"Summer of Love" II - 2. Juni 1967 - der Tag, als Benno Ohnesorg erschossen wurde

In lockerer Folge werde ich im Laufe der Sommermonate über den "Sommer of Love" 1967, der in Wirklichkeit ein politisch, gesellschaftlich und kulturell "heißer" Sommer war, schreiben. Eine kleiner ironischer Text zum "Sommer of Love" steht bereits hier in diesem Blog

Irgendwie kommt einem die Situation bekannt vor. Es ist - leider - nicht nur Geschichte, was damals, am 2. Juni 1967 ablief. Auch wenn sich Geschichte nie eins zu eins wiederholt.

Was heute gern "68er-Revolte" genannt wird, der gern von Konservativen und zeitgeschichtlich Ahnungslosen sämtliche gesellschaftlichen Fehlentwicklungen seit 1969 in die Schuhe geschoben wird, das begann in Deutschland 1967, mit einem Schuss vor der Berliner Oper am 2. Juni. Er fiel Im Umfeld einer Demonstrationen gegen den Staatsbesuch des persischen Schahs Reza Pahlewi und seiner Gattin Farah Diba. Abgefeuert wurde er vom Berliner Oberkommisar Karl-Heinz Kurras, traf einen wehrlosen Studenten: Benno Ohnesorg. Bezeichnenderweise war Ohnesorg kein "Linker", sondern christlich engagierter Pazifist.

Der Schah des Iran war was heute gern vergessen wird, Herrscher einer stramm autoritären Diktatur mit einige "pro-westlich-modern" sein sollenden pseudodemokratischen Verzierungen, für einen Tag das damalige West-Berlin. Schon zuvor war der äußerst stark polizeilich gesicherte Staatsbesuch des Schahs in der Bundesrepublik Deutschland zutreffend als "Polzeistaatsbesuch" bezeichnet worden.

Ich empfehle jedem, den Wikipedia-Artikel über Benno Ohnesorg und die Umstände seiner Ermordung - dann das Kurras in Notwehr oder im Affekt schoss, kann nach Zeugenaussagen ausgeschlossen werden - sorgfältig durchlesen.
Wichtig und auch nach 40 Jahren immer noch schockierend ist der Bericht, der am 7. 6. 1967 in der Zeit erschien: "Die Polizeischlacht von Berlin Von Kai Hermann
Nach der Tragödie: Die Verantwortlichen spielen sich als Unschuldige auf".
Nach diesen Artikel war mir klar, warum sich die junge Bundesrepublik damals schlagartig "politisierte" - in die eine (autoritäre, "rechte") wie die andere (antiautoritäre, "linke") Richtung. Es stand auf Messers Schneide, nein, auf der Schneide einer Rasierklinge, wohin die BRD kippen würde.
Man kann den"'68ern" aus heutiger Sicht vieles Nachsagen. Sicher, sie waren mehrheitlich wohl keine überzeugten Anhänger einer offenen, liberalen Gesellschaft - sie wollten einen "anderen Staat", und dieser Staat wäre sozialistisch gewesen. Vielleicht keine DDR-Kopie - dazu war die DDR doch zu "kleinbürgerlich", kleinkariert, autoritär - aber bestimmt keine liberale Demokratie.
Trotzdem - Die damaligen Unruhen veränderten das gesellschaftliche Klima entschieden hin zu einer liberaleren, toleranteren, demokratischen Gesellschaft. Erst mit den "'68ern" kam die BRD wirklich im Westen an, war der Bann der alten Obrigkeiten wenigstens einigermaßen gebrochen.

