (und die mit ihr kollaborierenden jüdischen Priester) hingerichtet wurden.

Das Zielpublikum dieser "Enthüllungen" sind US-Amerikaner. Schon ohne den Beinahe-Gleichklang von "Son" und "Sun" verliert die Präsentation an Reiz. Auch die Behauptung, das Christentum sei ein Plagiat und beruhe auf Lügen, dürfte auf ein amerikanisches Publikum schockierender wirken als auf ein deutsches.

Part 2
Längst nicht so originell wie der erste Teil. Spekulationen über die wirklich wahre Wahrheit der Ereignisse am 11. September 2001 gibt es zuhauf, plausible und absurde.
Anders als andere Rekonstruktionsversuche von 9/11, auch solche, die die offizielle Version anzweifeln und von einem "inside Job", also von Tätern im Umfeld der US-Regierung ausgehen, arbeitet der Film mit suggestiven Mitteln, schnellen Schnitten und Gegenschnitten, Zitaten ohne Kontext und ungeprüften Hypothesen.
Den Wahrheitsgehalt der offiziellen Version und den der Behauptungen im Film kann ich in den meisten Fällen nicht nachprüfen, ohne wieder auf durch mich nicht nachprüfbare Aussagen angewiesen zu sein. (Im Unterschied z. B. zur Mondlandung, wo sich die meisten Argumente der Verschwörungstheoretiker mit etwas physikalischem Grundwissen auseinandernehmen lassen).
Dennoch - eine Aussage im Film zum "World Trade Center" ist eindeutig falsch: die WTC-Türme hatten, anders als die meisten anderen Hochhäuser, nicht nur einen "Kern" als tragender Säule in der Mitte des Gebäudes, an dem die Stockwerke aufgehängt sind, sondern zusätzlich eine tragende "Schale" - dass in der Fassade massive Trägerelemente eingebaut waren, ist auf den im Film gezeigten Szenen vom Bau des WTC deutlich zu erkennen. Dankt dieses "Außenskelets" konnten die Trägerstrukturen im Gebäudeinneren leichter gehalten werden als bei anderen Hochhäusern, was mehr Bürofläche bedeutete. Ein Gebäude, bei dem ein Teil der tragenden Struktur außen liegt, ist natürlich verwundbarer gegenüber einem "Loch in der Fassade" als eines mit zentraler tragender Säule. Wegen ihrer mittragenden Außenhülle sackten die WTC-Türme auch eher in sich zusammen als das sie stürzten. Das nur am Rande.

In einer Hinsicht schließe ich mich der Seite der Filmemacher an: Präsident George W. Bush und seine Regierung haben tatsächlich und nachweislich gelogen und Tatsachen verdreht bzw. unter den Teppich gekehrt.
Die "offiziellen" Geschichte vom in seiner Höhle im Hindukusch eine weltumspannende Terrororganisation befehligenden Osama bin Laden halte ich mit ihrer Unterkomplexität, ihrem Schwarz-Weiß-Denken und ihrem großzügigen Umgang mit Fakten ebenfalls für eine Art Verschwörungstheorie. Das sagt aber nichts über den Wahrheitsgehalt anderer Verschwörungstheorien, einschließlich der im Film vorgestellten, aus. Tatsächlich halten ich einen"echten" "Inside Job", im Sinne "selbst gemachter" Attentate, für eher unwahrscheinlich.

