Summer of Love V - das Ende des chemischen Pfingstens
In lockerer Folge schreibe ich im Laufe der Sommermonate über den "Sommer of Love" 1967, der in Wirklichkeit ein politisch, gesellschaftlich und kulturell "heißer" Sommer war, schreiben. Bisher gab es schon einen kleinen ironischen Text zum "Sommer of Love", einen Artikel zum "heißen Frühsommer" im West-Berlin des Jahres 1967 und einen kleinen Aufsatz, in dem ich zu zeigen versuchte, dass die Hippies mehr als nur "Blumenkinder" waren.
Dieser Artikel schließt sich inhaltlich an die Beitrag Summer of Love IV - LSD - die "Wunderdroge" und den nicht zur "Serie" gehörenden Text 70 Jahre Marihuana-Verbot an.
Mitte der 60er Jahre, noch bevor die "psychedelische Subkultur" ihren Höhepunkt erlebte, waren das von "Drogengurus" wie Timothy Leary beschworen "chemischen Pfingsten" so gut wie erledigt. Das "LSD-Problem" war entdeckt. Nicht, dass LSD-Gebrauch keine Probleme mit sich bringen könnte, aber an den einzelnen Drogen-User dachte jene, die LSD zur allgemeinen Bedrohung hochstilisierten, am wenigsten.
Bleiben wir bei den Fakten: obwohl damals viele, die auf den Acid- Trip gingen, äußerst naiv waren, blieb die Zahl der LSD-induzierten Psychosen doch äußerst überschaubar. Tatsächlich erwies sich LSD in dieser Hinsicht sogar als "erstaunlich sicher". Es ist auch kein Zufall, dass die Time das Problem an den kalifornischen Universitäten verortete: nicht nur in Europa, sondern auch in den USA wurden die Studenten "unruhig", und am "unruhigsten" war es an den Westküsten-Unis. Gesucht wurde eine "einfache" Erklärung für das "unvernünftige Verhalten" der jungen Menschen, mit anderen Worten, ein Sündenbock. "Junge Amerikaner aus soliden Mittelschichtverhältnissen protestieren gegen aufrechte in Vietnam gegen die rote Gefahr kämpfende amerikanische Soldaten und schwärmen sogar für kommunistische Führer wie Ho Chi-Min? Die müssen doch was genommen haben!" Der von mir skizzierte Gedankengang ist noch vergleichsweise rational:
Gefördert wurde die "LSD-Panik", gewollt oder ungewollt, durch die Massenmedien: ist ein Thema erst einmal "in den Schlagzeilen", wird es so lange wie möglich "am Kochen gehalten". Im Falle LSD wurde jetzt jeder Nervenzusammenbruch, jede Notaufnahme und jeder Suizidversuch, der sich mit LSD in Verbindung bringen ließ, zur Nachricht. Wie in ähnlichen Fällen üblich, versäumten die Medien, diese einzelnen "Schreckensmeldungen" in den Kontext von ähnlichen. aber weitaus häufigeren Zwischenfällen z. B. bei Alkoholmissbrauch oder den damals noch häufigen tödlichen "Unfällen" bei Barbituratmissbrauch zu stellen.
