Moderne Hexenjagd
Ich wollte eigentlich nur in der englischsprachigen Wikipedia etwas über Pete Townshend ("The Who") nachlesen. Dabei stieß ich auf eine Affäre, die seinerzeit auch in Deutschland Schlagzeilen machte:
Peter Townshend Police caution
Ich erinnere mich noch gut daran, mit welcher Begeisterung die Massenmedien den "Schlag gegen Kinderpornographie im Internet" meldeten: Weltweit um etwa 250 000 Menschen, davon 7000 Briten und mehr als 1400 Deutsche gerieten 2002/2003 in den Verdacht, an einem Internet-Kinderporno-Ring beteiligt zu sein. Darunter auch Prominente, was den Fall lange in den Schlagzeilen hielt. Besonders schockiert war ich darüber, dass ausgerecht Pete Townshend zu den Verdächtigen gehörte - denn er hatte sich wie kaum ein anderer Künstler gegen Kindesmissbrauch engagiert. Und noch mehr schockierte es mich, dass er sich "schuldig" bekannte - wenn es auch nur für eine "Verwarnung" reichte.
Tatsächlich war er, wie fast alle der damals im Zuge der "Operation Avanlance" (USA), "Operation Ore" (UK) oder "Aktion Pecunica" (Deutschland) in Verdacht geratenen, unschuldig. (Was bezeichnenderweise in den deutschen Medien völlig unterging. Ich wusste es jedenfalls, bis ich über Townshend nachschlug, nichts davon.)
Ein Detail des Verfahrens gegen Townshend (und hunderte andere britische Verdächtige) erinnerte mich sofort an frühneuzeitliche Hexenprozesse: Im britischen Strafrecht gibt es die Möglichkeit eines "Deals" mit der Staatsanwaltschaft: Verringerung des Strafmaßes gegen Zusammenarbeit.
Die in Zuge der "Operation Ore" Verhafteten standen schon dadurch, dass sie unter dem "dringenden Verdacht" des sexuellen Kindesmissbrauchs standen, unter enormen Druck durch öffentliche Vorverurteilungen. Schlimmer noch: es drohte ihnen, obwohl sie sich keiner Schuld bewusst waren, und obwohl die Beweislage dünn" war, eine Gefängnisstrafe.
Der Deal, der ihnen vom Staatsanwalt angeboten wurde, lief darauf hinaus, dass jeder, der sich des Konsum von Kinderpornographie für schuldig erklärt, nur eine symbolische Strafe (wie Townshend) oder eine Bewährungsstrafe erhält. Die meisten Verdächtigten wussten nicht, wie unzureichend das "Beweismaterial" wirklich war, sie wollten keine (immerhin mögliche) Gefängnisstrafe riskieren - weshalb ein grosser Teil von ihnen auf den "Deal" einging.
Nun wurden diese "Geständnisse" seitens der Polizei und Staatsanwaltschaft als Beweis für das Zutreffen der Anklagen gewertet. Man hätte zwar nur "kleine Fische" gefangen, aber immerhin hätte die umstrittene Aktion keineswegs "Unschuldige" getroffen. Bei Straftaten ohne öffentliche und sogar noch von der Politik geförderten Hysterie - sagen wir mal Kreditkartenbetrug, der bei "Operation Ore" auch eine Rolle spielte - wäre der Justizskandal den meisten Beobachtern sofort klar gewesen. Aber bei einen Delikt, bei dem moralische Vorverurteilung eher die Regel, als die Ausnahme sind, verdeckt die moralische Empörung oder Genugtuung die Grundsätze einer aufgeklärten Rechtspflege. (Ich selbst nehme mich von dem Hang, über jeden "geschnappten Kinderpornouser" erst mal heilfroh zu sein, ausdrücklich nicht aus - und auch nicht davon, es in solchen Fällen mit der "Unschuldvermutung" allzu genau zu nehme). Was da ablief war ein System sich selbst erfüllender Prophezeiungen, genau nach dem Muster der Hexenjagd.
Der Journalist Karl Weiss (er arbeite u. A. für die der "undogmatische Linken" zugerechnete Berliner Umschau) hat den Fall und seine Hintergründe für die "Umschau" recherchiert.
Dossier 'Operation Ore': Der grösste Polizei-, Justiz- und Medienskandal des neuen Jahrtausends, Teil 1: Der Fall „Operation Ore“
Teil 2: Die Berühmtheiten unter den Verdächtigten und die Rolle der Polizei
Teil 3: Die Rolle der Politik und der Medien.
