Manchmal ein Widerspruch: Steampunk-Ästhetik und "Dampf-High-Tech"
Seit einiger Zeit schreibt Volkmar an einem Romanprojekt, irgendwo zwischen Fantasy und Science Fiction, das sich, hinsichtlich der dort vorherschenden verwendeten Technik, dem Steampunk zuordnen lässt.
In Volkmars Roman kommt ein Hochgeschwindigkeits-Dampfzug vor, der fahrplanmäßig über 200 km/h schafft.
Nun gab es tatsächlich 200 km/h schnelle Stromlinien-Schnellzuglokomotiven wie die deutsche Reichsbahn-Baureihe 05 (Rekord: 200,4 km/h 1935 durch Lok 05 002) und die britische LNER-Class A4 (Rekord: 201,2 km/h im 1938 durch Lok 4468 "Mallard" - bis heute gültiger Weltrekord für Dampfloks). Allerdings wäre 200 km/h nach Fahrplan mit diesen Loks nicht möglich gewesen. Die "Mallard" überstand den Rekordversuch mit einem heißgelaufenen Treibstangenlager nicht unbeschädigt. Die 05 002 schaffte die "200" zwar mehrmals ohne Schaden, aber auch sie fuhr am äußersten Limit. Auch der technisch mögliche, aber nie nachgewiesene, im regulären Betrieb erzielte "inoffiziellen Rekord" einer amerikanischen PRR-Class S1 beweist nicht, dass Stromliniendampfloks der 1930er Jahre theoretisch planmäßig mit 200 km/h hätten verkehren können. So elegant die Stromlinienloks auch sind - für die Zugmaschine des Hochgeschwindigkeits-Dampfzugs können sie kein direktes Vorbild sein. Ein Problem ist, dass der Lokführer in Hochgeschwindigkeitszügen einen optimalen Blick auf die Strecke braucht, während in einer üblichen Dampflok durch den Kessel die Sicht nach vorne behindert ist. Deshalb wurde auch eine 05 mit vorne liegendem Führerhaus erprobt, die sich aber nicht bewährte. Ein anderes Problem ist die starke Vibration, denn ein perfekter Masseausgleich ist bei Dampfloks kaum zu erreichen - eine leichte Unwucht bleibt technisch bedingt immer. Außerdem stieß die Kolbendampfmaschine an ihre Leistungsgrenze.
Der logische Ausweg wäre, analog zum Schiffsbau, der Einsatz von Dampfturbinen gewesen. Tatsächlich wurden einige Dampfturbinenlokomotiven gebaut.
Ich skizzierte also ganz grob eine stromlinenverkleidete Turbo-Dampflok mit vorne liegendem Führerstand. Das Problem: Niemand hätte sehen können, dass es eine Dampflok ist. Der "typischen" Steampunk-Ästhetik, wie sie etwa die Clockworker kultivieren, entspräche sie in keiner Weise. (Und eine "Dieselpunk"-Maschine sollte besser eine Diesellok sein.)
Ein reales Beispiel aus dem Jahre 1903. Damals gab es eine Ausschreibung des Verein Deutscher Ingenieure: Es sollte eine Lok gebaut werden, welche einen 120 Tonnen schweren Zug mit 120 km/h, wenn möglich mit 150 km/h, ziehen sollte.
Die preußische Preußische S9 "Altona 561" war die erste Lokomotive mit vorne liegendem Führerstand und Stromlinienverkleidung. (Allerdings war sie auch eine der ersten Dampfloks, die nicht nach "richtiger Dampflok" aussah.) Sie hat zwar etwas "Retrofuturistisches" und ist insofern ein Stück "Realität gewordener Steampunk" - aber: es hapert mit dem eleganten Aussehen:
Die S9 schaffte im Testbetrieb 1904 nur eine Geschwindigkeit von 137 km/h, dabei leistete sie maximal 1400 PSi. Sie blieb damit hinter den Erwartungen zurück und war nur wenig schneller als die schnellsten vorhandenen Schnellzugloks der Königlich Preußische Staatseisenbahnen. Die S9-Versuchslokomotiven mussten als Fehlkonstruktion gelten und gingen nicht in Serie.
Die bayrische S 2/6 ist dagegen eine Maschine nach dem Herzen der Dampflok-Fans - und der Freunde des Steampunks:
Im Jahr 1907 gewann die Bayerische S 2/6 die Ausschreibung des VDI, indem sie 154 km/h erreichte, bei 2200 PSi.