Warum waren "die 60er" aber wirklich so "unruhig"? Ein Grund lag bestimmt darin, dass durch den Übergang zwischen einer noch durch Kolonialherrschaft, Goldstandarts und Schutzzollpolitik geprägten "alten" Weltwirtschaft und jenem Freihandels-System, dass wir heute "globalisierte Weltwirtschaft" nennen, eine Lücke der ökonomischen Unbestimmtheit klaffte - salopp gesagt: Wirtschaftspolitiker und "Wirtschaftsführer" konnten kaum noch sagen wo es längs geht. Hinzu kamen technische Neuerungen - von der Satellitentechnik über Düsenflugzeuge bis zu den ersten Computern in Verwaltung und Produktion - die damals einerseits mit übersteigert optimistischen Erwartungen, anderseits aber auch mit einer heute kaum noch nachvollziehbaren Verunsicherung kommentiert wurden. Dann spielte das vielleicht wichtigste Ereignis der jüngeren Menschheitsgeschichte, ein Nicht-Ereignis, eine große Rolle: der Atomkrieg fand nicht statt. Auch wenn die breite Öffentlichkeit noch über viele haarsträubende Details der Kubakrise des Jahres 1962 in Unklaren gelassen wurde: Es wurde vielen Menschen klar, dass es verdammt knapp gewesen war - und dass entgegen der Zivilschutz-Propaganda keiner "davongekommen" wäre. Das Risiko "Atomkrieg", die Möglichkeit des Endes der Menschheit, ließ sich nicht mehr verdrängen oder, wie noch wenige Jahre zuvor, verniedlichen. Hinzu kam der Generationenkonflikt, der vor allem in Europa, und hier vor allem in Deutschland weit über die üblichen Reibereien zwischen Eltern und heranwachsenden Kindern hinausging: die "Nachkriegsgeneration" wurde erwachsen. Und sie stellte Fragen, die die Kriegsgeneration ihnen nicht beantworten konnte oder wollte. In Deutschland die Frage nach den Verbrechen der Nazizeit - damals wurde der später missverstanden Slogan geprägt: "Trau keinem über 30". Im Deutschland des Jahres 1967 bedeutete das konkret: Jeder, der älter als Jahrgang 1937 war, konnte, in der einen oder anderen Weise, "NS-belastet" oder wenigstens, durch Schule und HJ, "NS-indoktriniert" sein. All das - und noch einiges mehr - hatte zur Folge, dass "die Zukunft" nicht mehr als "Verlängerung der Vergangenheit" denkbar war.
Aber das war als Erklärungsmodell dafür, dass die "Jugend" teils rebellierte, teils "ausstieg", vermutlich zu kompliziert und, für die Konservativen, zu unbequem.
Diese Zeit der Unsicherheit, der auf einmal nicht mehr "planbaren" Zukunft, wurde von vielen, vor allem jüngeren Menschen als Signal für einen kulturellen Aufbruch gesehen. (Sogar im "Ostblock" war davon immerhin so viel zu spüren, dass z. B. die DDR-Führung hektisch versuchte gegenzusteuern.) Alles schien auf einmal möglich zu sein, manche merkten, das Mystik und Magie auf ihre Weise "real" waren - ein geistiger Aufbruch, der leider in die "New Age Esoterik" mündete, die dann oft in purer Konsum-Esoterik versandete. Diese zeitweise Wiederkehr des mystisch-intuitiven Denkens verstärkte die Neugier auf Halluzinogene, die wiederum das mystisch-intuitive Denken förderten. In nüchterner Psychologen-Sprache wirkt LSD (und wirken viele - nicht alle - halluzinogene Drogen) als unspezifischer Verstärker psychischer und sozialer Prozesse. Set und Setting - Umgebung und seelische Befindlichkeit - sind deshalb von entscheidender Bedeutung. Grob geschätzt würde ein verträumter, mystisch denkender Hippie durch Trip-Erfahrung noch verträumter und mystischer, während LSD bei in militärischen Bahnen denkenden Menschen anstatt mystischer Offenbarungen eher bizarre Attentats- und Kriegsszenarios hervorruft. Eine Faustregel: wovon ein Mensch nachts träumt, dass erlebt er auf LSD-Trip. Vielleicht hat LSD "revolutionäre Utopien" angestoßen, wenn auch auf andere Weise, als es die LSD-Gegner an die Wand malten.
In den 60er Jahren blieb das Streben nach "schamanischem Wissen", nach anhaltender Bewusstseinserweiterung, nach der Erforschung des "inner space" letztlich erfolglos und bis auf die New Age-Welle weitgehend folgenlos. Das ist außer auf die Kriminalisierung der "bewusstseinserweiternden" Drogen vom Marihuana aufwärts meiner Ansicht nach auch auf den zu unernsten (im Sinne der "Partydrogen") und zu naiven, zu oberflächlichen und vor allem zu wenig sachkundigen Umgang mit Halluzinogenen zurückzuführen. Vielleicht hätte das "chemische Pfingsten" auch ohne staatliche Verbote nach wenigen Jahren geendet.
