Vom Walfänger FLORA zur "Roten Flora" (2)

Teil 1: Der Walfänger

Teil 2: Die "Flora"-Tradition

1888 wurde die zuletzt als schwimmendes Bier- und Tanzlokal dienende Bark "Flora" abgewrackt.
Im selben Jahr wurde das "Tivoli-Theater" am "Schulterblatt", direkt an der Grenze zwischen den Städten Altona und Hamburg, erbaut.

Die Straße "Schulterblatt" hat ihren Namen nach dem Wirtshaus "Zum Schulterblatt" ab, das ab Mitte des 17. Jahrhunderts das bemalte Schulterblatt eines Wals als Ladenschild verwendete. Dieses Schild ist heute im Museum für Hamburgische Geschichte zu bewundern.
Die Gegend um das Schulterblatt lag von beiden Städten aus gesehen am Rande und bot preiswerten Wohnraum, konnte aber noch zu Fuß vom Hamburger oder Altonaer Hafen aus erreicht werden. Deshalb siedelten sich hier zunächst vorwiegend Walfänger und Hafenarbeiter an. Auf der Altonaer Straßenseite ließen sich zahlreiche jüdische Geschäftsleute nieder, denn in Hamburg herrschte, wie fast überall im "Heiligen Römischen Reich", eine judenfeindliche Zunft- und Gewerbeordnung, während es im dänischen Altona längst Religions- und Gewerbefreiheit gab, die auch im eigentlichen Königreich Dänemark noch nicht verwirklicht waren.
Mit den Niedergang des Walfanges und der auch in Hamburg vollzogenen Judenemanzipation veränderte sich der Charakter der Straße. Sie wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts, ähnlich der weiter südlich gelegenen Reeperbahn, zur "Amüsiermeile", wobei sie aber im Unterschied zur Reeperbahngegend nicht den Charakter eines "Rotlichtbezirks" annahm, sondern eher bürgerlich blieb.

An der Stelle des späteren "Flora-Theaters", auf der Altoner Seite des Schulterblatts, war 1857 das "Tivoli" eröffnet worden, ein etwas improvisiert wirkender Holzbau, der zunächst nur im Sommer bespielt wurde. 1888 wurde der schon erwähnte ganzjährig bespielbare Backsteinbau errichtet und zunächst "Tivoli-Theater" genannt. In bewusstem Rückgriff auf das populäre Amüsierschiff wurde das Theater bald in "Concerthaus Flora" umbenannt. Als immer mehr Operetten, Revuen und Varieté-Vorstellungen ins Programm aufgenommen wurde, wurde das Haus ausgebaut und bekam 1895 den lange bleibenden Namen "Flora-Theater". In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich der einstige Tingeltangel zum renommiertem Operettentheater. Daran änderte sich auch nichts, als 1937 Altona nach Hamburg eingemeidet wurde.

Nach schweren Bombenangriffen wurde das unversehrt gebliebene Theater 1943 geschlossen und diente als Lager für die Möbel ausgebombter Hamburger. Nach dem Krieg wurde das Flora-Theater wiedereröffnet. Als eines der wenige größeren Theater, die den Zweiten Weltkrieg nahezu unversehrt überstanden hatten, war es eine wichtige Spielstätte. In der "Flora" traten bedeutende Künstler der damaligen Zeit auf, Hans Albers spielte 1948 den Liliom, ein Jahr später trat Johannes Heesters in einer Revue auf. Nachdem weitere Theater wiederaufgebaut oder neu errichtet worden waren, und Revuen und Operetten an Popularität verloren, konnte sich das Flora-Theater nicht länger halten. 1953 wurde aus dem in die Jahre gekommenen Theater ein Kino, das, als das große "Kinosterben" der 1960er Jahre einsetzte, 1964 geschlossen wurde. Bis 1987 verkaufte das Warenhaus "1000 Töpfe" im einstigen Theater Haushaltswaren aller Art.

