Aus der Wunderwelt der gut-doofen Filme - heute: "Piraten"

Arrrr, Seebären und Landratten - heute ist "Talk Like A Pirate Day!

Pirates (Piraten) aus dem Jahr 1986 war eine französische Produktion, die mit Blick auf den amerikanischen Markt auf englisch gedreht wurde.
Theoretisch hat "Pirates" alles, um ein ganz großer Film zu sein: Roman Polanski als Regisseur, Walter Matthau als Hauptdarsteller, eine hervorragende Besetzung bis in die Nebenrollen, und ein üppiges Buget von 40 Millionen US-Dollar, das erlaubte, den Film auf einem eigens nachgebauten Schiff und fast vollständig "on location", d. H. im westlichen Mittelmeer und an der tunesischen Küste, zu drehen.
Trotzdem war der Film kein großer Erfolg und trug zu dem Ruf der Piratenfilme bei, "Kassengift" zu sein. Meiner Ansicht nach zurecht: denn "Pirates" ist kein guter, sondern eben nur ein gut-doofer Film.
Pirates 1986
Während bei Regie, Besetzung und Ausstattung nicht gespart wurde, hob sich die Story herzlich wenig von den üblichen Klischees ab. Die Produktion ist aufwendig und hochprofessionell, das Drehbuch eher nicht: Es unterschiedet sich kaum von denen der billig produzierten italienischen "Süßwasser-Piratenfilmen" der 1950er und 1960er-Jahre, die reihenweise am Gardasee (deshalb "Süßwasser-Piraten") abgedreht wurden.
Roman Polanski hatte "Pirates" ursprünglich als Abenteuerfilm im "Mantel und Degen"-Stil nach dem Vorbild der Errol-Flynn-Piratenfilme der 1930er und 1940er Jahre geplant. Polanski wollte die Hauptrolle, den grimmigen Piraten Captain Thomas Bartholomew Red, der locker auf dem berühmten historischen Piraten Bartholomew Roberts (1682 - 1722) beruht, mit Jack Nicholson besetzen. Das scheiterte nicht nur an Nicholsons Gagenforderungen, sondern auch daran, dass Polanski wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch im Jahre 1978 aus den USA floh (er soll die 13 Jahre alte Samantha Gailey unter Drogeneinfluss "gefügig gemacht" haben, und zwar in Jack Nicholsons Haus). Polanski lebte seitdem in Frankreich und konnte, da er die französischen Staatsbürgerschaft hat, nicht an die USA ausgeliefert weder. (Bemerkenswert ist, dass Samantha Geimer (geb. Gailey) sich heute für Polanskis einsetzt - der Fall wäre offensichtlich wegen der Voreingenommenheit der Staatsanwaltschaft und der Richter als "Vergewaltigung eines Kindes unter Drogeneinfluss" behandelt worden, während Geimer heute davon spricht, Polanski hätte lediglich einen Fehler gemacht.)
In Frankreich nahm er das Projekt später wieder auf, allerdings mit Walter Matthau in der Hauptrolle. Da Matthau keinesfalls ein Actionschauspieler ist, wurde das Drehbuch auf "komisch" umgearbeitet.

