"lechts" und "rinks"

(Angeregt durch die Diskussion: "Was ist linksliberal"?)
Wie che, mit dem ich nicht immer einer Meinung bin, würde ich gern das politische Koordinatensystem dreidimensional gestalten: Nicht nur "rechts-links", sondern auch "vorne-hinten" oder "oben-unten". So ähnlich, wie in der Französischen Revolution schon einmal üblich gewesen war.

Einen ersten Schritt in diese Richtung unternimmt dieser politische Selbsttest, nicht aus dem Heimatland der Revolution, aber aus der (Wahl-)Heimat der (echten) Querdenker - Britannien.
Political Compass
Der Ansatz ist zweidimensional. In der "Horizontalen" gibt es eine ökonomische Skala - "rechts - links", wobei "rechts" für einen ungebremsten Kapitalismus steht, "links" für eine konsequente Kollektivwirtschaft. Die Extremwerte sind "Kommunismus" und "Neo-Liberalismus".
In der "Vertikalen" liegt die soziale Skala - "autoritär - libertär", grob gesagt ein Maßstab der Freiheit des Einzelnen gegeüber der Zentralgewalt. Die Extremwerte sind "Faschismus" und "Archarchismus". (Entgegen der üblichen politischen Einordnung, dass das Gegenteil von "Faschismus" "Kommunismus" sei.)
Sehr erhellend ist die Einordnung bekannter Personen auf dieser Skala: Hitler steht z. B. auf der sozialen Skala ganz "oben", da ultra-autoritär, aber ökonomisch relativ nahe bei der Mitte. Stalin liegt ganz "links oben". George W. Bush steht ökonomisch sehr weit "rechts" und sozial ziemlich weit "oben" (autoritär), was niemanden überraschen wird, aber auch Tony Blair (theoretisch Sozialdemokrat) steht mitten im rechten oberen Quadranten.

Ein Blick auf die deutsche Parteienlandschaft erklärt so Einiges. Der oberer linke Quadrant (autoritär, links) ist leer (hier würde ich die DDR-Nostalgiker innerhalb der PDS einordnen), im unteren linken Quadranten finden sich, die "Linken" (deutlich links, leicht libertär), rechts von ihnen (leicht links, leicht libertär) die "Grünen". Der untere rechte Quadrant ist wieder leer, was heißt, dass sich fast alle deutschen Parteien im rechten, oberen Quadranten ballen. Am autoritärsten natürlich die NPD, die ökonomisch allerdings in der Mitte steht. Die CDU ist deutlich autoritär und ökonomisch recht weit "rechts". Die SPD ist weniger autoritär, aber immer noch erkennbar über der Mitte, und liegt ökonomisch erkennbar rechts der Mitte. Die FDP schließlich ist nur leicht autoritär, dafür ökonomisch stramm "rechts", sprich kapitalistisch.

Sonderlich überrascht hat mich das Ergebnis nicht, aber die graphische Darstellung macht deutlich, wie leicht es z. B. ist, von eine vermeindlich "linken" Postion zu einer vermeindlich "rechten" Position zu kommen - und das "überraschende" Koalitionen und Zweckbündnisse im Lichte dieses zweidimensionalen Darstellung gar nicht so unplausibel sind, wie sie nach konventioneller "Gesäßgeographie" sind. (Und bezogen auf Dr. Dean "linksliberale" Blogroll: die gelisteten Blogger scheinen, vorsichtig formuliert, "links unten" zu stehen. Jedenfalls dem Augenschein nach.)

