Der Namensprofessor und die karriereoptimierten germanischen Vornamen

Bisher hatte ich einigen Respekt vor Prof. Dr. Jürgen Udolph, Deutschlands einzigem Professor für Namenskunde. Bekannt wurde er als er nach zehnjähriger sprachwissenschaftlicher Forschungsarbeit in einem Buch die aufsehenerregende These veröffentlichte, wonach die Germanen ursprünglich aus Mitteldeutschland stammen und nicht aus Skandinavien. (Jürgen Udolph: Namenkundliche Studien zum Germanenproblem, Springer, Berlin - New York, 1994.)
Das es, wenn ich diese Theorie richtig verstehe, eher "germanische Lautverschiebung" als "Germanen" heißen müßte, sei nur am Rande erwähnt. Es gab z. B. keine Masseneinwanderung von Menschen aus dem heutigen mitteldeutschen Raum nach Südskandinavien, wo nachweislich schon zur Römerzeit germanische Sprachen sprechende Menschen wohnten, und es gibt dort keinen archäologisch nachweisbaren Bruch, der auf einen von außen angestoßenen kulturellen Wandel hinweisen könnte.
Udolph geht jedoch weiter: "Ich sage knallhart: Die These der germanischen Herkunft aus dem hohen Norden ist ein wissenschaftlicher Irrtum." Im Grunde sei sie eine Nazithese, die zu deren Rassenwahn vom blonden und blauäugigen Germanen passte. Eine Deutung, über die die skandinavischen Frühgeschichtler, die die Kultur der späteren Germanen mit guten Argumenten aus der Archäologie auf die "nordische Bronzezeit" zurückführen, nicht begeistert sein dürften. (Wobei die Bezeichnung "hoher Norden" für Südschweden, Dänemark und Schleswig-Holstein etwas gewagt ist. Udolph vermischt offensichtlich die etablierte Germanentheorie mit der Thule- bzw. Hyperboräa-"Lehre" der braunen Esoterik.)
Ich habe mich mal mit einer dänischen Archäologin unterhalten, die die Theorie der "mitteldeutschen" Herkunft der Germanen glattweg als typische Nazi-These abqualifizierte ...

Auch diverse Auftritte in Funk und Fernsehn, z. B. in der ZDF-Sendung "Deutschland - Deine Namen" beschädigten meinen Respekt vor Professor Udolph nicht. Selbst wenn er manchmal Dinge sagte, die die Verschwörungsparanoiker vom "bifff" (Berliner Institut für Faschismus-Forschung) dazu brachten, ihn ganz "rechts außen" einzuordnen: "Namensprofessor" Jürgen Udolph hält an Nazi-Ideologen fest: Ostern auf der Ordensburg.