Aber auch die S 2/6 war für den Alltagsbetrieb bei der Königlich Bayrischen Staats-Bahn wenig geeignet, und blieb ein - zugegeben prächtiges - Einzelstück. (Heute im Bahnmuseum Nürnberg zu bewundern.)
Was macht die "Steampunk-Ästhetik" der S 2/6 aus? Erst einmal entspricht sie einer typischen Dampflok, deren Funktion sichtbar ist, und in der es sichtbar Dampf ist, der die Maschine antreibt. Aber sie hat auch einige ungewöhnliche, an die alten Stahlstich-Illustrationen von Jules-Verne-Romane erinnernde Merkmale, vor allem die ansatzweise windschnittige Form: Vor den Zylindern befand sich eine gewölbte Verkleidung, die Rauchkammertür war kegelförmig und auch Schornstein und Dampfdom waren mit "Windschneiden" versehen. Auch das Führerhaus war, nach damaligem Verständnis, "windschnittig" gebaut. Es ist aber keine wirklich strömungsgünstige Form, nur der Stirnwiederstand lässt sich so verringern - die preußische S 9 kam einer "Stromlinienlok" schon näher. Aber es ist gerade dieser etwas naive Ansatz, der der S 2/6 ihren Reiz gibt.
Der letzte, entscheidende Punkt: die 2/6 ist elegant. Riesige Treibräder, ein schlanker Kessel, ein hoher Rahmen und ein 'durchsichtiges' Laufwerk - eine einfach schöne Maschine. Wie sich für Steampunk-Technik gehört, gibt es viel poliertes Messing, teils brünnierten, teils polierten Stahl, und eine dunkelgrüne Lackierung mit farblich abgesetzten Kesselbändern und angedeuteten Jugendstil-Ornamenten.
Würde ich eine Lokomotive für die die Ausstattung eines Steampunk-Films suchen, würde ich die "Bayerin" der "Preußin" bei weitem vorziehen.
Vielleicht spielt es keine Rolle, dass eine "stempunkige" Lok keine 200 km/h schaffen könnte - es reicht ja vielleicht aus, dass sie schon im Stand so aussieht, als würde sie gerade mit ungeheurer Geschwindigkeit über den glitzernden Schienenstrang rasen.
In Volkmars Roman kommt ein Hochgeschwindigkeits-Dampfzug vor, der fahrplanmäßig über 200 km/h schafft.
Nun gab es tatsächlich 200 km/h schnelle Stromlinien-Schnellzuglokomotiven wie die deutsche Reichsbahn-Baureihe 05 (Rekord: 200,4 km/h 1935 durch Lok 05 002) und die britische LNER-Class A4 (Rekord: 201,2 km/h im 1938 durch Lok 4468 "Mallard" - bis heute gültiger Weltrekord für Dampfloks). Allerdings wäre 200 km/h nach Fahrplan mit diesen Loks nicht möglich gewesen. Die "Mallard" überstand den Rekordversuch mit einem heißgelaufenen Treibstangenlager nicht unbeschädigt. Die 05 002 schaffte die "200" zwar mehrmals ohne Schaden, aber auch sie fuhr am äußersten Limit. Auch der technisch mögliche, aber nie nachgewiesene, im regulären Betrieb erzielte "inoffiziellen Rekord" einer amerikanischen PRR-Class S1 beweist nicht, dass Stromliniendampfloks der 1930er Jahre theoretisch planmäßig mit 200 km/h hätten verkehren können. So elegant die Stromlinienloks auch sind - für die Zugmaschine des Hochgeschwindigkeits-Dampfzugs können sie kein direktes Vorbild sein. Ein Problem ist, dass der Lokführer in Hochgeschwindigkeitszügen einen optimalen Blick auf die Strecke braucht, während in einer üblichen Dampflok durch den Kessel die Sicht nach vorne behindert ist. Deshalb wurde auch eine 05 mit vorne liegendem Führerhaus erprobt, die sich aber nicht bewährte. Ein anderes Problem ist die starke Vibration, denn ein perfekter Masseausgleich ist bei Dampfloks kaum zu erreichen - eine leichte Unwucht bleibt technisch bedingt immer. Außerdem stieß die Kolbendampfmaschine an ihre Leistungsgrenze.
Der logische Ausweg wäre, analog zum Schiffsbau, der Einsatz von Dampfturbinen gewesen. Tatsächlich wurden einige Dampfturbinenlokomotiven gebaut.