Part 3
Der dritte Teil entspricht fast durchgehend einer klassischen Weltverschwörungstheorie: Es gibt eine Handvoll Großbankiers, die im Bund mit korrupten Politikern hinter jeder Schweinerei stecken, von der Weltwirtschaftskrise bis zu den Attentaten am 9. September 2001. Von der Einrichtung der amerikanisches "Federal Reserve Bank" bis zum Aufbau der EU bis zur Gründung der nordamerikanischen Union (einer reinen Freihandelszone) sind praktisch alle wirtschaftspolitische Maßnahmen, die die Autoren des Films nicht mögen oder nicht verstehen, Teile eines Langzeitplans zur Errichtung einer Weltdiktatur. (Noch nicht einmal die "Illuminaten" fehlen, auch wenn die absurderen Teile der Legende wohlweislich fortgelassen wurden.)
Es handelt sich um eine strukturell antisemitische Verschwörungstheorie. (Strukturell antisemitisch bedeutet, dass einer bestimmten Anschauung oder Handlungsweise eine gedankliche Struktur zugrunde liegt, die dem Antisemitismus entspricht.) Die "Bösen" in "Zeitgeist" sind zwar fast alle keine Juden (auch wenn die Rothschilds in ihrer Eigenschaft als Bankiers genannt werden) aber sie weisen die klassischen Eigenschaften des "Finanzjudentums" in älteren Weltverschwörungstheorien auf. Das schließt nicht aus, dass die im Film genannten Bankiers, Wirtschaftsführer und Politiker tatsächlich üble Burschen gewesen sein können, ebensowenig, dass sie in Mauscheleien, Intrigen, Korruption, Manipulation oder sogar regelrechte Verschwörungen verwickelt gewesen sein könnten. Der entscheinde Punkt liegt in der "Zentralsteuerung": der Einfluss der "Drahtzieher" erstreckt sich über die ganze Erde, und über Jahrhunderte hinweg bleiben sie ihren Zielen treu, sie haben ferner geradezu übermenschliche Fähigkeiten, andere Menschen hinters Licht zu führen, sind besser als alle anderen über alles informiert und können anscheinend sogar in die Zukunft sehen bzw. die Auswirkungen ihrer Manipulation bis auf die Nachkommastelle exakt vorhersehen.

Das Schema ist geradezu enttäuschend: "Schuld am schlechten Zustand der Welt sind ein paar Bösewichte, und alle anderen sind unschuldige, nichtsahnende Opfer. Aber zum Glück gibt es ja ein paar wenige Erleuchtete, die den Durchblick haben! Nämlich wir, die Autoren von Zeitgeist!"

Zu meiner Enttäuschung über das Niveau der Verschwörungs-Theorie trugen faustdicke Ungereimtheiten bei: z. B. wurde die "Lusitania" im September 1915 durch ein deutsches U-Boot versenkt, der Kriegseintritt der USA war aber erst im April 1917. Wenn die "Lusitania" aufgrund einer Verschwörung, die den Kriegseintritt der USA zum Ziel hatte, versenkt wurde, dann ist die Verschwörung gescheitert.

Fazit:
Wenn man ihn beim Wort nimmt, zieht sich der Film mit dem Abschnitt über "Kontrolle durch die Medien" selbst den Boden unter den Füssen weg, bzw. kreiert ein Paradoxon.

Man kann dieses Paradoxon bzw. sogar den ganzen Film aber auch als "Mindfuck" sehen, als Anregung zum Selberdenken:
"Glaube nicht alles, was dir gezeigt und gesagt wird, mag es auf den ersten Blick auch noch so plausibel erscheinen! Informiere dich selbst, prüfe Behauptung nach, soweit es dir möglich ist! Lass nicht alles mit dir machen und gib nicht alles aus deiner Hand, nur um der Bequemlichkeit willen! Glaube auch den Aussagen dieses Films nicht ungeprüft!"
Allerdings ist dieser Film nicht gerade "Kubrick, Nixon und der Mann im Mond", die intelligente fiktive Dokumentation über die gefälschte Mondlandung, mit der William Karel seine Zuschauer gekonnt aufs Glatteis führt - um die Sache dann im Abspann aufzuklären.

Ich fürchte, seine Macher meinen ihre Verschwörungstheorien ernst.

Und - lohnt es sich, trotzdem den Film anzusehen?:
Ja! Man kann - und sollte - ihn genauso mal ansehen, wie eine Pro-Sintflut- und Anti-Evolutions-Website - oder alte Videoaufzeichnungen von Karl-Eduard von Schnitzlers "Der schwarze Kanal" oder gut gemachte Propagandafilme unterschiedlicher Epochen und Regime. Der Film trainiert den Blick für Manipulation - weil man weiß, dass der Film manipulativ ist.

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