Völlig zufrieden bin ich mit dem 2-D-System noch nicht. Ich schlage statt dessen folgende Koordinaten vor:
x-Achse - "ökonomische Selbstbestimmung" - (Maximalwert: Anarchokapitalismus - Minimalwert: totale Planwirtschaft)
y-Achse - "persönliche Selbstbestimmung" - (Maximalwert: "alles geht", keine Verbote (auch nicht von harten Drogen), keine Tabus, Minimalwert: "Überwachungsstaat".)
z-Achse - "Gleichheit" - (Maximalwert - völlige Egalität - Minimalwert - "Maximierung der Ungleichheit" (Ständestaat mit starrer Hierarchie und "Führerprinzip".)
Das ist natürlich nur eine erste Skizze, daran ist noch viel Arbeit notwendig

(Auch übrigens: ich stehe laut Testergebnis ziemlich weit "links" und ganz weit "unten".)
karstenduerotin - 27. Apr, 22:41

Trackback von Hand

Hallo,

da deine Trackbackfunktion nicht so wollte, wie ich wollte, mach ich mal einen Kommentar per Hand:

Ich habe hier deinen Gedanken mal etwas weitergesponnen.

Rayson - 28. Apr, 20:28

"Die FDP schließlich ist nur leicht autoritär, dafür ökonomisch stramm 'rechts', sprich kapitalistisch."

Wirklich nicht. Mehr als der Rest der deutschen Parteien, aber gemessen am Möglichen noch meilenweit davon entfernt.

Deine z-Achse scheint mir übrigens nicht unabhängig von der x-Achse und der y-Achse zu sein: Gleichheit lässt sich nur erreichen, wenn weder komplette ökonomische noch komplette politische Selbstbestimmung möglich sind. Und ein Ständestaat kann "gleicher" sein als ein Staat auf dem Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft.

MMarheinecke - 28. Apr, 20:58

Könnte stimmen ...

Ja, die FDP ist aus meiner "linken" Perspektive stramm kapitalistisch (ich bin aus pragmatischen Gründen Anhänger der "Markwirtschaft", als "notwendiges Übel" - weil alle anderen Modelle entweder weitaus schlimmer sind, oder schlicht nicht funktionieren). Klar, es geht noch viel, viel kapitalistischer. Und gemessen am "deutschen Durchschnitt" ist sie tatsächlich liberal. Nur, dass der "deutsche Durchschnitt" verdammt autoritär ist.
(Die "Linken" sind IMO in der Graphik von "Political Compass" falsch plaziert - allerdings sah es letztes Jahr, im Wahlkampf der WASG / PDS noch so aus, als wären sie wirklich einigermaßen "antiautoritär". Inzwischen sehe ich sie klar "links oben" - mit deutlicher Tendenz zu dem, was man um 1930 mal "nationalbolschewistisch" genannt hat.)

Meiner Idee ist nur eine erste Skizze, ich bin mir möglicher Probleme durchaus bewußt - z. B. dem, dass Unterschiede spontan entstehen und ihre Unterdrückung (!) steter Anstrengung bedarf. Das heißt, "Gleichheit" ist nur sehr bedingt mit ökonomischer Selbstbestimmung vereinbar.
Köppnick - 28. Apr, 21:54

Dimensionen

Ein Problem bei Dimensionen größer gleich drei besteht darin, dass eine grafische Darstellung schlecht möglich bzw. vorstellbar ist. Irgendwo habe ich mal sechseckige Diagramme gesehen, bei denen die Ausprägungen von 6 verschiedenen Charaktereigenschaften in einem Sechseck angeordnet wurden. Gegenüber lagen jeweils "antagonistische" Eigenschaften, benachbart jene, die miteinander korrelierten. Für jede der 6 Eigenschaften wurde ein Punktwert ermittelt und dieser Punkt auf seiner Achse markiert. Die 6 Punkte wurden dann miteinander zu einem Sechseck verbunden.

Eine solche Darstellung hat Vorteile, wenn es tatsächlich Korrelationen zwischen den einzelnen Eigenschaften gibt, und wenn die als antagonistisch betrachteten Eigenschaften nicht immer und überall antagonistisch sind. Für das Sechseck werden für sie unabhängig Punktzahlen ermittelt. Einen Eindruck der Person bezüglich der getesteten Eigenschaften vermittelt im Diagramm die Form und Lage der Fläche.