Ich skizzierte also ganz grob eine stromlinenverkleidete Turbo-Dampflok mit vorne liegendem Führerstand. Das Problem: Niemand hätte sehen können, dass es eine Dampflok ist. Der "typischen" Steampunk-Ästhetik, wie sie etwa die Clockworker kultivieren, entspräche sie in keiner Weise. (Und eine "Dieselpunk"-Maschine sollte besser eine Diesellok sein.)
Ein reales Beispiel aus dem Jahre 1903. Damals gab es eine Ausschreibung des Verein Deutscher Ingenieure: Es sollte eine Lok gebaut werden, welche einen 120 Tonnen schweren Zug mit 120 km/h, wenn möglich mit 150 km/h, ziehen sollte.
Die preußische Preußische S9 "Altona 561" war die erste Lokomotive mit vorne liegendem Führerstand und Stromlinienverkleidung. (Allerdings war sie auch eine der ersten Dampfloks, die nicht nach "richtiger Dampflok" aussah.) Sie hat zwar etwas "Retrofuturistisches" und ist insofern ein Stück "Realität gewordener Steampunk" - aber: es hapert mit dem eleganten Aussehen:
Die S9 schaffte im Testbetrieb 1904 nur eine Geschwindigkeit von 137 km/h, dabei leistete sie maximal 1400 PSi. Sie blieb damit hinter den Erwartungen zurück und war nur wenig schneller als die schnellsten vorhandenen Schnellzugloks der Königlich Preußische Staatseisenbahnen. Die S9-Versuchslokomotiven mussten als Fehlkonstruktion gelten und gingen nicht in Serie.
Die bayrische S 2/6 ist dagegen eine Maschine nach dem Herzen der Dampflok-Fans - und der Freunde des Steampunks:
Im Jahr 1907 gewann die Bayerische S 2/6 die Ausschreibung des VDI, indem sie 154 km/h erreichte, bei 2200 PSi.
Aber auch die S 2/6 war für den Alltagsbetrieb bei der Königlich Bayrischen Staats-Bahn wenig geeignet, und blieb ein - zugegeben prächtiges - Einzelstück. (Heute im Bahnmuseum Nürnberg zu bewundern.)
Was macht die "Steampunk-Ästhetik" der S 2/6 aus? Erst einmal entspricht sie einer typischen Dampflok, deren Funktion sichtbar ist, und in der es sichtbar Dampf ist, der die Maschine antreibt. Aber sie hat auch einige ungewöhnliche, an die alten Stahlstich-Illustrationen von Jules-Verne-Romane erinnernde Merkmale, vor allem die ansatzweise windschnittige Form: Vor den Zylindern befand sich eine gewölbte Verkleidung, die Rauchkammertür war kegelförmig und auch Schornstein und Dampfdom waren mit "Windschneiden" versehen. Auch das Führerhaus war, nach damaligem Verständnis, "windschnittig" gebaut. Es ist aber keine wirklich strömungsgünstige Form, nur der Stirnwiederstand lässt sich so verringern - die preußische S 9 kam einer "Stromlinienlok" schon näher. Aber es ist gerade dieser etwas naive Ansatz, der der S 2/6 ihren Reiz gibt.
Der letzte, entscheidende Punkt: die 2/6 ist elegant. Riesige Treibräder, ein schlanker Kessel, ein hoher Rahmen und ein 'durchsichtiges' Laufwerk - eine einfach schöne Maschine. Wie sich für Steampunk-Technik gehört, gibt es viel poliertes Messing, teils brünnierten, teils polierten Stahl, und eine dunkelgrüne Lackierung mit farblich abgesetzten Kesselbändern und angedeuteten Jugendstil-Ornamenten.
Würde ich eine Lokomotive für die die Ausstattung eines Steampunk-Films suchen, würde ich die "Bayerin" der "Preußin" bei weitem vorziehen.
Vielleicht spielt es keine Rolle, dass eine "stempunkige" Lok keine 200 km/h schaffen könnte - es reicht ja vielleicht aus, dass sie schon im Stand so aussieht, als würde sie gerade mit ungeheurer Geschwindigkeit über den glitzernden Schienenstrang rasen.
MMarheinecke - Donnerstag, 5. August 2010
sterling/gibson?
"die differenzmaschine" von streling und gibson.
musste ich grad dran denken, da gibts auch "schnellen dampf" :)
Das ist der Roman, mit dem der Begriff "Steampunk" populär wurde.