Samstag, 15. September 2007

Wieso Pofalla glaubt, nicht gegen das Grundgesetz zu verstoßen - er glaubt

Ronald Pofalla, Generalsekretär der CDU, fordert bekanntlich, dass Kruzifixe in Schulen und Gerichten aufgehängt werden sollen.

Auf Abgeordnetenwatch liefert Pofalla auf die Frage eines Bürger eine persönlichen Begründung für seinen Standpunkt, die sehr tief blicken lässt.
Sehr geehrter Herr Pofalla,

sind Sie sich dessen bewusst, dass Ihre Forderung nach Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in allen Schulen einen Verstoß gegen das Grundgesetz darstellt?

Wie hat das Bundesverfassungsgericht doch schon 1995 festgestellt: “Die (staatlich verordnete) Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist, verstößt gegen Art. 4 Abs. 1 GG.”

Sie werden sich doch als gewählter Volksvertreter nicht gegen das Grundgesetz stellen, oder?

Mit freundlichen Grüßen

Horst Fischer
Die Antwort erlaubt unerwartet tiefe Einblicke in das Weltbild Ronald Pofallas. (Hervorhebung von mir, MartinM.)
Sehr geehrter Herr Fischer,

vielen Dank für Ihre Mail, die ich mit Interesse gelesen habe.

Ich möchte Ihrer Kritik an meinen Äußerungen widersprechen. Als Partei, die das Christliche im Namen trägt, wollen wir, dass das Bekenntnis zum Christentum im öffentlichen Raum erhalten bleibt.

Das Kruzifix ist mehr als nur ein religiöses Symbol. Hängt ein Kreuz im Klassenzimmer einer Schule, werden die durch den Unterricht zu vermittelnden überkonfessionellen christlich-abendländischen Werte und ethischen Normen den Lehrern und Schülern sinnbildlich vor Augen geführt.

Dabei bezieht sich die Bejahung des Christentums nicht auf Glaubensinhalte, sondern auf seinen Charakter als prägender Kultur- und Bildungsfaktor und ist damit auch gegenüber Nichtchristen durch die Geschichte des abendländlichen Kulturkreises gerechtfertigt.

Der Staat verletzt damit nicht das Gebot weltanschaulicher und religiöser Neutralität. Dieses beinhaltet nämlich nicht die Verpflichtung des Staates zur Indifferenz oder zum Laizismus.

Auch für einen nichtgläubigen Schüler versinnbildlicht es die Werte der christlich geprägten abendländlichen Kultur und daneben noch eine von ihm nicht geteilte, abgelehnte religiöse Überzeugung. Die Schüler sind nicht zu besonderen Verhaltensweisen oder religiösen Übungen vor dem Kreuz verpflichtet. Angesichts des Sinngehalts, den das Kreuz im Klassenzimmer für nichtchristliche Schüler hat, entstehen ihnen keine unzumutbaren psychischen Beeinträchtigungen oder mentale Belastungen. Auch sie sind zur Toleranz verpflichtet.

Mit freundlichen Grüßen
Ronald Pofalla, MdB
Nicht weiter überraschend ist, dass Pofalla nicht direkt auf den Vorwurf eingeht.
Nicht weiter überraschend ist auch, dass "Christentum" und "westliche Zivilisation'" ("Abendland") für Pofalla offensichtlich so eng zusammenhängen, dass für ihn sich auch die weltliche Kultur direkt aus dem Christentum ableiten lässt. Herr Pofalla erklärt das Kreuz rückwirkend auch zum Symbol der vorchristlichen griechisch-römischen Kultur, der jüdischen Kultur, der vorchristlichen Kultur der Germanen, Kelten, Slawen usw. - ja sogar zu Symbol der ohne Zweifel europäischen, aber ebenso ohne Zweifel islamisch dominierten maurischen Kultur im mittelalterlichen Spanien. Das "Abendland" lässt sich nicht allein auf die "christliche Traditionsline" zurückführen.
Damit ist er in der CDU / CSU nicht allein; auch Errungenschaften der Aufklärung und des Humanismus werden schon mal (historisch falsch) dem christlichen Menschenbild zugeschrieben:
Die aus dem christlichen Menschenbild entstandenen Menschenrechte sind universell gültig und dürfen nicht in Frage gestellt werden.
(Aus dem Strategiepapier "Moderner bürgerlicher Konservatismus" der CDU/CSU.)

Ein wenig überrascht hat mich die im von mir gefetteten Absatz geäußerte Rechtsauffassung. Wenn das Aufhängen eines bestimmtes religiösen oder weltanschaulichen Symbol nicht gegen das Gebot weltanschaulicher und religiöser Neutralität verstößt, dann folgt daraus, dass auch die Symbole anderer Religionen und Weltanschuungen an Schule und Gerichten aufzuhängen seien - zumindest solche, die "die Werte der christlich geprägten abendländlichen (sic!) Kultur" repräsentieren. Der Wandplatz dürfte knapp werden.

Es sei denn, Pofalla denkt ähnlich wie der Kölner Kardinal Meisner:
"Dort, wo die Kultur von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kultus im Ritualismus und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte."
Was ich so verstehe, dass für Meisner (und ähnlich denkende Christen) "Kultur" von "Kult" käme, und folglich jede Kultur, die nicht die Verehrung des christlichen Gottes in den Mittelpunkt stell, jemanden anders verehrt, folglich also Götzendienst ist.
(Interessanterweise denken "fundamentalistische" Moslems ähnlich. Man muss nur "christlicher Gott" durch "Allah" ersetzen.)

Via Das Kreuz mit Pofalla

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