Meine Bekannten sind im "Politischen Kompass" praktisch alle im Quadranten links unten gelandet, obwohl sich die politischen Ansichten meilenweit unterscheiden, außer konservativen CDUlern ist alles vertreten. Besser getroffen wurden die Einzelnen durch die (deutschen) Wahlomaten, deren Fragen speziell auf das deutsche Meinungs- und Parteienspektrum geeicht sind.

karstenduerotin - 29. Apr, 18:01

Der Quadrant links unten ist nun einmal der, dessen Vertreter hierzulande meist als "die Guten" betrachtet werden. Und wer möchte nicht zu den Guten gehören? ;)
First_Dr.Dean - 1. Mai, 02:41

Unklare Einteilung über zweidimensionales System

Für eine Grob-Unterteilung finde ich diese 2-Koordinaten-Systeme ganz lustig - allerdings wird es weniger lustig, wenn man genauer hinschaut. Dass Bush neben Scharon steht, das finde ich bereits unpassend, dass aber beide direkt neben Hitler stehen, das ist unerträgliich bzw. zeigt m.E. die Mangehaftigkeit dieser 2-Koordinatien-Systeme.

Ein anderer Brennpunkt ist die Ökonomie. Ein Linksliberaler, wie ich ihn verstehe, der will nicht einfach eine Art Mittelposition zwischen "Kollektivismus" und "freien Kapitalismus" einnnehmen.

Auf den ersten Blick mag das so aussehen, aber tatsächlich ist ein Linksliberaler oft sogar noch anti-kollektivistischer als es Parteien sind, die im ökonomischen Beurteilungsspektrum "rechts" vom Linksliberalen eingeordnet werden. Ein Beispiel: Sehr viele (eigentlich: fast alle) Linksliberale lehnen die Kollektivismusformen der Europäischen Union ab, und zwar deutlisch schärfer und fundamentalisitscher als es z.B. FDP/CDU tun. Linksliberale lehnen auch die Gewährung staatlicher Monopole an die Privatwirtschaft ab und fordern stattdessen Monopolzerschlagung (das ist also eine eher anti-kollektivistische Position), z.B. im Fall des Streits um die Ausweitung des Urheberrechtsschutz bzw. bei der Ausweitung gewerblicher Schutzrechte (welche ja staatlich gewährte Patente bzw. Exklusiverwertungen, also Monopole darstellen) oder im Bereich von Markt-Übermacht von Stromkonzernen.

Doch wie ordnet man derlei Auffassungen auf einer ökonomischen Skala ein? Es ist ja tatsächlich in diesem Fall, um es sehr grob zu verschlagworten, "weniger Staat" und "mehr Freiheit". Gleichzeitig werden von Linksliberalen kosteneffiziente, aber wirkungsmächtige staatliche Eingriffe in die ökonomische Rahmenordnung gefordert, wenn es folgende Bereiche geht: um die Verteidigung sozialer Schutzrechte, Konsumentenschutz, Erzwingung (!) von Markttransparenz, Beschränkung bzw. Abbau privater Gewinne in solidarischen Wirtschaftsbereichen (z.B. Gesundheit), Schaffung von Leistungswettbewerb in solidarischen Wirstschaftsbereichen, Schaffung bzw. Begünstigung von Gegengewichtung zu Markt- und Machtmächtigen, moderate Mindestlöhne, Erzwingung eines ausreichenden Ausbildungsplatzangebots via kostenneutraler Umlage , Internalisierung externer Effekte z.B. ökologischer Art usw. usf.

Oder nehmen wir linksliberale Vorstellung in der Steuerpolitik: Hier wird zwar - moderat - der Abbau von Staatsquote und Bürokratielast gefordert, aber zugleich eine explizite Mehr-Belastung der Wohlhabenden und eine Entlastung der kleinen Leute, besonders der arbeitenden Bevölkerung und von Familien. Das heißt, eine typisch linksliberale Steuerpolitik bedeutet nicht "mehr " Steuern im Vergleich zu wirstschaftsliberalen bzw. marktradikal-sympathisierenden Vorstellungen, sondern eine gerechtere Steuererhebung. Für einen Linksliberalen ist ein Mann wie Ackermann (zahlt fast gar keine Steuern) in Hinblick auf seine Beteiligung an Solidarlassten und seine tatsächliche Besteuerung ein Verbrecher bzw. Steuerbetrüger, der mehrzubelasten ist, während z.B. typische Einzelhandeslbeschäftigte steuerlich minderzubelasten sind.

