Die Tücken der Nulltoleranz

Es hat sich in der Kriminalitätsprävention praktisch bewährt, es ist nicht unproblematisch, es wird immer wieder falsch verstanden und noch häufiger politisch instrumentalisiert: das Prinzip der "Null Toleranz".

Der bizarrsten Blüten treibt das Prinio "Zero Tolerance" seit einiger Zeit im Vereinigten Königreich. Einem Mann, der eine Schrotflinte fand und persönlich zur Polizeiwachen brachten, drohen fünf Jahre Haft Ex-soldier faces jail handing in gun (surrey twoday) . (Via Uwe Vetters Lawblog).
Der Grund für das dem üblichen Gerechtigkeitsempfinden Hohn sprechendes Urteil des "Guildford Crown Court" liegt darin, dass der britische Gesetzgeber das Prinzip der "Zero Tolerance" - hier: dass jeder illegale Waffenbesitz bestraft wird, egal, aus welchen Gründen: "The intention of anybody possessing a firearm is irrelevant" - mit der beliebten Idee der "abschreckenden Strafe" kombiniert hat - Mindeststrafe für illegalen Waffenbesitz fünf Jahre. Es ist sehr zu hoffen, dass das Urteil vor höheren Instanzen kein Bestand hat.

Eine weitere britische Zero-Toleranz-Regelung ist nicht so leicht unter "schwerer handwerklicher Fehler bei der Gesetzgebung, geboren aus Aktionismus, Populismus und Hysterie" abzuhaken:
Scouts banned from carrying knives (times online) (Via Cynx.) Ich persönlich finde diese Regelung nicht gut, weil sie die jungen Pfadfinder im Grunde unter einen fast immer unberechtigten Generalverdacht stellt. Anderseits ist das Messertrageverbot aber moralisch legitim und wahrscheinlich aus praktischen Gründen geboten.
Ein Fahrtenmesser kann ein Werkzeug sein, aber am Gürtel als Teil der Kluft getragen, überwiegt doch m. E. der Waffencharakter. Das Messer-Verbot mag zwar eine übertrieben strenge Regelung sein - aber sie ist, anders im Fall des Waffenfinders, immerhin gerecht - denn es ist nicht einzusehen, mit welchem Recht Pfadfinder Messer im Gürtel tragen dürften, andere junge Menschen jedoch mit so einem Fahrtenmesser sofort als "Messerstecher" verdächtigt werden würden.

Es gibt ja auch sinnvolle Verbote, die durch Ausnahmen für "harmlose Fälle" undurchsetzbar werden würden. Zum Beispiel ist Alkoholgenuss in den "Metronom"-Zügen ab sofort verboten:
Das Verbot gilt in jedem Metronom zu jeder Tages- und Nachtzeit, an allen Wochentagen, für alle Fahrgäste und für alle Varianten von Alkohol, also auch das Feierabend-Bier oder das Hausfrauen-Sektchen. Die Metronom Eisenbahngesellschaft gestaltet das Verbot so umfassend, um gerecht zu bleiben und Diskussionen vor Ort zu vermeiden.
Metronom startet Alkoholverbot (taz-nord).

Das ist ein Beispiel dafür, dass eine "Null-Toleranz"-Regelung auch ganz pragmatische Gründe haben kann - auch wenn das Feierabend-Bier niemanden weh tut und die Regelung damit streng genommen über das Ziel hinaus schießt.
Wirr-Licht - 18. Nov, 09:03

das mit dem taschenmesser finde ich maßlos übertrieben. klar gibt es jugendliche, die ihre messer als waffen tragen, aber ich hatte als kind und jugendlicher auch ein schnitz/fahrten/taschenmesser, und wäre nie auf die idee gekommen, es als waffe zu verwenden. ich bin der meinung, KEIN jugendlicher solte als messerstecher verdächtigt werden. nulltoleranz solte aber gelten, sobald irgendwer irgendwen mit dem messer bedroht o.ä.

sonst kann man - IMHO - auch gleich holzschwerter verbieten.

MMarheinecke - 18. Nov, 09:58

Ich gebe dir Recht, aber ...