Nun aber erschien ein Artikel in der "Welt", nach dessen Lektüre mein Respekt vor dem eloquenten Namensprofessor einige häßliche Dellen bekam: Mandy, Sindy und Ricco haben schlechte Karten".
Sicher ist es gut, wenn sich Eltern einige Gedanken darüber machen, was sie eventuell ihren Kindern mit ihrer Namenswahl antun. Wenn man z. B. Grube heißt, ist es keine gute Idee, die Tochter "Claire" zu nennen. Was leider wirklich vorkommt. Was die inflationäre Verwendung von Modenamen angeht, bin ich durchaus einer Meinung mit Udolph. Aber beim Gedanken, dass Eltern die Namen ihrer Sprößlinge nach Gesichtspunkten der beruflichen Karierre auswählen sollen, wird mir irgendwie anders:
Personalchefs wissen, dass die oberen Schichten kurzzeitige Moden scheuen und werden eine Mandy, Cindy oder einen Kevin instinktiv der mediengläubigen, bildungsfernen Unterschicht zuordnen – was ihnen als Bewerber für akademische Jobs Minuspunkte bringt. "Mandy Müller ist als Friseurin glaubhaft, als Anwältin oder Designerin dürfte sie es schwerer haben", sagt Prof. Jürgen Udolph, Inhaber des einzigen deutschen Lehrstuhls für Namenskunde in Leipzig. "Namen sind wie Stammbücher, sie erzählen viel über Herkunft und soziales Umfeld."
Anders ausgedrückt: Udolph vermutet (wahrscheinlich zurecht) das Personalchefs oft nach "mutmaßlicher Schichtzugehörigkeit" filtern. Er vermutet ferner, dass sie sich dabei von ihren Vorurteilen leiten lassen - denn etwas anderes ist es nicht, wenn ein "Kevin" der "bildungsfernen Unterschicht" zugeordnet wird. Und er rät im Grunde dazu, sich in sehr persönlichen Dingen nach (schlechten) Personalchefs zu richten, die sich von solchen Vorurteilen leiten lassen. Abgesehen davon gibt es in jedem Vorstellungsgespräch so viele Faktoren, dass ein Name schon wirklich außergewöhnlich sein muß, wenn er überhaupt zur Kenntnis genommen wird. Da überschätzt der gute Professor wohl die Bedeutung seines Fachgebietes.
Wohl auch hier überschätzt er sie - und,beabsichtigt oder nicht, nähert er sich völkisch-nationalistischen Vorstellungen an:
Für die Zukunft hält Udolph denn auch eine Rückbesinnung auf germanische Namen für möglich: "Genealogie ist nach Sex das zweithäufigste Suchwort im Internet. Mit steigendem Interesse an der Herkunft wächst auch das Bewusstsein für die eigene Geschichte. Wer etwa um die Bedeutung seines Familiennamens weiß, wird sich eher fragen, ob man diesen mit asiatischen, arabischen und afrikanischen Vornamen mischen sollte.
Wenn ich so etwas lesen, geht mir unwillkürlich: "Deutsche! Gebt Euren Kindern deutsche Namen!" durch den Kopf. Es kommt noch dicker:
Auch der Wunsch, den Kindern mit dem Namen eine Botschaft mitzugeben, spricht nach Ansicht des Leipziger Wissenschaftlers eher gegen ausländische und selbst biblische Idiome. Denn während deren Bedeutungsgehalt vor allem um Gott kreise, bezögen sich germanische Namen auf Allgemeineres wie Mut, Kraft, Durchsetzungsvermögen, Kampf, Freundschaft, Schutz, Weisheit, Ehre, Herrschaft und Heimat.
Ich halte grundsätzlich nicht viel davon, Kindern per Namen eine "Botschaft" auf den Lebensweg zu geben. Abgesehen davon, dass auch nicht-germanische Namen sich oft auf Mut, Kraft, Durchsetzungsvermögen, Kampf, Freundschaft, Schutz, Weisheit, Ehre, Herrschaft und Heimat beziehen. Und wo populäre biblische Namen wie David (Geliebter, Liebling), Jakob (Nachgeborener), Sarah (Fürstin) oder Eva (die Leben schenkende) um "Gott" kreisen, müßte mir der gute Professor erst einmal erklären.
Schließlich kombiniert er seine beiden fixen Ideen:
Udolph (...) hält es für möglich, dass man in einigen Jahren germanische Vornamen den verschiedenen Stämmen wie Sueben (Schwaben), Chatten (Hessen), Hermunduren (Thüringer) zuordnen kann. "Und da sich viele Familiennamen auf eine Region zurückführen lassen, könnten Eltern dann auch den passenden Vornamen wählen. Denkbar, dass soviel Geschichtsverständnis auf Personalleiter mehr Eindruck macht als krude Phantasienamen."
Übrigens: Udolphs Kinder heißen Susanne, Martin, Anja und Katja.
Sven (Gast) - 24. Feb, 13:27

Mit seiner "Personalchef"-These hat er nicht unrecht. Aber: ebenso abschreckend wie "Mandy" oder "Rickie" für einen Personalchef, der einen gut dotierten Posten mit "Außenkontakt" zu vergeben hat sind so altmodische Teile wie "Brunhilde" oder "Bruno". Was der Mann übersieht ist, was "auffällt": "Fremdartigkeit" hat nichts mit der Herkunft eines Namens sondern mit seiner "Normalität" zu tun. Ein Allerweltsname kann nicht schlecht sein, denn er fällt nicht auf und lenkt damit nicht ab. Ein absoluter Modename wie die englischen "Ex-DDR"-Namen oder auch völlig veraltete ach so "germanische" fallen auf, weil sie aus dem Rahmen fallen. Aus dem Rahmen fallen aber ist in einer Normgesellschaft wie heute immer schwierig.