In erster Linie wurde LSD "Opfer" einer angst-gesteuerten Politik. Es war vor allem die Angst vor Kontrollverlust über "die Jugend", aber auch das unter Politikern beliebte "Pappdrachentöten", das zuerst zur Dämonisierung und dann zum Verbot führte. (Ein "Pappdrache" ist eine selbst heraufbeschworene Bedrohung, die dann "mutig" bekämpft wird - also eine Kreuzung aus "Papiertiger" und "Strohmann".) Ein Hauptargument für ein LSD-Verbot, nämlich das, dass die Substanz keinen therapeutischen Nutzen hätte, kam ausgerechnet von den Psychiatern, aus deren Reihen einige der größten LSD-Enthusiasten der vorangegangenen Jahre stammten.
Der Grund lag vermutlich darin, dass auch die Psychiatrie in ihrer breiten Mehrheit zu einen Paradigmenwechsel nicht bereit war; einem Paradigmenwechsel infolge der beim therapeutischen und experimentellen Gebrauch gewonnen Erfahrungen, die die gängigen Modelle des menschlichen Geistes infrage stellten. Vereinfacht gesagt, zog sich die Psychiatrie in die "sichere" Richtung, Richtung Neurologie, zurück, wobei die Neurologie interessanterweise sehr von den Drogenexperimenten (und den Experimenten an damals neuen Psychopharmaka aus der Klasse der Neuroleptika und Antidepressiva) profitierte. Heute noch neigen sehr viele Psychiater zu rein biologischen Erklärungsmodellen für psychische Störungen, wobei leider oft soziale und psychologische Ursachen unter den Tisch fallen. Der oft beklagte "Graben" zwischen Ärzten (Psychiatern) und Nicht-Medizinern (Psychologen) wird dadurch nicht eben kleiner.
Um es kurz zu machen: der "Zeitgeist" in der Psychiatrie wandte sich innerhalb weniger Jahre von "LSD ist ein wertvolles Therapeutikum" zu "LSD ist therapeutisch ohne erkennbaren Nutzen".
1966 wurde LSD in den USA verboten. 1968 wurde durch die Food and Drug Administration auch jede weitere Forschungsarbeit untersagt.
1967 wurde LSD in der Bundesrepublik Deutschland den Vorschriften des Opiumgesetzes, dem Vorläufer des heutigen Betäubungsmittelgesetzes, unterstellt. Eine Nutzung ist seitdem nur mit besonderer Erlaubnis möglich. Bis weit in die 90er Jahre wurden diese Sondererlaubnisse durch die "Bundesopiumstelle" äußerst restriktiv gehandhabt.
LSD fällt seit 1971 außerdem unter das Verbot der UN-Konventionen über psychotrope Substanzen ("Convention on Psychotropic Substances"). Die Konferenz, die die internationale Ächtung der halluzinogenen Drogen nach sich zog, war von einen ökonomisch begründete Zwist zwischen zwei Gruppen gekennzeichnet. Auf der einen Seite standen vor allem Nationen mit einer leistungsfähigen pharmazeutischen Industrie, die einen kontrollierten Gebrauch von Halluzinogenen befürworteten, während sich die Gegengruppe um Ländern formierte, in denen pflanzliche Drogen wie Cannabis, Coca oder Schlafmohn (Opium) angebaut wurden. Die drogenanbauenden Länder litten sehr unter der restriktiven Anti-Drogen-Konvention von 1961 und forderten, sozusagen als Vergeltung, harte Gesetze gegen synthetische Drogen. Am Ende führte der zu einem Streit zwischen Industrienationen und "Entwicklungsländern" hochstilisierte Konflikt zu einem "faulen Kompromiss": die verabschiedete Konvention war zugunsten der pharmazeutischen Industrie deutlich "weicher" als die bestehende Anti-Drogen-Konvention gegen "Drogen vom Acker", und zwar in etwa nach dem Schema, dass Drogen, die ohnehin "suspekt" waren, wie LSD, aber auch das pflanzliche (aber wirtschaftlich bedeutungslose) Mescalin, völlig geächtet wurden, während Psychopharmaka und selbst die umstrittenen Amphetamine weitgehend legal blieben.
Siehe auch Gedanken über die gefühlte Gefährlichkeit von Drogen
Dieser Artikel schließt sich inhaltlich an die Beitrag Summer of Love IV - LSD - die "Wunderdroge" und den nicht zur "Serie" gehörenden Text 70 Jahre Marihuana-Verbot an.
