30 Jahre Oktoberfest-Anschlag - Wut statt "Betroffenheit"

Es war das blutigste Attentat in der Geschichte der Bundesrepublik. Vor 30 Jahren riss eine Bombe auf dem Oktoberfest 13 Menschen in den Tod und verletzte mehr als 200 – teilweise schwer. Bis heute glauben viele nicht, dass ein einzelner Rechtsradikaler aus persönlichem Frust die Tat beging.
Einzeltäter oder Braune Armee Fraktion? (NPD-BLOG.INFO)

Ich spöttele oft Verschwörungstheoretiker, die grundsätzlich nicht an Einzeltäter glauben wollen. Im Falle der Oktoberfestbombe gefriert mir dieses spöttische Lächeln auf den Lippen. Denn auch ich gehöre zu denen, die nicht glauben, dass ein einzelner Rechtsradikaler aus persönlichem Frust die Tat beging.
Die blutige Spur führte zu den Neonazis. Doch die Ermittler haben diese Spur zu den Akten gelegt und stattdessen die Theorie vom Einzeltäter in die Welt gesetzt und festgeschrieben. So ist der größte Terroranschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte bis heute nicht aufgeklärt.
Oktoberfest-Attentat

Als die auf Splitterwirkung ausgelegte Bombe auf dem Oktoberfest 13 Menschen buchstäblich bei lebendigem Leib in Fetzen riss - und über 200 Menschen zum Teil grausam verstümmelte - da war ich noch Schüler.
Ich fuhr am Tag nach dem Attentat mit dem Bus. Ich erinnere mich genau, wie der Busfahrer auf einmal rechts ran fuhr, den Motor abstellte und über Lautsprecher zu einer Gedenkminute für die Opfer des Oktoberfestattentates aufforderte.
Ich bat den Busfahrer, mich bitte aus dem Bus zu lassen. Ich weiß nicht mehr genau, was ich sagte, ich weiß nur dass ich wütend war. Und ich weiß, was ich beim Verlassen des Busses rief: "Das hilft den Opfern auch nicht!" Den Rest der Strecke ging ich zu Fuß.
Sicher war meine Reaktion trotzig und unreif. Aber ich ertrug diese verdammte Heuchelei und Desinformation nicht. Heute begreife ich, dass die Gedenkminute nicht für die Opfer, sondern für die Lebenden da ist - und das öffentlich bekundete Trauer eine Geste der Höflichkeit darstellt.
Damals war ich - natürlich - unreifer, impulsiver. Trotzdem war meine Reaktion, auch aus heutiger Sicht, nicht verkehrt. Ich hatte die Reaktionen der Medien und der Politiker auf den RAF-Terror im Hinterkopf: da überwog Abscheu und Wut. Das Oktoberfestattentat wurde wie ein tragischer Unfall behandelt. Eine Panne. Irgendso ein Irrer mit 'ner selbstgebauten Bombe. Das bloß niemand auf die Idee kommt, statt Betroffenheit Wut zu zeigen!
Ich zeigte Wut. Ich bin nicht stolz darauf, ich schäme mich ein wenig dafür, aber - ich musste es, verdammt nochmal, tun!

Mir war klar: mit diesem schrecklichen Attentat war die Blutspur des Rechten Terrors an einem Tag viel breiter, als es Jahre RAF-Terrors vermocht haben - ohne damit die Taten der mörderisch fanatischen RAF-Terroristen relativieren zu wollen. Und mir war auch damals klar: es "durfte" keine Staat und Gesellschaft bedrohende rechtsextreme Terrororganisation geben. Direkt nach dem Anschlag mutmaßte der CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß es habe sich um einen Anschlag von links gehandelt. Obwohl es klar war, dass es nicht nicht zu den Taten der RAF passte, oder zu denen linksextremer Terrorgruppen in anderen Ländern Europas. Ich empfand einen beinahe körperlichen Ekel vor Strauß - dessen politische Positionen ich bis dahin zwar strikt ablehnte, den ich aber in gewisser Hinsicht respektierte, ja beinahe bewunderte. (Der Mann hatte im kleinen Finger mehr Charisma als der ganze heutige CDU / CSU-Spitze zusammen nicht!)
Ich war auf Strauß wütend. Ich war wütend, dass das Oktoberfest nur unterbrochen, aber nicht abgesagt wurde. Ich war wütend, dass eine Massenfahndung nach den Mittätern, im Stil der RAF-Fahndung, unterblieb.

Noch etwas zu den schweren Verletzungen: Ein ehemaliger "Sandkastenfreund" von mir war einige Jahre später wegen Tötens auf Verlangen angeklagt. Er hatte seine Mutter auf deren Wunsch vergiftet. Sie war beim Oktoberfest-Attentat grausam verletzt worden. Ihr mussten in unzähligen Operationen über 200 Splitter aus dem Körper entfernt werden - einige konnten nicht entfernt werden. Sie war praktisch blind und taub, hatte unzählige Narben. Sie saß im Rollstuhl, ein Bein amputiert, das andere steif. Jede Bewegung ihrer Arme schmerzte. Und das Schlimmste für sie: wegen einer desaströsen "Schmerztherapie", für die ich die Ärzte nicht verantwortlich machen möchte, da sie nur den damals im schmerztherapeutischen Entwicklungsland Deutschland üblichen Standards folgten - "Wundversorgung vor Schmerzversorgung, und Vorsicht mit Opiaten" - hatten sich die schrecklichen Schmerzen sich tief in das "Schmerzgedächtnis" eingefressen.
Ihr Sohn wurde durch die Bombe nur leicht verletzt. (Relativ leicht: Trommelfelle kaputt und eine tiefe Narbe auf der Stirn.) Er hadert noch heute deswegen mit sich selbst, weil es nicht ihn, sondern seine Mutter so schlimm erwischt hat. Er wäre für seine Sterbehilfe gern in den Knast gegangen. Tatsächlich habe ich den Eindruck, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn die Strafe nicht auf Bewährung ausgesetzt worden wäre, als letztem Dienst an der Mutter.

Es gibt kein Recht auf Rache. Aber es gibt ein Recht auf Wut. Es gibt das Recht der überlebenden Opfer und ihrer Angehörigen auf vollständige Aufklärung der Tat und ihrer Hintergründe.

Einige Jahre später besuchte ich mit einem noch ziemlich frisch nach München umgezogenen Bekannten das Oktoberfest. Auch wenn ich an diesem Abend nicht an das Attentat dachte: ich hatte keinen Spaß und wusste nicht, warum. Ich schiebe es normalerweise auf das enthemmt-flegelhafte Verhalten der besoffenen Festbesucher. Aber tief in mir drin werde ich wohl an den grausamsten Terroranschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte gedacht haben.

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