Wie soll das in einem ökonomischen Wertungmuster dargesetllt werden als "llinks" bzw. "rechts" oder noch dämlicher als "Kollektivismus" versus "mehr Markt"??

Ich frag ja nur

MMarheinecke - 1. Mai, 07:54

Du hast das Grundprobleme ganz klar erkannt ...

... nämlich, dass jedes Koordinatensystem der "politischen Richtung" wilkürliche Annahmen enthält. Weshalb ich in meiner Überlegung auch radikal subjektiv von meinen Wertmaßstäben ausging - der Maßstab "wirtschaftliche Selbstbestimmung" ist noch um Einiges willkürlicher als das "links-rechts"-Schema im Political Compass, weil er nur auf meiner persönlichen Ansicht über wirtschaftliche Selbstbestimmung beruht. (Die ich seitenlang erläutern müßte, um meine Einordnungen auch nur plausibel erscheinen zu lassen. überleg)

Den Sinn und Zweck dieser 2-D und 3-D-Koordinatensysteme sehe eher darin, bestehende Denkgewohnheiten infrage zu stellen, als konkrete und korrekte politische Richtungsbestimmungen zu geben.
Gerade das Political Compass System zeigt überraschende "Schnittmengen" auf, u. U. die, das vermeindlich "rechte" und "linke" Politiker sich unter Umständen sehr "nah" sein können. (Deshalb auch der unorigineller Titel des Beitrags - gut, mir fiel parout nichts Besseres ein.)
Dass Bush neben Scharon steht, ist zwar unpassend, aber der politische und ökonomische "Vorrat an Gemeinsamkeiten" ist tatsachlich nicht eben klein. In ethischer Hinsicht liegen zwischen beiden Politikern und Hitler ganze Welten, aber das zeigt m. E. dass Hitler so "radikal" gar nicht war: die Ideologie des "Nationalsozialismus" stammt bis auf einige Versatzstücke aus der "Mitte der deutschen Gesellschaft". Die Vorstellungen eines alter oder neuen Nazi, wie Wirtschaft, Staat, Kultur und Lebensstil auszusehen haben, unterscheiden sich von denen eines "braven Bürgers" nur dadurch, dass er eben nicht "brav" ist. Die Vorurteils- und Vorliebenstruktur ist absolut massenkompatibel - "die zivilisatorische "Sicherung" ist aber entfernt. Ein "gewöhnlicher" Antisemit ermordet keine Juden, weil er immer noch einen Menschen für einen Menschen und Mord für Mord hält. Der "Trick" der Naziideologie ist, diesem "gewöhlichen Antisemiten" weiszumachen, dass der Jude eben kein "Mensch wie ich und du" ist - und damit die ethische und moralischen "Sicherungen" auszuschalten.
Dass heißt, die Position auf dem Koordinatensystem gibt an, wo jemand "steht", nicht, zu was er "fähig" wäre. Ethische und moralische Faktoren sind ausgeklammert.

Damit ist auch die Frage danach, wo die "Guten" stehen, beantwortet: Was z. B. den Dalai Lama "gut" macht, ist nicht seine in der Tat große Toleranz oder seine Einsicht, dass Theokratien überholt sind und ein "freies Tibet" eine parlamentarische Demokratie sein sollte - es ist seine persönliche Ethik. Der tibetische Buddhismus hat genau so seine Leichen im Keller wie andere Religionen auch, und gerade in der tibetische Tradition gäbe es genügend Anknüpfungspunkte für eine aggressive Theokratie. Was Ghandi zu einem "guten" Menschen machte, war seine konsequente Gewaltlosigkeit - denn seine politischen Ansichten unterschieden sich nicht wesendlich von jenen Revolutionären, die Indien mit Gewehren und Bomben befreien wollten.
Köppnick - 1. Mai, 13:20