Mitte der 60er Jahre, noch bevor die "psychedelische Subkultur" ihren Höhepunkt erlebte, waren das von "Drogengurus" wie Timothy Leary beschworen "chemischen Pfingsten" so gut wie erledigt. Das "LSD-Problem" war entdeckt. Nicht, dass LSD-Gebrauch keine Probleme mit sich bringen könnte, aber an den einzelnen Drogen-User dachte jene, die LSD zur allgemeinen Bedrohung hochstilisierten, am wenigsten.
Die Krankheit schlägt zu in Beatnikschuppen am Küstenstreifen und in den Schlafsälen von College-Vorbereitungsschulen; an der University of California, Los Angeles und auf dem University-of-California-Campus in Berkeley wird sie nachgerade zu einen Besorgnis erregenden Problem. Und überall ist die Diagnose dieselbe: psychotische Erkrankung infolge unerlaubten nicht-medizinischen Gebrauchs der Droge LSD-25.Time, Marz 1966
Bleiben wir bei den Fakten: obwohl damals viele, die auf den Acid- Trip gingen, äußerst naiv waren, blieb die Zahl der LSD-induzierten Psychosen doch äußerst überschaubar. Tatsächlich erwies sich LSD in dieser Hinsicht sogar als "erstaunlich sicher". Es ist auch kein Zufall, dass die Time das Problem an den kalifornischen Universitäten verortete: nicht nur in Europa, sondern auch in den USA wurden die Studenten "unruhig", und am "unruhigsten" war es an den Westküsten-Unis. Gesucht wurde eine "einfache" Erklärung für das "unvernünftige Verhalten" der jungen Menschen, mit anderen Worten, ein Sündenbock. "Junge Amerikaner aus soliden Mittelschichtverhältnissen protestieren gegen aufrechte in Vietnam gegen die rote Gefahr kämpfende amerikanische Soldaten und schwärmen sogar für kommunistische Führer wie Ho Chi-Min? Die müssen doch was genommen haben!" Der von mir skizzierte Gedankengang ist noch vergleichsweise rational:
Spätestens im Herbst 1966 deuteten dann Gegner an, dass LSD wahrscheinlich langfristige Schädigungen des Gehirns hervorrufe. Ihre Beweisgundlage? Die Tatsache, dass so viele Jugendliche, nach LSD-Erfahrung, wenig Verlangen zeigten, sich dem koropativ-provinziellen Lebensstil anzupassen, den ihre Eltern sich zu Eigen gemacht hatten.aus: Jay Stevens: Storming Heaven - zitiert nach: Daniel Pinchbeck: Den Kopf aufbrechen (Breaking Open the Head)
Gefördert wurde die "LSD-Panik", gewollt oder ungewollt, durch die Massenmedien: ist ein Thema erst einmal "in den Schlagzeilen", wird es so lange wie möglich "am Kochen gehalten". Im Falle LSD wurde jetzt jeder Nervenzusammenbruch, jede Notaufnahme und jeder Suizidversuch, der sich mit LSD in Verbindung bringen ließ, zur Nachricht. Wie in ähnlichen Fällen üblich, versäumten die Medien, diese einzelnen "Schreckensmeldungen" in den Kontext von ähnlichen. aber weitaus häufigeren Zwischenfällen z. B. bei Alkoholmissbrauch oder den damals noch häufigen tödlichen "Unfällen" bei Barbituratmissbrauch zu stellen.