In anderen Staaten, z. B. in Frankreich, waren die Unruhen Ende der 60er Jahre weitaus stärker. Dass sie in (West-)Deutschland aber bei einer "schweigenden Mehrheit" als so bedrohlich empfunden wurden - (und im Nachhinein bis heute werden), dass die "´68er-Revolte" "überlebensgroß" gesehen wurde und immer noch wird, dass lag sicher an der alten deutschen "Obrigkeitshörigkeit" - und vor allem an den Medien. Damals vor allem den Medien des Axel-Springer-Verlages.
Eine kritische aber auch Springer gegenüber faire Darstellung des damaligen Geschehens gibt Micheal Jürgs in seiner Biographie "Der Fall Axel Springer".
Es geht nicht mehr um Hochschulreform und überfüllte Hörsäle und alte Naziprofessoren, die immer noch unterrichten, und um die lähmenden Auswirkungen der großen Koalition ohne schlagkräftige Opposition. Nun geht es ans Eingemachte, ans Establishment überhaupt, und wer das angereift, kann ja nur zu "unkontrollierten Kräften" gehören. Viel eher allerdings sieht es, wie die Londoner "Times" kühl analysiert, nach einer "allgemeinen Revolte der deutschen Jugend gegen etwas aus, was sie als eine fette, verrottete, schuldbeladene und nach rechts tendierende Gesellschaft betrachtet, deren Symbol und Produkt der wohlhabende Presselord Springer ist."
Sein Berliner Flakgeschütz "BZ", zuständig für den Luftraum über den Stammtischen, hatte nach den Demonstrationen gegen den Schahbesuch, bei dem dessen Geheimdienst ungehindert prügeln durfte, und von einem Polizisten der völlig unbeteiligte Student Benno Ohnesorg erschossen wurde, zynisch gehähmt:"Wer Terror produziert, muß Härte in Kauf nehmen.". Sicher, das war nichts weiter als Ausdruck der Meinung der Mehrheit. Der schweigenden Mehrheit. Aber die anderen, die nicht schwiegen, wurden immer mehr. Auch wir sind das Volk, nur jünger als ihr.
Weltweit wurde demonstriert, nicht nur in Deutschland. Der Protest unter roten Fahnen und Ho-Tchi-Min-Rufen entzündet sich am amerikanischen Einsatz in Vietnamkrieg. Daraus entwickelte sich der Protest gegen alle Werte, die der Elterngeneration als ewig galten. Die Nachdenklichen unter den Älteren stellen sich in Frage und kommen mit ihren rebellischen Kindern wieder ins Gespräch. Die Betonköpfe, in der Politik und besonders in Springers Blättern, schlagen mit Worten um sich und kennen nur eine Antwort auf die ursprünglich sehr wohl idealistische Frage nach einer sinnvollen Zukunft, die der staatlichen Gewalt. Beim Aufprall kann es schon mal tote geben, so ist das halt, wenn Härte provoziert wird: Tote bei der Demonstration in der Kent State University, erschossen von Nationalgardisten, Tote bei Straßenschlachten in Paris und in Rom, und nun eben auch in der deutschen Weltstadt, in Berlin.
Am Anfang war das Wort: Schon 1966, also ein Jahr vor den tödlichen Schüssen auf Benno Ohnesorg und zwei Jahre vor dem Attentat auf Rudi Dutschke, nach den ersten großen Demonstrationszügen gegen den Vietnamkrieg in Berlin will "Bild""dafür sorgen, daß in Zukunft ähnlichen Demonstrationen die gebührende Antwort erteilt wird." Falls es stimmt, daß der Mann, der gern auf dem Kopf steht, manchmal blaue Flecken bekommt, wenn er "morgens bei der Lektüre meiner Zeitungen aus dem Bett fällt", muß er bis Mitte 1968 übersäht sein mit Prellungen: Stoppt den Terror der Jung-Roten jetzt - Polit-Gammler Rudi Dutschke dreht an einem dollen Ding - Studenten drohen: Wir schießen zurück - Unruhestifter unter Studenten ausmerzen - Jetzt wird aufgeräumt - Kein Geld für langbehaarte Affen - Abgrund von Gesinnungslumperei - Da hilft nur eins: Härte - Sind wir denn eine Apfelsinen-Republik? - Wer es wohl meint mit Berlin, der jage endlich die Krawall-Radikale zum Tempel hinaus - Eiterbeulen - Schreihälse - Geistige Halbstarke - Berlin wird ihnen eine Antwort geben. Es ist wohl so, daß diese Zeilen alle Springers Meinung entsprechen, denn irgend eine Distanzierung, zum Beispiel eine kleine Rüge an irgendeinen Chefredakteur, die er gern verteilt, ist nicht bekannt. Im Gegenteil, Berlin sei unappetitlich geworden, stellt er angewidert fest, und er meinte die, die gegen ihn auf die Straße gehen.
Wie die "wilde Zeit" Ende der 60er von den jüngeren Geschwistern der rebellischen Studenten erlebt wurde, beschrieb Roland Kaehlbrandt in der Zeit - Vieles kommt mir, obwohl ich jünger als Kaehlbrandt bin und "67/68" noch im Kindergartenalter war, aus den 70ern noch durchaus bekannt vor. "Seltsame Parolen und neue Musik -im Mai 1968 begriffen die kleinen Geschwister der Studenten nur, gegen wen es ging: gegen die Autoritäten..

