Außenseiter "stören" - auch wenn sie niemanden stören

Es sind zwei Meldungen, eine aus Kopenhagen, eine aus Hamburg, die an sich wenig miteinander zu tun haben:
«Christiania» unterliegt gegen dänischen Staat (netzeitung)
Nach über 37 Jahren soll der "Freistaat Christiania" in Kopenhagen endgültig aufgelost werden. Ein Gericht sprach dem dänischen Staat das volle Nutzungsrecht über das Gelände der alternativen Wohnsiedlung zu. Damit ist die Regierung von Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen ihrem erklärten Ziel, die international berühmte "Hippie-Republik" in einen ganz normalen Stadtteil mit einem ganz normalen Wohnungsbauprojekt zu verwandeln, schon sehr nahe gekommen.

Nach 20 Jahren: Hausboot-Pionier muss gehen (abendblatt)
Schon seit 1989 wohnt der Frührentner Holger Buhr in einem kleinen Hausboot in der Billwerder Bucht - einem kaum noch genutzten Binnenhafen im Osten Hamburgs. Die Hafenverwaltung Hamburg (HPA) hat ihm jetzt nach fast 20 Jahren die offizielle "wasserrechtliche Genehmigung" für den Liegeplatz seines schwimmenden Zuhauses entzogen und droht mit hohem Zwangsgeld, wenn er den Platz nicht räumt. Begründung: Buhr betreibe dort keine "hafenkonforme Nutzung", und reines Wohnen im Hafen sei verboten. HPA-Sprecherin Karin Lengenfelder: "Und was illegal ist, wird nicht dadurch legal, dass es schon 20 Jahre andauert."

In dem einen Fall geht es um ein weltbekanntes gelungenes Experiment autonomen Lebens - im anderen Fall nur um das kleine Hausboot eines einzelnen Individualisten.
Der Denkmechanismus hinter den beiden Entscheidungen ist allerdings derselbe: Quertreiber und Aussenseiter werden nicht geduldet. Selbst wenn es eine Touristenattraktion wie Christiania ist, an der sich kaum ein Kopenhagener je gestört hat, oder um ein Hausboot, das 20 Jahre lang niemanden störte, und wahrscheinlich auch in Zukunft niemanden stören dürfte, geht.
Es geht ums Prinzip.
Dem Konservativen ist unwohl in einer Welt, in der nicht alles am Platz bleibt und nicht alles seinen geregelten Gang geht. Dass die dänische konservative Regierungskoalition von der lang geübten Praxis der Toleranz abgeht, hängt vordergründig mit dem Problem des Drogenhandels zusammen. (Wobei es nur um Hasch geht, "harte Drogen" werden von den Christanianern nicht geduldet.) Was sie wirklich treibt - und was Rasmussen sogar offen zugibt - ist die offenbar unerträgliche Vorstellung, es gäbe einen "rechtsfreien Raum". Also genau das, was auch das böse Internet für viele Konservative so bedrohlich erscheinen lässt. Schlimmer noch: sowohl Christiania wie das Internetzdingens beweisen, dass es auch ohne Top-Down-Entscheidungsmodelle geht, dass Selbstorganisation und Basisdemokratie funktionieren. Dass Anarchie nicht automatisch zur Rechtlosigkeit und zum allgemeinen Bürgerkrieg führt.

Im Falle des Hausbootes geht es, wie die HPA offen einräumt, darum, drohende Nachahmereffekte einzudämmen. (Im Wahlkampf malte der Rechtpopulist und spätere Innensenator Schill einst das Horrorgemälde drohender "Amsterdamer Verhältnisse" auf Hamburgs Kanälen und Fleeten an die Wand, mit Hausbootssiedlungen als unkontrollierbaren Brutstätten des Verbrechens. Schill ist schon lange weg vom Fenster, seine Angstbeisser-Mentalität hingegen nicht.)
Ein Liegeplatz in einem kaum noch genutzten Hafenteil ist billig (Holger Buhr zahlt 196 Euro im Jahr) und es gibt viele Hafenanlieger, z. B. Kaibetriebsgesellschaften, die nichts gegen Hausboote hätten. Da da könnte ja jeder kommen, so was untergräbt die Autorität der "Port Authority" und letzten Endes des Hamburger Staates! Zwar hat man in Hamburg, im Prinzip jedenfalls, nichts gegen Hausboote - nur sollen die sich gefälligst an die von den zuständigen Behörden aufgestellten Regeln halten: Am Mittelkanal z. B werden jetzt 5 (in Worten: fünf) Hausboot-Liegeplätze individuell ausgeschrieben. (Ich kenne die Ecke: da passen locker 50 Hausboote hin - ohne den spärlichen Bootsverkehr auf dem Kanal zu stören.)
Doch auch dabei will man nichts dem Zufall überlassen. Zeichnungen und ein Modell müssen die Bewerber einreichen. Eine Jury mit etlichen Beamten entscheidet dann, wer den Zuschlag bekommt. Architekten und andere Fachleute sollten auf jeden Fall zurate gezogen werden, heißt es in der Ausschreibung. Hausboot-Pionier Buhr: "Mit meinem Boot habe ich da doch niemals eine Chance."
creature - 27. Mai, 22:32

das war für mich der interessanteste platz in kopenhagen und auch meine begleiter waren immer begeistert, schade, ich mein eigentlich schlimm das die denen den platz wegnehmen.
der derzeitige zeitgeist ist seltsam, die tendenz die menschen zu einem einheitlichen wesen zu formen ist sehr offensichtlich, da lob ich mir meine jugendzeit, da wurde zwar geschimpft über die langen haare und die musik, aber es war toleriert.

Londo (Gast) - 28. Mai, 08:37

Auch ich finde es traurig..

...das Christiania plattgemacht werden soll.

Manueller Trackback: http://www.eoraptor.de/2009/05/christiania-vor-dem-aus-eine-traurige.html

Wirr-Licht - 28. Mai, 11:05

scheiss spiesser

aber echt.

Hner (Gast) - 28. Mai, 17:06

Ich weiß echt nicht, was trauriger ist, dass auf diese Weise gegen nicht-konforme Lebensentwürfe vorgegangen wird oder dass sich gegen diese Art repressiver Politik kaum mehr Widerstand regt. Danke für diesen wichtigen Artikel, hab' dich gleich mal zitiert: http://sehrhner.de/2009/05/farvel-christiania/.

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https://martinm.twoday.net/stories/5725232/modTrackback

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