1987 wurde der Musical-Produzent Friedrich Kurz auf das alte Theatergebäude aufmerksam. Kurz trat an die Stadt Hamburg mit dem Wunsch heran, das Gebäude zum Musical-Theater umzubauen. Kurz setzte sich mit seinen "Flora"-Plänen in ein Wespennest. Die Anwohner und lokalen Gewerbetreibenden befürchteten, dass mit einem Musicaltheater an dieser Stelle die Mieten für Gewerbe und Wohnraum am bislang "billigen" Schulterblatt unbezahlbar würden. Über 10.000 Unterschriften wurden gegen den Bau gesammelt. Meine war darunter. M.M. Verstärkung kam auch von Autonomen aus dem Hafenstraßen-Umfeld, die sich für ein alternatives Kulturzentrum einsetzten. Der Streit eskalierte und nahm schnell absurde Dimensionen an. Der damalige Innensenator Werner Hackmann (SPD) drohte, man würde das Musical-Haus zur Not "vom ersten Spatenstich bis zur Premiere" abriegeln. Während der als Hardliner berüchtigte Innensenator sich in Drohgebärden übte, beschwichtigte Kultursenator Ingo von Münch (FDP) mit Versöhnungsfloskeln.
Trotz heftiger Proteste der Anwohner und der Denkmalschützer wurde das Bühnenhaus des historischen Floratheaters im April 1988 abgerissen. Lediglich der Eingangsbereich sollte erhalten werden, dahinter sollte ein Neubau mit der neuen Musicalspielstätte entstehen. Im Juni 1988 wurde der Platz besetzt. Neben die friedliche Anwohnerproteste traten militante Anschläge gegen die Baustelle, die dazu führten, dass auch der friedliche Protest öffentlich kriminalisiert wurde. Der Spitzname der am stärksten gesicherten Baustelle Hamburgs war "Klein-Wackersdorf".
Im September 1988 gaben die Investoren das Musicalprojekt "Flora" trotz (oder wegen?) der ständigen Polizeibewachung der Baustelle auf. Statt dessen wurde nahe dem S-Bahnhof Holstenstraße das Musicaltheater Neue Flora gebaut.

Im August 1989 bot die Stadt den "Flora"-Initiativen überraschend einen befristeten (zunächst sechswöchigen) Nutzungsvertrag an. Trotz einem gewissen Misstrauen gingen die "Autonomen" (die "gemäßigteren" Gruppen hatten nicht so lange durchgehalten) auf das Angebot ein, und am 23. September 1989 wurde die "Rote Flora" offiziell eröffnet. Nachdem der Vertrag ausgelaufen war und nicht verlängert wurde, wurde die "Rote Flora" dann am 1. November 1989 für besetzt erklärt. Seitdem wird das Gebäude als kultureller und politischer Treffpunkt genutzt. Es gibt keine bezahlten Stellen, keine Fördergelder, die Belange des Projekts werden im Rahmen der Selbstverwaltung organisiert.

Die lange und wechselhafte Geschichte der Auseinandersetzungen um die "Rote Flora" nachzuerzählen erspare ich mir. Sie wird auf der Seite der "Flora"-Gegner vor allem durch den Faktor "Angst" bestimmt - vordergründig der Angst, dass dort eine "Brutzelle linker Gewalt" entstehen würde, in Wirklichkeit wohl der Angst vor einem Raum, der der staatlichen "Planungshoheit" entzogen ist.

Nach einem Brand im November 1995 sah es so aus, als ob das Ende der "Roten Flora" gekommen sei. Aber das Gebäude wurde in Eigenarbeit durch die Besetzer wieder in Stand gesetzt.

Weil sich die "Rote Flora" zu breiteren Bevölkerungsschichten außerhalb der "Linken Szene" öffnete, und weil sie sich im Laufe der Jahre als Zentrum der nichtkommerziellen Kultur etablierte, ist die "Rote Flora" in im Schanzenviertel und St. Pauli endgültig zu einer festen Institution geworden, die das Bild des Stadtteils mitprägt.

Im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm wurde die längst etablierte und auch von der Stadt akzeptierte "Rote Flora" am 9. Mai 2007 durch die Bundesanwaltschaft durchsucht. Computer, Drucker, Faxgeräte sowie zahlreiche Dokumente wurden sichergestellt. Am gleichen Abend kam es zu einer spontanen Demonstration mit über 2.000 Teilnehmern, die sich gegen die Durchsuchungsaktion wendete. Es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Im Januar 2008 erklärte der Bundesgerichtshof die Durchsuchung und die Beschlagnahme von Gegenständen in der "Roten Flora" für rechtswidrig. Am 6. Juli 2008 wurde das Projekt erneut von einem Großaufgebot der Hamburger Polizei durchsucht. Vorangegangen war dem ein Streit vor dem Gebäude, in den sich Besucher der "Roten Flora" einmischten - also ein Vorfall, der mit der "Flora" selbst kaum etwas zu hatte.

