Online-Durchsuchung - nur ein (teurer) Traum kontrollwütiger Politiker

Gewusst hat es eigentlich schon jeder, der sich mit "Malware" und ihrer Bekämpfung (notgedrungen) auskennt. Jetzt wird es auch von Prof. Johannes Buchmann, Leiter des Fachgebiets Theoretische Informatik der TU Darmstadt bestätigt. Forschungsschwerpunkte Buchmanns und seiner Mitarbeiter sind Kryptographie und Informationssicherheit.
Der 'Bundestrojaner' ist teuer und kann ausgetrickst werden

Wenn das so ist, wieso beharrt dann nicht nur Bundesinnenminister Schäuble, sondern auch der mutmaßlich sachkundigere BKA-Präsident Ziercke auf dem Einsatz der "Remote Forensic Software (RFS)"?

Im Falle des Ministers und anderer wenig computerkundiger Politiker vermute ich unter anderem einfach Wunschdenken. Angstgetriebenes Wunschdenken, denn offensichtlich beunruhigt es sie mehr, wenn Terroristen über das ihnen anscheinend unheimliche Internet kommunizieren, als wenn sie, wie einst die RAF, codierte Botschaften mittels Briefpost austauschen.
Wenn ihnen jemand, den sie als sachkundig anerkennen, verspricht, dass er eine elegante technische Lösung für dieses Problem hätte (und sie vielleicht durch in dieser Hinsicht schlampige Fernsehkrimis den Eindruck haben, vor einem versierter Hacker wäre kein System länger als drei Minuten sicher) - dann glauben sie ihm gerne. Und sind auch gern bereit, diese lästigen rechtlichen Hindernisse für eine erfolgreiche Online-Durchsuchung aus dem Weg zu räumen.

Auf Seiten der Sachkundigen sieht das natürlich anders aus. Ich vermute, dass es ihnen in erster Linie darum geht, mehr "Spielraum" für Überwachungen, die nur am Rande mit RFS zu tun haben, zu bekommen. Auch der bislang aus schlechten Erfahrungen üblichen strikten Trennung zwischen Geheimdienst und Polizei geht es im Zuge des elektronischen "Antiterrorkampfes" an den Kragen.

Der dritte Faktor liegt in der Psychologie. In Zeitungen, Fernsehen und auch Online-Medien wimmelt es geradezu von halbwaren oder missverstandenen Artikeln über den "Bundestrojaner". Tenor: ich weiß zwar nicht, wie das gehen soll, aber das BKA wird wissen, was es tut. Oder, bei misstrauischeren Journalisten: die werden bestimmt einen dreckigen Trick in der Hinterhand haben, mit dem sie ihre Schnüffelsoftware einfach überall, wo sie wollen, installieren können. Sogar ausgewiesene Fachleute lassen sich von dieser Hysterie anstecken - es könnte ja möglich sein. (Auf manchen
Geek-Foren, auf denen über dieses Thema diskutiert wird, würde ich am liebsten schreien: "Hört auf damit, womöglich kommt ihr auf Möglichkeiten, die den drei oder vier Malware-Experten des BKAs in Jahren nicht einfallen würden!". Aber ich lasse es: erstens lässt sich ein echter Computer-Geek höchsten unter Einsatz körperlicher Gewalt vom Tüfteln an einem technisch verlockenden Problem abbringen, und zweitens: selbst wenn sie eine Lösung fänden, gäbe es sofort andere Geeks, die eine Abwehr- oder Umgehungsmöglichkeit finden würden.)

Der "Hauptnutzen" jeder Überwachung liegt im Gefühl, sich ständig beobachtet zu fühlen. Das wusste schon Jeremy Bentham, der vor über 200 Jahre Gefängnisse nach dem Prinzip des Panopticons plante, in denen die Insassen im Prinzip jederzeit unbemerkt beobachtet werden konnten, weshalb sie sich niemals sicher sein konnten nicht beobachtet zu werden.

Von diesem Konstruktionsprinzip erhoffte sich Bentham, dass sich die Insassen zu jeder Zeit regelkonform verhalten, da sie jederzeit davon ausgehen müssten, beobachtet zu werden. Dies führe zu einer massiven Kostensenkung im Gefängniswesen, denn das Verhältnis zwischen effektiv geleisteter Überwachungsarbeit und erzeugter Angst, beobachtet zu werden, ist sehr effizient.
In der Praxis bestätigt wurde das Prinzip in unzähligen totalitären Staaten. Der Repressionsapparat der Gestapo war personell erstaunlich klein, verglichen mit ihrem Nimbus der Allgegenwart und der ständigen Angst vor der Gestapo, die selbst höhe Militärs und Nazi-Funktionäre teilten. Das MfS der DDR förderte nach Kräften, z. B. durch gezielte Indiskretionen, ihren Ruf, alles und jedes "unterwandert" zu haben. Tatsächlich lieferten das dichte Spitzelnetz der "Stasi" mehr Informationen, als wirklich ausgewertet werden konnte. Das System war aber trotzdem lange Zeit effizient, denn jeder DDR-Bürger ahnte zumindest, dass es ein dichtes Spitzelnetz gab, weshalb er deshalb das Gefühl hatte, im Grunde niemandem trauen zu können, was die Oppositionsarbeit sehr erschwerte. (Es gab auch viele, die trotzdem ruhig schliefen. Weil sie meinten, sie hätte doch nichts zu verbergen. Aber die dachten ohnehin nicht regimekritisch.)
Ein sehr wirksames Prinzip war die "lautstarke Ermittlung": es wurde gegen einen Regimegegner, der nur ein "kleiner Fisch" war, so auffällig und aufwendig ermittelt, dass es wirklich jeder in seiner Umgebung mitbekam, das gegen ihn ermittelt wurde, wobei der Eindruck erweckt wurde, dass er ein schwer krimineller Staatsfeind wäre. (Ich habe manchmal den Eindruck, dass diese Taktik dem BKA auch nicht gänzlich unbekannt ist.)
Aber diese Gefühl, ständig beobachtet zu werden und niemandem trauen zu können, lässt sich auch mit noch weniger Personalaufwand erzeugen: mit dem Einsatz möglichst undurchschaubarer technischer Mittel. In diesem Sinne sind auch Überwachungskameras, auf deren Monitore kaum ein Blick fällt, nie ausgewertete auf Vorrat gespeicherte Verbindungsdaten oder ein "Bundestrojaner", den es nur im Wunschdenken einiger Politiker und in den Angstphantasien vieler Bürger gibt, effizient.

Aber was sag ich da - den Bundestrojaner gibt es doch! Hier kann man ihn sich kostenlos downloaden:

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www.verstecken.net - 15. Nov, 13:20

Bundestrojaner teuer und umgehbar

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