Die Schule der Nichtdenker (2) "Es hat uns auch nicht geschadet"

Ergänzung zu Die Schule der Nichtdenker.

Es ist bedrückend einfach, junge Menschen durch Erziehung zu verdummen. Eine besonders "wirksame" Methode, unkreative, engstirnige "Nichtdenker" heranzuzüchten, ist es offensichtlich, die gesamte Erziehung und Bildung auf schnellen Erfolg, optimale Zurichtung auf die berufliche Karriere und Anpassung an die bestehenden Verhältnisse auszurichten.

Das Problem liegt bei einem (selten eingestandenen, aber wirksamen) und bei "Entscheidern" und "Multiplikatorn" weit verbreiteten Leitbild für das, was Vorschule, Schule, Hochschule Aus- und Weiterbildung - aber auch "verantwortungsvolle Eltern" leisten sollen: den für die Erfordernisse des Berufslebens (des "Arbeitsmarktes", der "Wirtschaft") zurichteten Menschen: mit den "richtigen" Fähigkeiten und dem "richtigen" Grundwissen ausgestattet und mit der "richtigen" Einstellung zu Beruf und zum Leben, d. H. bereit, seine persönlichen Interessen den beruflichen Erfordernissen jederzeit unterzuordnen.

Besonders bedrückend ist, dass im Zuge dieser "Bildungsoptimierung" längst überwunden geglaubte Erziehungsmodelle ein "Revival" erleben - so etwa der modernisierte "autoritäre Paternalismus", wie ihn der ehemalige Leiter des "Eliteinternats" Salem Bernhard Bueb propagiert. Wenn Bueb etwa (in einem Interview, das er dem "Spiegel" gab.) vorschlägt, dass Kinder ab dem dritten Lebensmonat (!) tagsüber im Rahmen einer verpflichtenden (!)Gemeinschaftserziehung ihren "überbetreuenden Müttern" entzogen werden sollten, weil die es viel zu gut meinenden Mütter die Kinder "zu lauter Egoisten erziehen" würden, dann ist das "schwarze Pädagogik", egal, ob Bueb und seine vielen Fans das wahr haben wollen oder nicht. Daraus spricht das alte Vorurteil, dass, wer Kinder gegenüber nachgäbe, schon verloren hätte - und der Wille der Kinder müsse gebrochen werden. (Es ist kein polemischer "Nazivergleich", wenn ich bei solchen Vorschlägen an Johanna Haarer denken muss, eine stark von der NS-Ideologie geprägte Autorin von Erziehungsratgebern.)
Ergänzung: - Thomas Assheuer auf "Zeit.de" über Buebs Buch "Von der Pflicht zu führen" Herrschaft und Heil.

"Schwarze Pädagogik" ist eine ziemlich sichere Methode, Menschen zu "Gefühlskrüppeln" zu machen - mit Folgeschäde auch für die nächste und übernächste Generation: Tradierte schwarze (und braune) Pädagogik.

Besonders intelligenztötend wirkt Zurichtungs-Pägagogik, wenn sie mit körperlicher Gewalt kombiniert ist.
Wer kennt nicht den alten Spruch: "Was ist schon eine Ohrfeige? - Es hat uns doch auch nicht geschadet"? Tatsächlich hat das geschadet - das Geschlagenwerden führt statistisch signifikant zu einer messbar geringeren Intelligenz: Prügelstrafe macht Kinder dumm (pharmacon.net).
Glanzor (Gast) - 15. Feb, 16:21

Buebs Vorstellung von Kindererziehung is nicht nur "schwarz", sondern das wirklich reaktionärste, was ich in dem Bereich je gehört habe. Seine Vorstellung mit dem Mutterentzug ist nicht "bloß" faschistisch, das geht zeitlich noch weiter zurück. Das ist spartanisch im wörtlichen Sinne ...