Und heute? Die Polizeitaktik hat sich geändert. Solche brutalen Prügelorgien wie am 2. Juni 1967, die selbst die berüchtigten "Zoff-Demos" der 70er und 80er bei Gorleben, an der Startbahn West, in Wakersdorf bei weitem in den Schatten stellen, gibt es nicht mehr.
Nach dem heutigen Sicherheitskonzept hätte die Polizei den Staatsbesucher und die Demonstranten sorgfältig voneinander isoliert. Der Schah hätte das gespenstische Erlebnis eines menschenleeren Berlins erlebt - mit zugeschweißten Kanaldeckeln, Anwohnern, die nicht einmal Fenster öffnen dürfen, geräumten Parkplätzen - und Scharfschützen auf den Dächern. Die wenigen Publikumsdarsteller wären vorher sorgfältig gefilzt (selbst Nasenspray, Nagelfeile oder Kugelschreiber wird einem abgenommen), sorgfältig überprüft und sorgfältig gebrieft geworden. ("Bitte vermeiden Sie unbedingt alle plötzlichen Bewegungen. Werfen Sie auf keinen Fall Gegenstände wie Blumensträuße, dies könnte vom Personenschutz als Angriff missverstanden werden. Bitte halten Sie ausreichenden Abstand von den Absperrungen.").
Währenddessen hätten die Demonstranten, wahrscheinlich eingekreist in einen "Wanderkessel", irgendwo weit ab vom Staatsbesuch ihre Runde gezogen - und Frust geschoben.

Es hat sich vieles geändert seit damals. Ein neuer Fall "Benno Ohnesorg" im Umfeld der Anti-G8-Demonstrationen ist nahezu ausgeschlossen. Aber Vieles ist leider wie vor 40 Jahren.

Immer noch - oder wieder - gilt "Härte" seitens vieler Politiker und vieler Medien - auch solcher, die damals auf Seiten der Demonstranten standen - als einzig wirksames, angemessenes Mittel.
Was auch gleich geblieben ist: die Härte nach innen wird durch außenpolitische Rücksichtnahmen gerechtfertigt. Wäre der Schah damals Regierungschef eines kleine Landes ohne Erdöl und ohne Grenze zur UdSSR gewesen, hätte es weder prügelnde "Jubelperser" noch auf Anweisung prügelnde Polizisten gegeben.
Heute bestätigt das OVG Greifswald das weiträumige Demonstrationsverbot um Heiligendamm, da die Duldung von Protestveranstaltungen als "unfreundlicher Akt" von den ausländischen Regierungen empfunden werden könne.

Hauptsache, die Außenwirkung ist positiv!

Manchmal wünsche ich, die "Alt-´68er" und ihre geistigen Erben hätten wirklich den Einfluss, den nicht nur "Konservative", sondern auch "Liberale" ihnen gerne nachsagen.

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