Bush und Ibn Laden

Eine Bekannte hat mir von einer Videoinstallation berichtet, die in Erfurt zu sehen war. Immer abwechselnd sprachen Bush und Ibn Laden. Wahrscheinlich waren die Szenen untertitelt, so genau weiß ich das nicht mehr. Die Zuschauer standen verständnislos vor dem Bildschirm, weil sie nicht begriffen, was die Installation soll. Erst allmählich ist es ihnen dann gedämmert: Bush wurden Ibn Ladens Worte in den Mund gelegt, dieser wiederum hielt eine Rede von Bush. Man hat es kaum bemerkt.

Sicherlich hat der Künstler sich hier die passenden Versatzstücke aus deren Reden zusammengesucht, aber dass das überhaupt ging, zeigt meiner Meinung nach, dass sich die beiden in bestimmten fundamentalistischen und auf die Richtigkeit ihrer Ansichten pochenden Denkstrukturen kaum unterscheiden.

Was man vielleicht aus dem Politischen Kompass herauslesen kann, ist, wer mit wem Zweckbündnisse eingehen könnte, weil man sich in bestimmten politischen Fragen und in der Herangehensweise ähnelt. Gerade die Vereinigten Staaten haben schon häufig mit Leuten und Systemen paktiert, die unseren demokratischen Idealen in keiner Weise entsprechen.

Ansonsten fehlt beim Politischen Kompass völlig der Kontext. Man hat Hitler oder Bush ja nicht selbst befragt, sondern hat sich die Zahlenwerte aus dem zusammengebastelt, was man glaubt, über sie zu wissen. Das hat in etwa die Aussagekraft wie die IQ-Berechnung für Goethe mit über 200.
gruber - 2. Mai, 01:02

Normativitätsachse...

Mir scheint der Hauptunterschied zwischen Rechts und Links nicht in den konkreten Policies zu liegen, die vertreten werden, sondern im Bezugsbereich der Absichten dieser Policies.
Wie Du richtig bemerkst, gibt es Links- und Rechtsanarchisten, Links- und Rechtsautoritäre. Die Gleichheitsachse geht in die richtige Richtung, ist aber nicht ganz orthogonal zu den beiden erwähnten (dh sie steht nicht genau senkrecht).

Ich vermute, das Kernmerkmal der Linken besteht darin, daß die Ziele normativen Handelns (also das als "das Gute" Angesehene) für alle erreicht werden soll: für alle Schichten, für alle Völker, und ggf. für die Tiere und vielleicht auch Pflanzen, und manchmal sogar für die Frauen. Wie man dieses Gute erreicht (durch mehr oder weniger Kontrolle, mehr oder weniger Technologie, zentralere oder lokalere Verwaltung etc.) eint die Linke mitnichten, sondern es ist eher die moralische Position allgemeiner Rechte, aufgrund eines Wertes, den man dem fremden Gegenüber beimißt, die Vertretung eigener Interessen zu Lasten einer anderen, unterprivilegierten Gruppe gilt dem Linken als unmoralisch.
Demgegenüber ist es der Rechten eigen, die eigene Person, Familie, Gruppe, Fraktion, Ethnie, Nation in den Fokus der Loyalität zu holen, um ihre Interessen gegenüber den meist als Rivalen wahrgenommenen Gruppen zu vertreten. Diese Position legitimiert sich durch die Annahme, daß andere Gruppen ebenso verfahren (oder verfahren würden, wenn sie die Mittel hätten). Jemand, der das nicht glaubt, ist in den Augen des Rechten ein naiver "Gutmensch". Es gibt keinen rechten Internationalismus. Rechte Solidarität erfolgt entweder gegenüber engen Freunden (der eigenen Gruppe) oder mit dem Ziel, einen Gegner zu bekämpfen.