Zur Handlung: Captain Red (Walter Matthau) ist ein mit buchstäblich allen Piratenkapitän-Klischees, vom Brokatrock bis zum Holzbein, ausgestatteter Piratenkapitän. Seine prächtige Kleidung ist auch dann ein Rätsel, wenn man berücksichtigt, dass der Film absichtlich mit Klischees spielt, denn Captain Red hat immerhin vier Jahre gemeinsam mit dem jungen französichen Maat Jean-Baptiste, den er "Frosch" nennt (Cris Campion), auf einer einsamen Insel verbracht. Immerhin: "Frosch" ist angemessen abgerissen. Die beiden konnten der Insel mit einem Floß entkommen, allerdings ging der Proviant bald aus, und die beiden hungern. Red droht "Frosch" aufzufressen. Eine schwer bewaffnete spanische Galeone, die "Neptune", rettet die beiden. Sie werden zusammen mit zur Zwangsarbeit verurteilten Gefangenen eingesperrt. Zufällig, aber nicht überraschend, hat die "Neptune" einen Schatz an Bord, und "selbstverständlich" ist das nicht irgend ein Schatz, sondern der goldene Thron eines Aztekenkönigs. Es ist auch sonnenklar, dass Red das sehr schnell spitz bekommt, ebenso, dass einige der Gefangenen Piraten sind. Daraufhin zettelt er mühelos eine erfolgreiche Meuterei an und übernimmt das Kommando über die Schatzgaleone. Die Meuterer feiern auf einer Insel ihren Erfolg. Ebenso mühelos wie zuvor Red gelingt es dem spanische Kapitän Don Alfonso de la Torre (Damien Thomas) die Piraten zu überlisten, die "Neptune" zurückzukapern und zu fliehen. Allerdings bleibt Maria Dolores, die Nichte des Gouverneurs von Maracaibo, die sich (natürlich) in Jean-Baptiste verliebt hat, zurück. Mit ihr als Geisel macht sich Captain Red auf den Weg nach Maracaibo (wohin zufällig auch die "Neptun" fuhr). Obwohl Maracaibo schwer befestigt und gut bewacht ist, und obwohl die Wachen nach dem, was vorgefallen ist, eigentlich äußerst misstrauisch sein müssten, dringen Reds Männer nicht nur unerkannt in die Stadt ein, sondern gleich in die Schlafgemächer des Gouverneurs vor. Sie zwingen ihn, einen schriftlichen Befehl aufzusetzen, dass der goldene Thron Red auszuhändigen sei. Der Plan gelingt. Red und Jean-Baptiste versuchen in der Nacht mit einem Ruderboot den Thron aus dem Hafen zu schaffen, bleiben aber an der Absperrkette des Hafens hängen. Sie versuchen den Thron über die Kette zu heben, verlieren dabei ihr Boot und müssen die Nacht gemeinsam mit dem Thron auf der dicken Kette sitzend verbringen, wo sie am Morgen von den Spaniern festgenommen werden.
Selbstverständlich können die Piraten die zum Tode verurteilten Red und Jean-Baptiste befreien. Sie jagen anschließend der "Nepune" hinterher, die den Thron nach Spanien bringen soll. Die Piraten entern die "Neptune". Red kann den Thron wieder an sich bringen, verliert aber sein Schiff. Am Ende treiben er und "Frosch" wieder allein auf dem Meer, jedoch mit dem goldenem Thron, und Red will den nun "fett gewordenen" Frosch wieder auffressen.

Ähnlich wie später "Pirates of the Caribbean" spielt "Piraten" mit zahlreichen Genre-Klischees, und beide Filme haben Lücken von der Breite einer Meerenge in der Handlungslogik, einer Meerenge, die man durchsegeln könnte, ohne auch bei bester Sicht die beiden Küsten der Plausibilität im Fernrohr erkennen zu können. Aber "Pirates of the Carribean" spielt in einer Fantasy-Welt, in der buchstäblich alles passieren kann, und ist ohnehin eher Piratenfilm-Parodie als Abenteuerkomödie. Die Logikbrüche kommen unerwartet und wirken verblüffend. In "Pirates" kommen sie eher "mit Ansage" daher, denn auch wenn die Klischees handbreit aufgetragen werden, bleiben sie vorhersehbare Klischees. Anders gesagt: "Pirates" ist streckenweise langweilig. Außerdem sind viele der Gags in "Pirates" müde: Wenn Captain Red etwa mit dem Holzbein in einer Gräting steckenbleibt, steckt darin so wenig Situationskomik, dass selbst ein erprobter Kommödiant wie Matthau das nicht wirklich witzig darstellen kann. Das Niveau von "komischen" Szenen, in der zum Beispiel ein Pirat einem anderen ins Badewasser pinkelt, ist unterste Bilge. Überhaupt spielt "Fäkalhumor" bei den sichtbar nachträglich eingeschobenen Gags eine unangenehm große Rolle. Der Film ist weder Parodie noch leichtfüßige Abenteuerkommödie. Tatsächlich kämpfen gute Schauspieler und Polanskis Regie vergeblich gegen das schwache Drehbuch von Gérard Brach an. Brach ließ sich offensichtlich stark vom "Tim und Struppi" Abenteuer "Der Schatz Rackham des Roten" "inspirieren".
Einige gute Einfälle und Szenen dümpeln unverbunden nebeneinander her und der Spannungsbogen hängt schlaff durch wie ein Schot bei totaler Flaute. Der Film wurde beim Endschnitt um 20 Minuten gekürzt und ist trotzdem mit seinen gut zwei Stunden zu lang.