MMarheinecke - 15. Feb, 17:20

Ganz so hart sehe ich das nicht

Bueb gehört meines Erachtens zu jenen, die Allerweltsweisheiten (wie die, dass Kinder Grenzen brauchen) ideologisch verabsolutieren. (Etwa: "Alle Kinder brauchen immer Grenzen".) Er ist so beliebt, da er "irgendwie" recht hat, und da er einfache Antworten auf komplizierte Probleme gibt.
Im verlinkten "Spiegel"-Interview lobt er die etwa in Frankreich bewährten Kinderkrippen - als Argument für seine Idee vom Mutterentzug. Oder er kommt mühelos von Schülern, die auf Klassenfahrt heimlich auf dem Klo rauchen, und deshalb zur Strafe nach Hause geschickt werden, zu der Notwendigkeit verdachtsunabhängiger Urintests auf Alkohol und Drogen bei allen Jugendlichen. Dass er Äpfel mit Birnen (oder, was die Sache besser trifft, Jacken mit Zwangsjacken) vergleicht, merkt er vielleicht nicht einmal. Die Vermutung liegt für mich nahe, dass Bueb ein "TINA" ("There Is No Alternative")-Mensch ist, der sich eine andere Methode, zu (Selbst-)Diziplin zu erziehen, als Überwachen und Strafen, gar nicht vorstellen kann.
henteaser (Gast) - 15. Feb, 21:46

Der Einfluss der klassisch-schwarzen Pädagogik des endenden 19. . Jahrhunderts (also Rohrstock, Eltern siezen und Matrosenanzug) hallt leider noch immer so stark nach, dass für viele Menschen 'Verwöhntwerden' und 'Verhätscheln' von Übel zu sein scheinen.

(vgl. auch Begriffe wie Schmusekurs oder Gutmensch)

Das ist wohl vergleichbar mit diesem Affenkäfig-Versuch, ergänzt um ein Quentchen Stockholm-Syndrom.

Und die Allerweltsweisheit "Kinder brauchen Grenzen" bedeutet sowieso hauptsächlich, dass die Erwachsenen in der Lage sind, eigene(!) Grenzen zu kennen UND hinterfragen, sowie den Grenzverlauf dem Nachwuchs plausibel machen zu können.
MMarheinecke - 15. Feb, 22:51

Ja, Kaisers Zeiten wirken nach

Wie die Verhältnisse im "Deutsche Reich" von 1871-1918, immerhin der erste deutschen Nationalstaat, bis heute nachwirken, dass ist IMO einer der "blinden Flecken" der politischen Diskurse. (Klar, die 12 Jahre Nazi-Deutschland "überstrahlen" in der Wahrnehmung alles, aber ohne die im "Bismark-Reich" gelegten Strukturen hätte es niemals ein "Nazideutschland" geben können.)
Rohrstock, Eltern siezen und Matrosenanzug sind zwar Klischees, aber sie umreissen doch ziemlich gut, war auch meiner Ansicht nach zu "Kaisers Zeiten" (und vorher) langfristig geprägt wurde:
"Rohrstock" steht für die "schwarze Pädagogik", etwa in der Tradition Schrebers oder die "Prügelschule". Eine "klassenübergreifende" Erfahrung, denn geprügelt wurde in der Dorfschule genau so wie im vornehmen Elite-Internat. Da geprügelte Eltern ihre Kindern schlagen, pflanzte sich die Tradition fort, mit Nachwirkungen bis heute, auch wenn die Pädagogik schon seit über 100 Jahren weiter ist. "Eltern siezen" gab es wohl eher wenig (noch nicht einmal im Haushalt Kaiser Wilhelms II. soll das üblich gewesen sein), aber es illustriert die gewollte Distanz zwischen Eltern und Kindern, vor allem in den "gehobenen" Kreisen der Gesellschaft. Der "Matrosenanzug" war zwar auch deshalb beliebt, weil er, im Vergleich zu anderer Kinderkleidung der Zeit, praktisch war, aber er illustriert eine dritte Langzeitprägung: den die ganze Gesellschaft durchdringenden Militarismus, die Betonung "soldatischer Tugenden", die sich ja tatsächlich sogar bei Bueb finden lassen. Als vierte "pädagogische Langzeitprägung" aus dieser Zeit mit Wirkungen bis heute fällt mir der Sozialdarwinismus ein. Allen vier Prägungen ist gemeinsam, dass sie "Härte" zur Tugend und "Verzärtelung" oder "Verweichlichung" zum Grundübel erhoben.
che2001 - 28. Feb, 15:13

Mutterentzug im Säuglingsstadium ist der sicherste Weg zu Autismus, Depression, Asperger und Borderline. Was Bueb da betreibt fällt unter Körperverletzung.

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