Mein dringende Rat: unbedingt lesen! Auch - und gerade wenn - man Einiges doch anders sieht, als Karl Weiss.
Weiss weißt, sehr zurecht, auf die besonders traurige Rolle der deutschen Medien in diesem Skandal hin:
Ich gehe eher von einer bewussten oder unbewussten Selbstzensur aus, einer Form des "Gatekeeping", die in Deutschland nach anderen Maßstäben funktioniert als in Großbritannien. In Großbritannien herrscht zumal in den Printmedien ein für deutsche Leser manchmal verstörendes Maß an Aggressivität vor, und zwar nicht nur in den zurecht dafür berüchtigten Boulevardblättern wie "Sun" oder "Daily Mirror". Ich vermute, dass schon aus bloßer Streitlust selbst ein Skandal, der auf Kosten der "eigenen Seite" geht, nicht ungedruckt bleibt.
In Deutschland gibt es eine verbreitete Angst, Aussenseiter zu sein oder zu einem Aussenseiter abgestempelt zur werden - die Kehrseite der deutschen "Konsensgesellschaft". Wenn es nicht die Angst um "gute Beziehungen" zu Polizei und Politik ist, so sorgt die Angst davor, in der "eigenen Zunft" als "Nestbeschmutzer" zu gelten, mit den daraus absehbaren gesellschaftlichen und persönlichen Folgen, für die "Schere im Kopf". Wenn, wie in diesem Fall, praktisch alle Massenmedien in den Skandal verwickelt sind, gibt es eben niemanden, der den Skandal öffentlich aufdeckt.
Interessantes zum Thema "Selbstzensur" gab es neulich auf shifting reality: Ideologie und öffentliche Meinung.
Noch mal zur "Hexenjagd": Das Grundproblem ist die fehlende Trennung zwischen der "juristischen" und der "moralischen" Sphäre. Allzu oft wird nämlich versucht, moralische Wertmaßstäbe mittels Strafgesetzbuch "durchzusetzen". Lange Zeit galt z. B. Homosexualität in der "Mehrheitsmeinung" als "moralisch falsch" - und wurde als "Straftat" verfolgt - obwohl beim Sex unter Männer (oder unter Frauen) beidseitige Freiwilligkeit vorausgesetzt keinen "Geschädigten" geschweige den ein "Opfer" gibt.
Dieses ist eines der wenigen Gebiete, auf dem ich der Demokratie, vor allem der Basisdemokratie, misstraue. Gerade Länder mit traditionell sehr demokratischer Rechtssprechung, wie die USA, neigen dazu, "moralische Werte" mittels Strafrecht durchzusetzen.
Aber nicht nur in den USA. Auch in Deutschland. Die jetzige (wie der vorherigen) Bundesregierung hat eine Vorliebe dafür, über die "Europakurve", also wegen angeblicher EU-Vorgaben, Gesetze zu verschärfen, wenn sie Parlamentsdebatte vermeiden möchte, die in der Öffentlichkeit Unruhe auslösen könnten. Mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass der "schwarze Peter" in Brüssel ist - auch wenn, wie im Falle der Vorratsdatenspeicherung, der Einwanderungsgesetze, aber auch der Anti-Diskriminierungsgesetze, die deutschen Gesetze erheblich über die "europäischen Vorgaben" hinaus gehen.
Im jüngsten Falle eines unter "Europa-Vorwand" zur Verschärfung anstehenden Gesetzes ist die "Moral-Komponente" unübersehbar:
es geht um die deutsche Umsetzung eines EU-Rahmenbeschlusses zum Sexualstrafrecht (Bundestagsdrucksache 16/3439). Die Absicht dieser Richtlinie ist zu begrüßen, nämlich eine wirksamere Bekämpfung der Kinderpornographie und der sexuellen Ausbeutung von Kindern. Doch die Bundesregierung schießt mit ihrem Entwurf zum § 184b StGB (Kinder- und - das ist neu - Jugendpornographie) weit darüber hinaus - vor allem mit der Anhebung des Schutzalters von 14 auf 18 Jahre. (Der neue 184b StGB
Danach würde sich ein junger Mann strafbar machen, der der sexy (bzw. "unnatürlich geschlechtsbetonte") Fotos von seiner 17jährigen Freundin besitzt. Dass das kein konstruierter Fall ist, zeigt ein Beispiel aus den USA, wo im Bundesstaat Florida eine entsprechende Schutzalter-Regelung bereits gilt (bzw. galt - das Gesetz wurde inzwischen vom US-Supreme Court für nicht verfassungsgemäß erklärt): Minderjähriges Pärchen, das sich bei sexuellen Aktivitäten fotografierte, wurde wegen Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie in den USA verurteilt.