"Pirates" ist zwar besser inszeniert und wenige "trashig" als die meisten Gardasee-Piratenfilme, allerdings fehlt wegen der guten Besetzung, der guten Regie und vor allem der guten Ausstattung das Element der unfreiwilligen Komik. Piratenheulern wie "La scimitarra del Saraceno" ("Der Sohn des Roten Korsaren") (1959) oder "Il segreto dello sparviero nero" ("Der schwarze Brigant") (1961) verleihen gerade die lächerlichen Kulissenschiffe, die selbst auf dem meist spiegelglatten Gardasee so wirken, als würden sie im nächsten Augenblick in Seenot geraten, unverkennbar norditalienische Landschaften, vor Kitsch triefende Handlungen, krasse Anachronismen und stümperhafte Kampfszenen die gewisse Würze.

"Pirates" ist trotzdem sehenswert, und zwar im wörtlichen Sinne. Für die Kostüme von Anthony Powell erhielt der Film eine verdiente "Oscar"-Nominierung und auch den "César" für "beste Kostüme" und "beste Ausstattung" erhielt "Pirates" zurecht. Die Schauwerte sind also beachtlich.
Die meisten Piratenfilme wurden komplett im Studio gedreht, z. B. The Sea-Hawk (Der Herr der sieben Meere) (1940), es wurden einfache Kulissenschiffe gebaut (wie bei den Gardasee-Piraten) oder vorhandene Schiffe verwendet und allenfalls umgebaut, z. B. für The Crimson Pirate (Der rote Korsar) (1952) und u. A. auch für die Filmtrilogie Pirates of the Caribbean (Fluch der Karibik) (2003 - 2007).
Pirates, Roman Polanski, boat Genova 2
Die "Neptune" im Hafen von Genua. Quelle: Wikimedia, Foto: Zil

Nicht so bei Polanskis "Piraten": Der Hauptschauplatz und eigentliche Star des Filmes ist die Galeone "Neptune", 1983 - 1985 eigens für den Film gebaut. Die "Neptune" soll ein Schiff des 17. Jahrhunderts darstellen - die Schiffsglocke trägt die Jahreszahl 1627. Zwar ist die "Neptune" nicht wirklich authentisch - die Gallionsfigur ist z. B. viel zu groß, aber immerhin seetüchtig und kann mit einer Geschwindigkeit bis zu 5 Knoten (ca. 9 km/h) fahren. Der Bau hat 8,2 Millionen Dollar gekostet.
Nach den Dreharbeiten hat die Gesellschaft "Carthago Films" beschlossen, die "Neptune" zu einer ständigen Ausstellung zu machen. Sie liegt jetzt am Kai des Alten Hafens von Genua.

"Pirates" war ein finanzieller Flop, und trug viel zu der Vorstellung bei, dass Piratenfilme "Kassengift" seien. (Was 1995 durch den noch größeren Flop Cutthroat Island (unpassender deutscher Titel "Die Piratenbraut") scheinbar bestätigt wurde. Ich halte "Cutthroat Island übrigens für weniger doof und inhaltlich besser als "Pirates".)

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