Und was der Mann ebenfalls übersieht: es kommt weniger auf den Namen an als darauf, ob er zum Träger passt. Oder besser: ob der Träger diesen so führt, dass er und sein Name "gefühlt" keinen Widerspruch auslösen. Und dann kann man heißen wie immer man mag.

Der Mann sollte lieber bei seinen Etymologien bleiben. Wenn er sich dennoch weiter für soziologische Themen interessiert wäre der Besuch von ein paar Vorlesungen vielleicht nützlich, bevor er irgendwelchen Küchnphilosophieschen Unfug rausschwätzt. Aber das ist ein bekanntes Problem: wenn sich jemand auf einem Gebiet sehr gut auskennt verliert er den Blick dafür, dass diese Kenntnisse sich nicht automatisch auch auf andere Fachgebiete erstrecken...

MMarheinecke - 24. Feb, 20:15

Stimmt, der Mann überschätzt die Relevanz seines Wissens für andere Themen

Das ist mir schon bei seiner Germanen-Theorie aufgefallen: der fehlende Blick über den Tellerrand, der für ein interdisziplinäres Thema nun einmal notwendig ist. "Die Germanen", wie die Kelten, die Slawen usw. hatten, so sehe ich es jedenfalls, nicht eine "Urheimat", sondern gleich mehrere: eine wahrscheinliche "Urheimat" der germanischen Sprache hat er gefunden; die hauptsächliche "Heimat" ihrer der materiellen Kultur liegt eindeutig im südlichen Skandinavien, allerdings war schon die Jarsdorf-Kultur auch stark vom heutigen Südwestdeutschen, mutmaßlich keltischen, Raum her beeinflußt.
Die germanische Mythologie kommt erkennbar aus mehreren Quellen, von denen einige nicht-indogermanisch sind (darauf deutet die starke Übereinstimmung nordgermanischer und finnischer (nicht-indogermanischer) Mythologie hin, auch semitische Einflüsse sind durchaus möglich).
Die Sprache ist eben vieles, aber nicht alles.
T. Albert (Gast) - 24. Feb, 23:43

Karriereoptimierende Germanennamen waren doch schon mal grosse Mode. Der dazugehörige Wissenschafts-Quatsch auch, der bei deutschen Personalleitern solchen Eindruck machte. Das entwickelt sich doch gerade alles wieder, der Mann spricht ja nur aus, was viele denken, die sich als Leistungsträger sehen, und darum ihren Kindern deutsch-bürgerlich klingende Namen aus dem 19. Jhdt. geben. Dass die nicht semitisch um Gott kreisen sollen, ist klar wie damals. Eben: wer will schon mit der monotheistischen orientalischen Unterschicht verwechselt werden, die ja bei Personalleitern auch nicht beliebt ist.Und "Mandy" drückt wahrscheinlich schon prinzipielles Desinteresse an völkischem wissenschaftlichem Sprach- und Geschichtsbewusstsein aus, das man demnächst halt wieder brauchen wird, um sich als Leistungsträger aller möglichen Leistungen kenntlich machen zu können. Aber subaltern könnte "Mandy" schon eine Rolle zukommen, das wird drin sein. Den ästhetischen Fauxpas gegen die herrischen Schönheitsvorstellungen wird man ihr verzeihen, solang sie nicht selbst auf orientalische Ideen kommt, oder ungebührende Teilhabe fordert.

Londo - 25. Feb, 20:02

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