Montag, 26. März 2007

Noch eine Horror-Prognose, die daneben ging

Horrorprognosen dienen, ab einem gewissen Schrecklichkeitsgrad, nicht mehr der Aufklärung, sondern der Angstmache. Denn: "Wer Angst hat, wird passiv. Und ist gut beherrschbar."

Das gilt selbstverständlich auch für Schreckenszenarien auf dem Gebiet der Medizin. Deren Tenor ist oft: "Wer krank wird, ist wegen seines ungesunden Lebensstils selber schuld." "(Und belastet z. B. durch sein unverantwortliches Übergewicht die Solidargemeinschaft. Bei den asozialen Fettwänsten, kriminellen Rauchern, egoistischen Sportlern (Verletzungen) und gedankenlosen Nichtsportlern (Bewegungsmangel) können wir uns bedanken, wenn das Krankenversicherungsystem nicht finanziell gesund werden kann! Jawolll!")
Manchmal geht es aber auch nur darum, eine bestimmte Therapie, Vorbeugung, Ernährungsweise usw. buchstäblich zu verkaufen.

Eine beliebte Horror-Prognose geht von einer angeblich dramatisch gestiegenen Zahl von Melanom-Erkrankungen aus, die dann zu erschreckenden Szenarien hochgerechnet werden. Zum angeblichen "dramatischen Anstieg des schwarzen Hautkrebs" hatte ich schon öfter etwas geschrieben, z. B. hier: Todesurteil für UV-süchtige Teenager und Was jeder weiß ... Besonders gefährdet: Junge Menschen. ("Holen Sie Ihr Kind aus der Sonne, bevor es ein anderer tut!")

Gemäß einer neuen Studie aus Schweden sieht es so aus, als sei die Zahl der an Melanomen erkrankten Jugendlichen und jungen Erwachsenen von 1973 bis 1993 erheblich gestiegen (inwieweit das das auf den realer Zuwachs zurückzuführen war, oder in erster Linie der verbesserten Diagnostik geschuldet war, ist dabei gerade in Schweden, dem "Musterland" der gründlichen Reihenuntersuchungen, durchaus fraglich). Seit 1993 ging diese Krebsform offensichtlich stark zurück.
Die Zahlen fielen von 5,0 Fällen pro einer Million in den Jahren 1983-92 steil ab auf 3,6/Million nur 10 Jahre später im Jahre 2002.

Die Überlebensrate bei den Jugendlichen (nach 5 Jahren) bei dieser gefährlichsten Hautkrebs-Art liegt inzwischen bei 90%.

Studie: P.M. Karlsson , M. Fredrikson, Cutaneous malignant melanoma in children and adolescents in Sweden, 1993-2002: The increasing trend is broken, International Journal of Cancer, 2007 Mar 19, Vorabveröffentlichung im Internet.

Warum das so ist, darüber kann man nur mutmaßen. Ich vermute einerseits, dass schon einfacher Sonnenschutz ("achtet darauf, dass die Kinder keinen Sonnenbrand bekommen") das Krankheitsrisiko erheblich reduziert. (Und aus UV-Hysterie geborene Extremschutzmaßnahmen überflüssig bis schädlich sind). Anderseits vermute ich, dass andere Umwelt-Faktoren, die Melanome begünstigen, heute weniger wirksam sind als noch vor 25 Jahren.

Wie dem auch sei: die Solarien-Lobby nutzt diese erfreuliche Entwicklung, um ebenfalls platte Propaganda zu betreiben:
Gerade in den Jahren, in denen sich der Boom am Solarienmarkt in Schweden nach den Vorhersagen der Solarien-Kritiker in einer ständig steigenden Kurver der Melanom-Erkrankungen zeigen müsste, bringen diese Daten die Propheten in erhebliche Argumentationsnot.
(aus Photomed-Blog: Hautkrebs bei Jugendlichen nimmt ab)

Ja, es gibt in Schweden, was angesichts langer und dunklen Winter nicht wirklich überrascht, einen seit Jahren anhaltenden Solariums-Boom. Allerdings sind Kinder praktisch nie und Jugendliche (auch aufgrund staatlicher Vorschriften) eher selten Solariumsnutzer.
Damit kann der Solariumsboom gar keine Auswirkungen auf die Hautkrebsrate bei jungen Menschen haben. Die Solariums-Werber unterstellen den Solariums-Gegnern Argumente, die sie so nie verwendet haben.

Man kann nur Verlieren

Jeder, der auch nur oberflächliche Kenntnisse der Wahrscheinlichkeitsrechnung hat, weis es längst: bei jedem Glücksspiel wird ein Spieler auf längere Sicht immer verlieren, und Lotterien sind Steuern, die auf Dummheit erhoben werden.

Ist man gar Langzeitsarbeitsloser, ist es - das schreibe ich ohne jede Ironie und ohne jede Nachsicht - hirnverbrannte, selbstzerstörerische Dummheit, auch nur einen kostbaren Cent bei Gewinnspielen zu verzocken.
Denn verliert man als ALGII-Empfänger, verschwendet man "nur", obwohl man nun wirlich nichts zu verschwenden hat.
Gewinnt man, wird man bestraft.
Netzzeitung: Auto-Hauptgewinn kostet Arbeitslosengeld II.
Gewinnt ein Langzeitarbeitsloser in einem Gewinnspiel ein Auto, hat er Pech gehabt: Ihm darf das Arbeitslosengeld (ALG) II so lange gestrichen werden, bis der Wert des Wagens verbraucht ist. Das hat das Sozialgericht Dortmund in einem am Montag veröffentlichten Urteil entschieden.
Bei einem Geldgewinn war die Rechtslage schon bisher klar: Kein ALG II, bis das Geld aufgebraucht ist. Womit sich rein rechnerisch alles , was nicht gerade ein Lotto-Hauptgewinn ist (der bei kluger Geldanlage für eine gewisse Zeit finanziell unabhängig macht), sich für ALG II-Empfänger schlicht nicht lohnt. Ein Sachgewinn, der sich nie zum Nominalwert "zu Geld machen läßt", wirkt sich hingegen stets negativ für den Langzeitarbeitslosen aus.

Nachtrag, 27. März: lawblog: Arbeits-Los.
Einem arbeitslosem Familienvater in Iserlohn ist von der Arbeitsgemeinschaft Märkischer Kreis (ARGE) das Arbeitslosengeld II gestrichen worden, weil er bei einer Baumarktkette einen neuen VW Golf “Goal” im Wert von 17 610 Euro gewonnen hatte.

Das Sozialgericht Dortmund hat gestern diese Entscheidung bestätigt. Das Auto falle nicht unter das geschütze Vermögen, sondern sei „als einmaliges Einkommen anzurechnen“. Der Familienvater bleibt deshalb für zehn Monate ohne Arbeitslosengeld. (pbd)

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