Warum aber versuchen Politiker, sowohl in den USA wie bei uns, "scharfe" Sexualstafgesetze durchzubringen, selbst wenn sie verfassungswidrig sein sollten und diese Gesetze eine öffentliche Debatte nicht überstehen würden?
Ich vermute: weil sie sich "im Recht" sehen bzw. paternalistisches Rechtsverständnis haben, durch das sie sich befugt sehen, den "verlotterten Sitten" per Strafgesetzbuch Einhalt zu gebieten. Und außerdem sind Gesetze, mit dem angeblich der (angeblich) zunehmenden Kinderpornographie und des (angeblich) alarmierend angewachsenen Sexualstraftaten gegen Kinder (seit Jahrzehnten stagnierend, laut offizieller Kriminalitäts-Statistik) "nun endlich Schluss gemacht" wird, populär. Jedenfalls solange man sie nicht zu genau ansieht.
I(Den Beitrag von Karl Weiss zum Thema: Dossier Verschärfung Sexualstrafrecht, Teil 1 halte ich dennoch, was die gewählten Beispiele angeht, für überzogen. Trotz einiger "gnadenloser Richter".)
Peter Townshend Police caution
Ich erinnere mich noch gut daran, mit welcher Begeisterung die Massenmedien den "Schlag gegen Kinderpornographie im Internet" meldeten: Weltweit um etwa 250 000 Menschen, davon 7000 Briten und mehr als 1400 Deutsche gerieten 2002/2003 in den Verdacht, an einem Internet-Kinderporno-Ring beteiligt zu sein. Darunter auch Prominente, was den Fall lange in den Schlagzeilen hielt. Besonders schockiert war ich darüber, dass ausgerecht Pete Townshend zu den Verdächtigen gehörte - denn er hatte sich wie kaum ein anderer Künstler gegen Kindesmissbrauch engagiert. Und noch mehr schockierte es mich, dass er sich "schuldig" bekannte - wenn es auch nur für eine "Verwarnung" reichte.
Tatsächlich war er, wie fast alle der damals im Zuge der "Operation Avanlance" (USA), "Operation Ore" (UK) oder "Aktion Pecunica" (Deutschland) in Verdacht geratenen, unschuldig. (Was bezeichnenderweise in den deutschen Medien völlig unterging. Ich wusste es jedenfalls, bis ich über Townshend nachschlug, nichts davon.)
Ein Detail des Verfahrens gegen Townshend (und hunderte andere britische Verdächtige) erinnerte mich sofort an frühneuzeitliche Hexenprozesse: Im britischen Strafrecht gibt es die Möglichkeit eines "Deals" mit der Staatsanwaltschaft: Verringerung des Strafmaßes gegen Zusammenarbeit.
Die in Zuge der "Operation Ore" Verhafteten standen schon dadurch, dass sie unter dem "dringenden Verdacht" des sexuellen Kindesmissbrauchs standen, unter enormen Druck durch öffentliche Vorverurteilungen. Schlimmer noch: es drohte ihnen, obwohl sie sich keiner Schuld bewusst waren, und obwohl die Beweislage dünn" war, eine Gefängnisstrafe.
Der Deal, der ihnen vom Staatsanwalt angeboten wurde, lief darauf hinaus, dass jeder, der sich des Konsum von Kinderpornographie für schuldig erklärt, nur eine symbolische Strafe (wie Townshend) oder eine Bewährungsstrafe erhält. Die meisten Verdächtigten wussten nicht, wie unzureichend das "Beweismaterial" wirklich war, sie wollten keine (immerhin mögliche) Gefängnisstrafe riskieren - weshalb ein grosser Teil von ihnen auf den "Deal" einging.
Nun wurden diese "Geständnisse" seitens der Polizei und Staatsanwaltschaft als Beweis für das Zutreffen der Anklagen gewertet. Man hätte zwar nur "kleine Fische" gefangen, aber immerhin hätte die umstrittene Aktion keineswegs "Unschuldige" getroffen. Bei Straftaten ohne öffentliche und sogar noch von der Politik geförderten Hysterie - sagen wir mal Kreditkartenbetrug, der bei "Operation Ore" auch eine Rolle spielte - wäre der Justizskandal den meisten Beobachtern sofort klar gewesen. Aber bei einen Delikt, bei dem moralische Vorverurteilung eher die Regel, als die Ausnahme sind, verdeckt die moralische Empörung oder Genugtuung die Grundsätze einer aufgeklärten Rechtspflege. (Ich selbst nehme mich von dem Hang, über jeden "geschnappten Kinderpornouser" erst mal heilfroh zu sein, ausdrücklich nicht aus - und auch nicht davon, es in solchen Fällen mit der "Unschuldvermutung" allzu genau zu nehme). Was da ablief war ein System sich selbst erfüllender Prophezeiungen, genau nach dem Muster der Hexenjagd.