Die "Rote Flora" ist kein Brennpunkt der "politischen Kriminalität" geworden - statt dessen werden aus ihrem Kreis heraus Kunstaktionen, Flohmärkte, Stadtteilfeste veranstaltet oder unterstützt. Was die "Rote Flora" für manche Politiker immer noch zum "roten Tuch" macht, sind vermutlich einige der Themen, die in der Stadtteilarbeit der "Roten Flora" immer wieder aufgegriffen werden: Einwandererprobleme, wiedererstarkender Nationalismus, Antifa-Arbeit, Auseinandersetzung mit der Privatisierung öffentlichen Raums - und selbstverständlich immer wieder auch soziale Probleme.

Finanziert werden die Aktivitäten der Flora zum Beispiel durch Konzerte, Partys und ähnliche Veranstaltungen, die Spannweite der Musikstile reicht dabei von Punk über Reggae oder Dub bis hin zu Drum'n'Bass, House und Techno. Damit setzt die heutige "Flora" gleich zwei Traditionen fort: die Tradition des genossenschaftlichen Eigentums, wie einst auf den Walfängern, und die kulturelle Tradition des "Flora-Theaters".

Man mag zu den linksautonomen "Besetzern" der "Flora" politisch stehen, wie man will, klar ist, dass das autonome Kulturzentrum weder "Brennpunkt der Kriminalität" noch "notorisches Randalezentrum" ist. Wer heute noch behauptet, die "Flora" sei ein Zentrum der gewaltbereiten Linken, der lebt meines Erachtens geistig in den 80er Jahren, als die Hafenstraßenhäuser noch keine alternative Wohngenossenschaft waren. Offenbar braucht "man" alte Feindbilder.
Chat Atkins (Gast) - 24. Aug, 09:38

An der 'Roten Flora' lässt sich zu allen Gelegenheiten das erprobte Staatsschauspiel 'Die tun was!' öffentlichkeitswirksam inszenieren.

MMarheinecke - 24. Aug, 11:44

Stimmt! Wobei sich die "Radikalität" der Linksautonomen und das "harte Durchgreifen" der Staatsmacht wohl gegenseitig bedingen. Ohne staatlichen Druck hätte sich die "Rote Flora" m. E. längst zum selbstverwalteten Kultur- und Veranstaltungszentrum gewandelt (wie, im kleineren Maßstab, das "Cafe Flop" in Bergedorf), ohne die "Radikalen" in der "Flora" wäre das Staatsschauspiel nicht mehr als "sinnvolle Prävention" verkaufbar.
che2001 (Gast) - 24. Aug, 16:13

Was die Repression sich alles leistete

wird an Knut und Ralf deutlich. Da wurde seitens des Staatsschutzes zwei Besetzern ein Anschlag auf eine Bahnstrecke angehängt, nach dem Prinzip "wo kein Terror ist, muss er erfunden werden" (wie ja auch die ersten Knarren der Bewegung 2. Juni vom Verfassungsschutz-Spitzel Peter Urbach stammten). Das ging nur dummerweise nach hinten los, kam es doch sofort zu einer bundesweiten Soli-Kampagne (an der wir entscheidend mitstrickten), und als die Unschuld der Angeklagten festgestellt wurde, sah die Anklage nicht gut aus. Btw, verglichen mit der Hafenstraße vor 1988 sah die Militanz der Flora-BesetzerInnen doch recht hausbacken aus.
ring2 (Gast) - 25. Aug, 09:10

Und die Mieten stiegen doch

... und die Flora ist ein Beispiel für Gentrifizierung. Nicht nur hat es wenig genutzt, wenn man die Mieten auf der Schanze sich anschaut, die linke Romantik hat erst dafür gesorgt, dass Werber und Medienfuzzis (Selbstkritik!) diesen Stadtteil für die ursprünglichen Bewohner nahezu unerschwinglich hat werden lassen.

Ein Schicksal, dass sich prominente Stadtteile von Altona und Berlin mit dem Schanzenviertel teilen.

John Dean (Gast) - 27. Aug, 00:00

Vielleicht lernen Haus-Besitzer ja dazu...

... und fördern künftig die Ansiedlung aktiver Autonomer in ihrem Stadtteil.

Für mich ist es ein alter (demokratischer!) Hut: Wo die Anwohner wirklich aktiv werden, wo eine lebendige Kultur vor Ort entsteht wie auch eine starke Identifikation der Anwohner und der Besucher eines Viertels, da steigt die Lebensqualität - und irgendwann steigen dann auch die Mieten.

Wenn man so will, wirken Demokratie und kulturelle Freiräume gegen Verwahrlosung. Aber deshalb ist dies nicht schlecht, imho.

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