... genau das (nämlich das Verbot von Spielzeugwaffen) ist ja schon längst in der Pipeline - auch bei uns. Die Ursache für den britischen Zero-Tolerance-Amoklauf ist Angst - vor Terroristen, vor Einwanderern (letzteres aus Gründen der PC - "man" hat gefälligst kein Rassist zu sein - verschleiert), vor kriminellen Jugendlichen, vor dem allgemeinen Verfall der Sitten, vor dem gesellschaftlichen Abstieg, vor Kinderschändern. Diese Angst werden natürlich gezielt geschürt, aus politischen und auch ökonomischen Gründen, wobei ich Grund zu der Annahme habe, dass die Angstmacher am meisten unter Ängsten leiden - ihre schlimmste Angst dürfte die Angst vor dem Volk sein. Neben Populismus und Aktionismus stecken manchmal ja auch kühle machtstrategische Überlegungen hinter Nulltoleranz-Gesetzen und -Vorschriften. Die Nulltoleranz für Waffenbesitz ist, in Verbindung mit drastischen Strafen, ist ja auch ein großartiges Mittel, bei Bedarf unliebsame Mitbürger für einige Jahren für Bagatellen hinter Gittern verschwinden zu lassen. (Oder für geschickte Manipulationen - da braucht nur mal bei einer Hausdurchsuchung eine scharfe Patrone "gefunden" zu werden, das würde reichen.) Analog funktioniert das bei Rauschgiftbesitz - oder bei den berüchtigten "Terroranleitungen".

Für mich ist aber außer dem Konflikt um Freiheit und Sicherheit noch der Grundsatz Gleichheit im Spiel, und das macht die Sache für mich ethisch ungemütlich, bis hin zur "double bind"-Situation - in der ich, egal, wie ich mich entscheide, falsch entscheide.
Es wäre natürlich schön, wenn kein Jugendlicher als (potenzieller) Messerstecher verdächtigt würde, aber wie die Dinge nun einmal liegen, gibt es tatsächlich jugendliche Messerstecher. (Das Problem der verzerrten Wahrnehmung des Risikos klamme ich mal aus.) Wenn ich aber bestimmte Jugendliche mit Messern als Messerstecher verdächtigte, dann muss ich gemäß Gleichbehandlungsgrundsatz, alle Jugendliche mit Messern als Messerstecher verdächtigen, sonst handele ich diskriminierend. Deshalb habe ich auch das Beispiel mit dem absoluten Alkoholverbot in "Metronom"-Zügen angeführt - eine sinnvolle Vorschrift, die nur dann ohne positive oder negative Diskriminierung durchgeführt werden kann, wenn es keine Ausnahmen für Fälle gibt, in denen die Vorschrift offensichtlich unangemessen ist. Ein klassisches Dilemma.
Wirr-Licht - 18. Nov, 10:22

guck mal beim sven

http://www.svenscholz.de/index.php/links-for-2009-11-17/

Mit Fahrtenmessern gegen den "Führer"..

ist das zufall?

Jari (Gast) - 7. Dez, 15:16

Ich halte gar nichts von diesem Nulltoleranz-Zeug.

Und halte auch nichts von den neuen Waffen-Regelungen. Jeder der zustechen will kann sich ein Küchenmesser nehmen und die Ghetto-Gang-Kids interessiert die Reglung nicht - die haben ja nix mehr zu verlieren.

Warum verhindern sie nicht das Töten selbst? Ach ja, ...das versuchen sie ja mit Kameras, Kameras und Biometrie. Ganz ehrlich, wenn jedmand töten will, kann er das...mit oder ohne Waffen.

Schusswaffenverbot sehe ich ja ein, aber irgendwo beginnt auch die Übertreibung. Verbote und Kameras sind für die Verurteilung und Tataufklärung nett, aber die Probleme sind doch ganz andere. Lösen wir die Armenviertel auf, tun wir was gegen die Armut selbst, geben wir der Jugend Perspektiven, behandlen wir die Kids mit Menschlichkeit, lassen wir diesen Jeder-für-sich-Scheiß hinter uns und geben wir ihnen Verantwortung, lassen wir sie Demokratie ausprobieren und üben. :-)

Verbote schrecken kaum ab, stellen aber die Mehrheit unter Pauschalverdacht...

Dass Menschen Menschen töten, verhindern wir nicht dadurch, dass wir alles in Watte packen. ;-)

Grüße, Jari

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