Der Journalist Karl Weiss (er arbeite u. A. für die der "undogmatische Linken" zugerechnete Berliner Umschau) hat den Fall und seine Hintergründe für die "Umschau" recherchiert.
Dossier 'Operation Ore': Der grösste Polizei-, Justiz- und Medienskandal des neuen Jahrtausends, Teil 1: Der Fall „Operation Ore“
Teil 2: Die Berühmtheiten unter den Verdächtigten und die Rolle der Polizei
Teil 3: Die Rolle der Politik und der Medien.
Mein dringende Rat: unbedingt lesen! Auch - und gerade wenn - man Einiges doch anders sieht, als Karl Weiss.
Weiss weißt, sehr zurecht, auf die besonders traurige Rolle der deutschen Medien in diesem Skandal hin:
Mit anderen Worten: Nicht eine Zeitung, nicht ein grösserer Radiosender, nicht eine Fernsehstation, nicht ein angebliches Nachrichtenmagazin, nicht eine Illustrierte in Deutschland hielt es für nötig, nach der ausführlichen Berichterstattung über das Aufspüren von Hunderttausenden von angeblichen Kinderporno-Pädophilen im Internet in den Jahren 2002 und 2003 nun auch zu berichten, dass sich dies alles als völlig verfehlte Aktion gegen Opfer von Kriminellen oder mit anderen Worten als der grösste Polizei- und Justiz-Skandal (in Bezug auf die Zahl betroffener Opfer) des neuen Jahrtausends herausgestellt hat.In Großbritannien wurde die Tatsache, dass fast alle "Verdächtigen" sich als völlig unschuldig erwiesen, immerhin thematisiert. Hinsichtlich der Schlussfolgerungen, die Weiss aus dem Skandal zieht, bin ich allerdings skeptisch. Er geht von eine (Selbst-)Gleichschaltung der deutschen Medien aus, die auf die "privilegierten Informationen" aus dem BKA nicht verzichten möchten , und deshalb nach der "Pfeife" von Polizei, Staatsanwaltschaft und Politik tanzen. Mag sein. Aber warum gibt es denn - anders als in Großbritannien - keine größer Zeitung, keine Rundfunk- oder Fernsehsendung, die den Skandal aufgedeckt hätte? Für die Auflage wäre er allemal gut. Und so wichtig sind die "Exklusiv-Infos" des BKA nun nicht - abgesehen davon, dass das BKA keineswegs von allen Medien mit Samthandschuhen angefasst wird.
Ich gehe eher von einer bewussten oder unbewussten Selbstzensur aus, einer Form des "Gatekeeping", die in Deutschland nach anderen Maßstäben funktioniert als in Großbritannien. In Großbritannien herrscht zumal in den Printmedien ein für deutsche Leser manchmal verstörendes Maß an Aggressivität vor, und zwar nicht nur in den zurecht dafür berüchtigten Boulevardblättern wie "Sun" oder "Daily Mirror". Ich vermute, dass schon aus bloßer Streitlust selbst ein Skandal, der auf Kosten der "eigenen Seite" geht, nicht ungedruckt bleibt.
In Deutschland gibt es eine verbreitete Angst, Aussenseiter zu sein oder zu einem Aussenseiter abgestempelt zur werden - die Kehrseite der deutschen "Konsensgesellschaft". Wenn es nicht die Angst um "gute Beziehungen" zu Polizei und Politik ist, so sorgt die Angst davor, in der "eigenen Zunft" als "Nestbeschmutzer" zu gelten, mit den daraus absehbaren gesellschaftlichen und persönlichen Folgen, für die "Schere im Kopf". Wenn, wie in diesem Fall, praktisch alle Massenmedien in den Skandal verwickelt sind, gibt es eben niemanden, der den Skandal öffentlich aufdeckt.
Interessantes zum Thema "Selbstzensur" gab es neulich auf shifting reality: Ideologie und öffentliche Meinung.
