Muss die Geschichte der Wikingerzeit umgeschrieben werden?

Dass die Geschichte umgeschrieben werden muss meint jedenfalls die norwegische Zeitung "Aftenposten" anlässlich der Entdeckung zweier großer wikingerzeitlichen Hallen in Borre (Vestfold).
(Der Aftenposten-Artikel auf Englisch: Rewrites Viking history)

Tatsächlich stellt die Entdeckung solcher "Königshallen" in der Nähe der Grabhügel von Borre die bisherigen Ansichten über die Machtverteilung im wikingerzeitlichen Norwegen in Frage. (Borre liegt am Westufer des Oslofjords, in der Nähe der Hafenstadt Horten.)
Die Grabhügel von Borre entstanden zwischen 560 - 1050 u. Z. . Sieben große und über 30 kleinerer Hügel bilden das größte frühmittelalterliche Grabhügelfeld Nordeuropas. Leider wurden alle Gräber später geöffnet und ausgeplündert. Dennoch gelangen einige kunsthistorische bedeutsame Funde ("Borrestil").

Die Hallen wurden mit Magnetometern und Bodenradar lokalisiert (größere Grabungen am Fundort stehen anscheinend noch aus).
Die größere hölzerne "Königshalle" wurde auf die Zeit um 700-800 datiert und könnte 40 m lang und 12 - 13 m breit gewesen sein. Damit wäre sie die größte bisher gefundene wikingerzeitliche Halle in Vestfold. Das deutet darauf hin, dass Borre nicht nur ein Begräbnisplatz war, sondern ein echtes Machtzentrum. Nach Ansicht der Archäologin Lena Fahre vom Midgard-Geschichtszentrum trafen sich hier Stämme aus ganz Nordeuropa zu Opferritualen.

Die am Fund beteiligten Archäologen sind der Ansicht, dass die bisherige historische Lehrmeinung, dass Kaupang das herausragende Machtzentrum Norwegens war, revidiert werden muss, da nun ein weiteres Zentrum weiter im Norden gefunden wurde.

Die Hallen dürften architektonisch und wohl auch in der Funktion die Vorläufer der berühmten hochmittelalterlichen Stabkirchen gewesen sein.
Damit erhärten die Funde die Theorie des Germanisten und Religionshistorikers Rudolf Simek, der davon ausgeht, dass es zumindest im skandinavischen Raum durchaus "Tempel" gab, die zugleich Versammlungsräume waren. (Dargelegt u. A. in seinem Buch Religion und Mythologie der Germanen.) Das könnte die widersprüchlichen Angaben antiker und mittelalterlicher Autoren darüber, ob es im nordgermanischen Kulturraum heidnische Tempel gab oder nicht, erklären: manche Autoren sahen in den Hallen nur "weltliche" Räume, andere stellten die sakrale Bedeutung in den Vordergrund. Die heidnischen Germanen unterschieden, anders als die Christen, nicht strikt zwischen sakraler und weltlicher Sphäre. Von ihrer Funktion dürften die Königshallen "Mehrzweckbauten" wie die aus der Antike bekannten Basiliken (von gr. basilike, was auch "Königshalle" bedeutet) gewesen sein: Räume für Gerichtssitzungen, Volksversammlungen, Handelsgeschäfte, Repräsentation des Herrschers (der stets auch sakrales Oberhaupt war), Feste und gemeinschaftliche Rituale.

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