Warum waren "die 60er" aber wirklich so "unruhig"? Ein Grund lag bestimmt darin, dass durch den Übergang zwischen einer noch durch Kolonialherrschaft, Goldstandarts und Schutzzollpolitik geprägten "alten" Weltwirtschaft und jenem Freihandels-System, dass wir heute "globalisierte Weltwirtschaft" nennen, eine Lücke der ökonomischen Unbestimmtheit klaffte - salopp gesagt: Wirtschaftspolitiker und "Wirtschaftsführer" konnten kaum noch sagen wo es längs geht. Hinzu kamen technische Neuerungen - von der Satellitentechnik über Düsenflugzeuge bis zu den ersten Computern in Verwaltung und Produktion - die damals einerseits mit übersteigert optimistischen Erwartungen, anderseits aber auch mit einer heute kaum noch nachvollziehbaren Verunsicherung kommentiert wurden. Dann spielte das vielleicht wichtigste Ereignis der jüngeren Menschheitsgeschichte, ein Nicht-Ereignis, eine große Rolle: der Atomkrieg fand nicht statt. Auch wenn die breite Öffentlichkeit noch über viele haarsträubende Details der Kubakrise des Jahres 1962 in Unklaren gelassen wurde: Es wurde vielen Menschen klar, dass es verdammt knapp gewesen war - und dass entgegen der Zivilschutz-Propaganda keiner "davongekommen" wäre. Das Risiko "Atomkrieg", die Möglichkeit des Endes der Menschheit, ließ sich nicht mehr verdrängen oder, wie noch wenige Jahre zuvor, verniedlichen. Hinzu kam der Generationenkonflikt, der vor allem in Europa, und hier vor allem in Deutschland weit über die üblichen Reibereien zwischen Eltern und heranwachsenden Kindern hinausging: die "Nachkriegsgeneration" wurde erwachsen. Und sie stellte Fragen, die die Kriegsgeneration ihnen nicht beantworten konnte oder wollte. In Deutschland die Frage nach den Verbrechen der Nazizeit - damals wurde der später missverstanden Slogan geprägt: "Trau keinem über 30". Im Deutschland des Jahres 1967 bedeutete das konkret: Jeder, der älter als Jahrgang 1937 war, konnte, in der einen oder anderen Weise, "NS-belastet" oder wenigstens, durch Schule und HJ, "NS-indoktriniert" sein. All das - und noch einiges mehr - hatte zur Folge, dass "die Zukunft" nicht mehr als "Verlängerung der Vergangenheit" denkbar war.
Aber das war als Erklärungsmodell dafür, dass die "Jugend" teils rebellierte, teils "ausstieg", vermutlich zu kompliziert und, für die Konservativen, zu unbequem.
Diese Zeit der Unsicherheit, der auf einmal nicht mehr "planbaren" Zukunft, wurde von vielen, vor allem jüngeren Menschen als Signal für einen kulturellen Aufbruch gesehen. (Sogar im "Ostblock" war davon immerhin so viel zu spüren, dass z. B. die DDR-Führung hektisch versuchte gegenzusteuern.) Alles schien auf einmal möglich zu sein, manche merkten, das Mystik und Magie auf ihre Weise "real" waren - ein geistiger Aufbruch, der leider in die "New Age Esoterik" mündete, die dann oft in purer Konsum-Esoterik versandete. Diese zeitweise Wiederkehr des mystisch-intuitiven Denkens verstärkte die Neugier auf Halluzinogene, die wiederum das mystisch-intuitive Denken förderten. In nüchterner Psychologen-Sprache wirkt LSD (und wirken viele - nicht alle - halluzinogene Drogen) als unspezifischer Verstärker psychischer und sozialer Prozesse. Set und Setting - Umgebung und seelische Befindlichkeit - sind deshalb von entscheidender Bedeutung. Grob geschätzt würde ein verträumter, mystisch denkender Hippie durch Trip-Erfahrung noch verträumter und mystischer, während LSD bei in militärischen Bahnen denkenden Menschen anstatt mystischer Offenbarungen eher bizarre Attentats- und Kriegsszenarios hervorruft. Eine Faustregel: wovon ein Mensch nachts träumt, dass erlebt er auf LSD-Trip. Vielleicht hat LSD "revolutionäre Utopien" angestoßen, wenn auch auf andere Weise, als es die LSD-Gegner an die Wand malten.
In den 60er Jahren blieb das Streben nach "schamanischem Wissen", nach anhaltender Bewusstseinserweiterung, nach der Erforschung des "inner space" letztlich erfolglos und bis auf die New Age-Welle weitgehend folgenlos. Das ist außer auf die Kriminalisierung der "bewusstseinserweiternden" Drogen vom Marihuana aufwärts meiner Ansicht nach auch auf den zu unernsten (im Sinne der "Partydrogen") und zu naiven, zu oberflächlichen und vor allem zu wenig sachkundigen Umgang mit Halluzinogenen zurückzuführen. Vielleicht hätte das "chemische Pfingsten" auch ohne staatliche Verbote nach wenigen Jahren geendet.