Noch mal zur "Hexenjagd": Das Grundproblem ist die fehlende Trennung zwischen der "juristischen" und der "moralischen" Sphäre. Allzu oft wird nämlich versucht, moralische Wertmaßstäbe mittels Strafgesetzbuch "durchzusetzen". Lange Zeit galt z. B. Homosexualität in der "Mehrheitsmeinung" als "moralisch falsch" - und wurde als "Straftat" verfolgt - obwohl beim Sex unter Männer (oder unter Frauen) beidseitige Freiwilligkeit vorausgesetzt keinen "Geschädigten" geschweige den ein "Opfer" gibt.
Dieses ist eines der wenigen Gebiete, auf dem ich der Demokratie, vor allem der Basisdemokratie, misstraue. Gerade Länder mit traditionell sehr demokratischer Rechtssprechung, wie die USA, neigen dazu, "moralische Werte" mittels Strafrecht durchzusetzen.
Aber nicht nur in den USA. Auch in Deutschland. Die jetzige (wie der vorherigen) Bundesregierung hat eine Vorliebe dafür, über die "Europakurve", also wegen angeblicher EU-Vorgaben, Gesetze zu verschärfen, wenn sie Parlamentsdebatte vermeiden möchte, die in der Öffentlichkeit Unruhe auslösen könnten. Mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass der "schwarze Peter" in Brüssel ist - auch wenn, wie im Falle der Vorratsdatenspeicherung, der Einwanderungsgesetze, aber auch der Anti-Diskriminierungsgesetze, die deutschen Gesetze erheblich über die "europäischen Vorgaben" hinaus gehen.
Im jüngsten Falle eines unter "Europa-Vorwand" zur Verschärfung anstehenden Gesetzes ist die "Moral-Komponente" unübersehbar:
es geht um die deutsche Umsetzung eines EU-Rahmenbeschlusses zum Sexualstrafrecht (Bundestagsdrucksache 16/3439). Die Absicht dieser Richtlinie ist zu begrüßen, nämlich eine wirksamere Bekämpfung der Kinderpornographie und der sexuellen Ausbeutung von Kindern. Doch die Bundesregierung schießt mit ihrem Entwurf zum § 184b StGB (Kinder- und - das ist neu - Jugendpornographie) weit darüber hinaus - vor allem mit der Anhebung des Schutzalters von 14 auf 18 Jahre. (Der neue 184b StGB
Danach würde sich ein junger Mann strafbar machen, der der sexy (bzw. "unnatürlich geschlechtsbetonte") Fotos von seiner 17jährigen Freundin besitzt. Dass das kein konstruierter Fall ist, zeigt ein Beispiel aus den USA, wo im Bundesstaat Florida eine entsprechende Schutzalter-Regelung bereits gilt (bzw. galt - das Gesetz wurde inzwischen vom US-Supreme Court für nicht verfassungsgemäß erklärt): Minderjähriges Pärchen, das sich bei sexuellen Aktivitäten fotografierte, wurde wegen Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie in den USA verurteilt.
Warum aber versuchen Politiker, sowohl in den USA wie bei uns, "scharfe" Sexualstafgesetze durchzubringen, selbst wenn sie verfassungswidrig sein sollten und diese Gesetze eine öffentliche Debatte nicht überstehen würden?
Ich vermute: weil sie sich "im Recht" sehen bzw. paternalistisches Rechtsverständnis haben, durch das sie sich befugt sehen, den "verlotterten Sitten" per Strafgesetzbuch Einhalt zu gebieten. Und außerdem sind Gesetze, mit dem angeblich der (angeblich) zunehmenden Kinderpornographie und des (angeblich) alarmierend angewachsenen Sexualstraftaten gegen Kinder (seit Jahrzehnten stagnierend, laut offizieller Kriminalitäts-Statistik) "nun endlich Schluss gemacht" wird, populär. Jedenfalls solange man sie nicht zu genau ansieht.
I(Den Beitrag von Karl Weiss zum Thema: Dossier Verschärfung Sexualstrafrecht, Teil 1 halte ich dennoch, was die gewählten Beispiele angeht, für überzogen. Trotz einiger "gnadenloser Richter".)
MMarheinecke - Montag, 13. August 2007
Woher weiss Herr Weiss, dass es in den nächsten 993 Jahren keinen grösseren Justizskandal mehr geben wird? Oder: Wenn er meint, es sei der bisher grösste Justizskandal - warum schreibt er es denn nicht so?
Na ja, erst ist eben ein Sensationsjournalist
Nur ich mag die einen Sensationsjournalisten so wenig wie die anderen. Unabhängig von ihrer Gesinnung. Vielleicht ein Fehler von mir.