Akupunktur wirkt - auch wenn man nicht an "Qi" glaubt.

Viele Mediziner und medizinisch versierten Laien lehnen die Traditionelle Chinesische Medizin (Abgekürzt: TCM) vor allem aufgrund des "esoterisch" anmutenden Konzeptes des "Qi" ab. (Woran der unscharfe Sprachgebrauch der Esoteriker, die alles Mögliche, darunter auch Qi, unterschiedslos als "Energie" oder "Power" bezeichnen, nicht ganz unschuldig ist.)

Sie bestreiten die Wirksamkeit vieler Behandlungsmethoden der TCM, weil deren Grundkonzepte naturwissenschaftlichen Prinzipien wiedersprächen. Wenn Methoden der TCM wie die Akupunktur, helfen, dann werden die empirisch belegten Wirkungen auf Placeboeffekte und psychologische Wirkmechanismen zurückgeführt. Was in vielen Fällen zutreffen dürfte - wobei die Kraft des Placeboeffektes nicht zu unterschätzen ist. Placeboeffekt heißt übrigens nicht, dass Akupunktur nur dann hülfe "wenn man ganz doll an Qi glaubt", wie ein skeptischer Spötter meinte.

Wenn eine Methode wie die Akupunktur in guten wissenschaftlichen Studien besser wirkt als Placebos, wird sie in die wissenschaftliche Medizin aufgenommen, denn dafür ist nämlich allein die Wirksamkeit das Kriterium und nicht die wissenschaftliche Erklärbarkeit. Also kann die Qi-Lehre so falsch sein, wie sie mag, wenn die Akupunktur tatsächlich wirkt, macht das nichts aus. Nachdem die "Hippokratische Körpersäftelehre" als unzutreffend erkannt worden war, verwarfen europäische Ärzte auch nicht alle bewährten Methoden, auch wenn diese bisher mit der Säftelehre erklärt worden waren.

Im Falle der Akupunktur gibt es schon seit einiger Zeit Hinweise darauf, dass sie über den Placeboeffekt hinausgehend wirkt:

Akupunktur ist mehr als Placebo (wissenschaft.de) Das Muster der Hirnaktivität ist bei echter Nadelbehandlung anders als bei Scheintherapie.
Heilsame Stiche (wissenschaft.de)
Akupunktur kann effektiv bei Spannungskopfschmerzen helfen.

Nun aber sieht es ganz so aus, als ob die tatsächliche Wirksamkeit der Akupunktur wirklich wissenschaftlich sauber nachgewiesen wäre.

Die schmerz­lindernde Wirkung der Akupunktur beruht danach weder auf der Ausschüttung von Endorphinen im Gehirn, noch ist sie reiner Placeboeffekt. Mehr noch: Die schmerzlindernde Wirkung der Akupunktur ist nun auch auf der molekularen Ebene nachgewiesen.

Die schmerzlindernde Wirkung von Akupunkturbehandlungen geht auf ein körpereigenes Molekül namens Adenosin zurück. Zu diesem Schluss kam Maiken Nedergaard vom University of Rochester Medical Center (USAI und ihr Team nach Versuchen an Mäusen. Die winzigen durch die Nadeln hervorgerufenen Gewebeverletzungen veranlassen demnach die Ausschüttung des Signalstoffs. Die Adenosinmoleküle docken an spezielle Rezeptoren an, die auf schmerzleitenden Nervenfasern sitzen, und dämpfen dadurch den Schmerz.
Menschen können auf den Placeboeffekt hereinfallen, Mäuse nicht. Daher waren sie für die Wissenschaftler die idealen Kandidaten bei der Erforschung der Akupunkturwirkung. In ihren Versuchen setzten sie Tieren, die an einer entzündeten Pfote litten, eine hauchdünne Nadel an einen klassischen Akupunkturpunkt in der Nähe des Knies, den sogenannten Zusanli-Punkt. Wie bei einer normalen Behandlung drehten sie dabei alle fünf Minuten vorsichtig die Nadeln, was die Wirkung noch verstärken soll.

Vor, während und nach der Behandlung untersuchten sie dabei zum einen, wie stark die Tiere auf standardisierte sanfte Berührungen oder Wärmereize an der entzündeten Pfote reagierten. Zum anderen maßen sie in der Gewebsflüssigkeit die Gehalte des Schmerzhemmers Adenosin. Sowohl die physische als auch die biochemische Reaktion der Mäuse war eindeutig: Durch die Akupunkturbehandlung stieg die Adenosinproduktion schlagartig um das 24-Fache an und die Schmerzen wurden deutlich gelindert – allerdings nur dann, wenn die Nadeln regelmäßig gedreht wurden.
Durch die Gabe von Wirkstoffen, die den Abbau von Adenosin im Gewebe verzögern, konnte die Dauer des lindernden Effekts verdreifacht werden.
Weiter: Biochemie statt Qi (wissenschaft.de)

Mehr dazu: Akupunktur: Wie ein Zytostatikum die Wirkung verstärkt (aerzteblatt.de)
Köppnick - 1. Jun, 18:01

Nur ein Kritikpunkt: Menschen können auf den Placeboeffekt hereinfallen, Mäuse nicht. Das kann man so verallgemeinert nicht sagen. In allen Fällen, in denen Menschen während der Behandlung unmittelbar Kontakt mit Tieren haben, wirkt auch der Placeboeffekt, weil das Wissen der Menschen um die (tatsächliche, vermeintliche oder erwartete) Wirkung ihr Verhalten ändert und Tiere diese Verhaltensänderungen bemerken können.

In diesem Fall mag der Effekt vernachlässigbar klein gewesen sein, aber theoretisch ausschließen konnte man ihn in dieser Versuchsanordnung nicht.

MMarheinecke - 1. Jun, 20:28

Bei Haustieren räume ich diese Möglichkeit ein

Sie setzt aber meines Erachtens voraus, dass die Tiere mit "ihren" Menschen vertraut sind und ihnen vertrauen. (Das könnte bei der Tier-Homöopathie eine Rolle spielen.)
Bei Labormäusen dürfte das nicht der Fall sein.
Köppnick - 1. Jun, 22:05

Ich schrieb ja, dass der Placeboeffekt in diesem Fall vermutlich vernachlässigbar ist. Es ging mir nur um den prinzipiellen Ausschluss, der nicht möglich ist.

Aber es hängt nicht vom Vertrautsein des Tieres ab, sondern von seiner Fähigkeit, bei uns Verhaltensunterschiede zu erkennen. Das können vielleicht auch Wildtiere. Es ist sehr schwer, das objektiv herauszufinden. Hunde z.B. werden Stimmungen vielleicht eher riechen als sehen, sie können so ja auch bestimmte Krebsformen bei uns erkennen.
Wirr-Licht - 2. Jun, 12:19

versuchsleitereffekte

versuchsleitereffekte gibts leider auch bei labortieren.

daher sind die signifikanzniveaus ja oft so hoch angesiegdelt (5% irrtumswahrscheinlichkeit oder so ->

http://de.wikipedia.org/wiki/Irrtumswahrscheinlichkeit

die frage ist halt immer, wie sauber die experimente waren.

aber akupunktur halte ich ja schon für , sagen wir "gut bestätigt"

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