In erster Linie wurde LSD "Opfer" einer angst-gesteuerten Politik. Es war vor allem die Angst vor Kontrollverlust über "die Jugend", aber auch das unter Politikern beliebte "Pappdrachentöten", das zuerst zur Dämonisierung und dann zum Verbot führte. (Ein "Pappdrache" ist eine selbst heraufbeschworene Bedrohung, die dann "mutig" bekämpft wird - also eine Kreuzung aus "Papiertiger" und "Strohmann".) Ein Hauptargument für ein LSD-Verbot, nämlich das, dass die Substanz keinen therapeutischen Nutzen hätte, kam ausgerechnet von den Psychiatern, aus deren Reihen einige der größten LSD-Enthusiasten der vorangegangenen Jahre stammten.
Der Grund lag vermutlich darin, dass auch die Psychiatrie in ihrer breiten Mehrheit zu einen Paradigmenwechsel nicht bereit war; einem Paradigmenwechsel infolge der beim therapeutischen und experimentellen Gebrauch gewonnen Erfahrungen, die die gängigen Modelle des menschlichen Geistes infrage stellten. Vereinfacht gesagt, zog sich die Psychiatrie in die "sichere" Richtung, Richtung Neurologie, zurück, wobei die Neurologie interessanterweise sehr von den Drogenexperimenten (und den Experimenten an damals neuen Psychopharmaka aus der Klasse der Neuroleptika und Antidepressiva) profitierte. Heute noch neigen sehr viele Psychiater zu rein biologischen Erklärungsmodellen für psychische Störungen, wobei leider oft soziale und psychologische Ursachen unter den Tisch fallen. Der oft beklagte "Graben" zwischen Ärzten (Psychiatern) und Nicht-Medizinern (Psychologen) wird dadurch nicht eben kleiner.
Um es kurz zu machen: der "Zeitgeist" in der Psychiatrie wandte sich innerhalb weniger Jahre von "LSD ist ein wertvolles Therapeutikum" zu "LSD ist therapeutisch ohne erkennbaren Nutzen".
1966 wurde LSD in den USA verboten. 1968 wurde durch die Food and Drug Administration auch jede weitere Forschungsarbeit untersagt.
1967 wurde LSD in der Bundesrepublik Deutschland den Vorschriften des Opiumgesetzes, dem Vorläufer des heutigen Betäubungsmittelgesetzes, unterstellt. Eine Nutzung ist seitdem nur mit besonderer Erlaubnis möglich. Bis weit in die 90er Jahre wurden diese Sondererlaubnisse durch die "Bundesopiumstelle" äußerst restriktiv gehandhabt.
LSD fällt seit 1971 außerdem unter das Verbot der UN-Konventionen über psychotrope Substanzen ("Convention on Psychotropic Substances"). Die Konferenz, die die internationale Ächtung der halluzinogenen Drogen nach sich zog, war von einen ökonomisch begründete Zwist zwischen zwei Gruppen gekennzeichnet. Auf der einen Seite standen vor allem Nationen mit einer leistungsfähigen pharmazeutischen Industrie, die einen kontrollierten Gebrauch von Halluzinogenen befürworteten, während sich die Gegengruppe um Ländern formierte, in denen pflanzliche Drogen wie Cannabis, Coca oder Schlafmohn (Opium) angebaut wurden. Die drogenanbauenden Länder litten sehr unter der restriktiven Anti-Drogen-Konvention von 1961 und forderten, sozusagen als Vergeltung, harte Gesetze gegen synthetische Drogen. Am Ende führte der zu einem Streit zwischen Industrienationen und "Entwicklungsländern" hochstilisierte Konflikt zu einem "faulen Kompromiss": die verabschiedete Konvention war zugunsten der pharmazeutischen Industrie deutlich "weicher" als die bestehende Anti-Drogen-Konvention gegen "Drogen vom Acker", und zwar in etwa nach dem Schema, dass Drogen, die ohnehin "suspekt" waren, wie LSD, aber auch das pflanzliche (aber wirtschaftlich bedeutungslose) Mescalin, völlig geächtet wurden, während Psychopharmaka und selbst die umstrittenen Amphetamine weitgehend legal blieben.
Siehe auch Gedanken über die gefühlte Gefährlichkeit von Drogen
MMarheinecke - Dienstag, 21. August 2007