Bundeswehr als "Hilfspolizei"?

Die Idee, die Bundeswehr bewaffnet "im Inneren" einzusetzen, ist nicht neu.

Ein kleiner historischer Überblick:
1962 - der Hamburger Innensenator Helmut Schmidt fordert bei einer schweren Sturmflut Bundeswehreinheiten an und überschritt damit nicht nur seine Kompetenzen, sondern brach auch die Verfassung. 40.000 Soldaten wurden als Katastrophenhelfer eingesetzt und retteten über Tausend Hamburgern das Leben. Der Verfassungsbruch wurde vom damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, einem lebenslangem politischen "Intimfeind" Schmidts, gedeckt.
Dieser humanitär sinnvolle Einsatz der Streitkräfte im Rahmen des Katastrophenschutzes war in den Folgejahren ein wichtiges (Schein-)Argument in der Debatte um die Notstandsgesetze.

Die Notstandsgesetze waren eine Bedingung der West-Alliierten vor der Übergabe der vollständigen Souveränität an die Bundesrepublik Deutschland, da sie ihre in Deutschland stationierten Truppen geschützt wissen wollten. Entsprechend waren die Notstandsgesetze unpopulär - tatsächlich war es nur in einer "großen Koalition" möglich, entsprechende Mehrheiten für die erforderlichen Grundgesetzänderungen zu beschaffen.

Die Notstandsgesetze enthalten Regelungen für den Verteidigungsfall, den Spannungsfall, den inneren Notstand und den Katastrophenfall. In diesen Fällen werden die Grundrechte eingeschränkt. Der Katastropheneinsatz der Bundeswehr war nur ein winziger Bestandteil dieses Paketes - und bislang der einzige, der in der Praxis relevant war.
Die Große Koalition 1966–69 verfügte über die notwendige Zweidrittelmehrheit und sah - mehr oder weniger - die Schaffung von Notstandsgesetzen als notwendige Regelung (bwz. aus Sicht mancher damaliger Politiker als "notwendiges Übel") an.

Abgeordnete der CDU / CSU, darunter Strauß, forderten damals bereits eine Regelung, die den Einsatz der Bundeswehr im Inneren auch gegen Demonstranten und Streikende erlaubt hätte. Allerdings war das damals gegen die SPD nicht durchsetzbar. Artikel 35 des Grundgesetzes schränkt seitdem den Einsatz der Bundeswehr im Inneren auf den unbewaffneten Einsatz im Katastrophenfall ein.

Trotz heftigen Proteste von Bürgerrechtlern, der einzigen Oppositionspartei FDP und der (linken) Außerparlamentarischen Opposition wurden die Notstandsgesetze am 30. Mai vom Bundestag beschlossen. Dabei votierten neben den Abgeordneten der FDP auch 53 Abgeordnete der SPD gegen die Gesetze.

Interessanterweise wurde der Einsatz der Bundeswehr gegen die Terroristen der RAF in den 1970er Jahren nicht ernsthaft diskutiert. Zu offensichtlich war, dass militärische Mittel gegen den Kleingruppenterrorismus unsinnig waren.

In die innenpolitische Diskussion wurde der Einsatz der Bundeswehr im Inneren erst wieder in der 1980er Jahren, unter einer CDU-FDP-Koalition, eingebracht. Besonders hervor tat sich dabei ein gewisser Wolfgang Schäuble damals als Chef des Bundeskanzleramts auch Minister für besondere Aufgaben. Er überlegte 1985 laut, wie er den Bonner Weltwirtschaftsgipfel gegen mögliche Anschläge aus der Luft schützen könnte.

In der 1990er Jahren etablierte sich auf dem Weg der Amtshilfe eine begrenzte Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und anderen Sicherheitsorganen. Schon bei Demonstrationen wie in Wackersdorf stellte die Bundeswehr Hubschrauber, Sanitätsfahrzeuge und Kasernenquartiere zur Verfügung. 1993 erhielt der Bundesgrenzschutz (BGS) von der Bundeswehr nicht nur 34 Wärmebildgeräte zum Aufspüren illegaler Grenzgänger, sondern auch das zur Bedienung notwendige Personal. Das geschah hinter dem Rückens des Parlamentes, erst als im Oktober 1993 Abgeordnete im Haushaltsausschuss auffiel, dass das Innenministerium 1994 zusätzlich 4,3 Mio. DM für den BGS erhalten sollte, um 465 Bundeswehrsoldaten im Grenzdienst zu besolden, wurde diese verfassungsrechtlich bedenkliche Zusammenarbeit öffentlich thematisiert.

Es war wieder Wolfgang Schäuble, nun Fraktionsvorsitzenden der Union, der hoffte, nachdem die Auslandseinsätzen der Bundeswehr durch das Bundesverfassungsgericht legitimiert worden war, den Inlandseinsatz der Bundeswehr gleich anschließend mit der SPD durchsetzen zu können. Unterstützt wurde er von Bundesinnenminister Manfred Kanther, Kanzleramtsminister Friedrich Bohl, Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Rüttgers und Fraktionsvize Johannes Gerster.
Die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit sind jedenfalls nicht mehr so eindeutig zu definieren. Deshalb muss es möglich sein, auf die Bundeswehr als eine Art Sicherheitsreserve zurückzugreifen.
Schäuble in "Der Spiegel" 1994, Heft 1.

Es zeigte sich, dass die Position Schäubles und Kanthers sogar innerhalb der CDU nicht mehrheitsfähig war, dafür aber erheblichen Unmut in der Bevölkerung erregte. Die Kontroverse kam Kanzler Kohl im Wahljahr 1994 ungelegen, der Bundeswehr-Inneneinsatz war erst einmal von Tisch.
Nur einzelne "Hardliner" wie Rupert Scholz oder der CDU-Wehrexperte Jürgen Augustinowitz, der im August 1996 der hannoverschen Polizei Bundeswehrhubschrauber und Soldaten zwecks Bekämpfung der "Chaostage" anbot, besetzten in den Jahren bis 2001 das heikle Thema.
Nach "9-11" wurde das Thema wieder von der CDU aufgegriffen. Allerdings nahm die damalige SPD-Grüne Koalition diese Anregung nicht auf, sicher auch aus wahltaktischen Gründen.
Nach der Bildung der 2. großen Koalition 2005 änderte sich das rapide. Anlässlich des G-8-Gipfels wurde das Maß der verfassungsrechtlich zulässigen Amtshilfe durch die Bundeswehr deutlich überschritten. Wolfgang Schäuble sprach sich, um einen Einsatz der Bundeswehr für Sicherheitsaufgaben zu ermöglichen (u. a. zum Abschuss von Zivilflugzeugen (Luftsicherheitsgesetz) für eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes aus. Bisher scheiterte er jedoch immer am Widerstand der SPD, die für eine verfassungsändernde 2/3 Mehrheit mit ins Boot geholt werden musste.
Nun aber hat die SPD ihre alten Vorbehalte aufgegeben bzw. dem Koalitionspartner nachgegeben, und einigte sich mit CDU auf eine Novellierung des Absatzes 35.

Burkhard Hirsch zum geplanten Einsatz der Bundeswehr auch gegen "innere Feinde”: Nothelfer Bundeswehr?. Via: netzpolitik.

Nachtrag: die SPD macht (vorerst) nicht mit- SpOn: Bundeswehr-Einsatz im Innern steht vor dem Aus

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