Wenn das stimmt, dann ist es kein Zufall, daß Menschen oft eine biographische Transition von links nach rechts durchmachen: von moralisch rigoristischen Positionen, die das "Gute im Menschen" betonen, verschiebt sich der Fokus der Loyalität zunehmend auf Familie, Freunde, eigenes Netzwerk. Die Probleme der Welt sind nicht für alle lösbar, und der Mensch ist nicht per se gut, also vertritt man die Interessen der eigenen Bezugsgruppe.

Daraus folgen eine Reihe von Tendenzen, z.B. die moralische Haltung zu Korruption, zu dem, was man als fremd wahrnimmt, zum Gebrauch der Wahrheit und der Täuschung, zur Gleichheit etc., nicht jedoch konkrete Maximen bezüglich dieser Themen (z.B. kann für einen Linken ein bestimmtes Maß an Ungleichheit gerechtfertigt sein, wenn es allen nützt, oder für einen Rechten ein rücksichtsloses Vorgehen gegen Korruption, damit ein Gesamtsystem, auf dessen Funktionieren die eigene Gruppe angewiesen ist, stabil bleibt).

Auch wenn es im oben Gesagten so klingen mag: es folgt nicht daraus, welches Welt- und Menschenbild "richtig" oder "ethisch" ist, welches Handeln akzeptabel. Das ist nur dann der Fall, wenn man bereits eigene Prämissen mitbringt.

Köppnick - 2. Mai, 07:58

Einwände

Ich bin ein wenig skeptisch gegenüber deiner Theorie. Man findet sofort Beobachtungen, die sie stützen, und man ist dann geneigt, andere Beobachtungen als Ausnahmen zu klassifizieren. Damit ist man aber bereits in die Falle getappt, dass man die Welt nur noch durch die Brille seiner Theorie betrachtet.

Steven Pinker hat in "Das unbeschriebene Blatt" eine vergleichbare Theorie vorgestellt. Der zufolge neigen Rechte dazu, menschliche Eigenschaften als angeboren und nicht änderbar zu betrachten, während Linke eher an den überragenden Einfluss der Erziehung glauben. Auch hier findet man sofort Bestätigungen: Die Law-and-Order-Fraktion möchte gerne Verbrecher schon mal für immer einsperren, weil die sich sowieso nicht ändern werden, während die Linken gerne Umerziehungsexperimente gleich mit ganzen Völkern oder wenigstens widerspenstigen Teilen davon durchführen. Der Pinkersche Ansatz hat zudem den Charme, dass sich diese beiden Denkströmungen bis ins Altertum zu Plato und Aristoteles zurückverfolgen lassen. Aber auch hier wird die anfängliche Sympathie durch die übergroße Simplizität ausgelöst, man hätte zu gern eine einfache Erklärung.

Wahrscheinlich sollte man auf eine solche Klassifikation von Menschen ganz verzichten, weil man sonst immer in Erklärungsnotstand bezüglich einiger von ihnen vertretener Ansichten gerät, die nicht in das aufgestellte Schema passen. Das Links-Rechts-Denken provoziert eine Lagermentalität, die aus verschieden anders Denkenden homogene Gruppen macht, die sie nicht sind. Links und rechts sind aber zunächst nichts weiter als zwei Wörter für zwei verschiedene Richtungen im Raum.
First_Dr.Dean - 5. Mai, 18:48

Ungeregelter Kapitalismus als Idealform ökonomischer Selbstbestimmung?

Ich halte das für ein Denken von Gestern. Der Gegensatz zwischen "Staat" bzw. "Sozialismus" gegen "Kapitalismus" mag ja gesehen werden können, aber man übersieht dabei, auch ökonomisch, um was für einen Staat es sich in ökonomischer Hinsicht handelt.

Ich gebe mal 2 Beispiele, jeweils mit einer Staatsquote von 40 % verbunden:

Beispiel A) Meiner Meinung nach könnte man ein hohes Maß an ökonomischer Umverteilung mit einem schlanken Staat und einem hohen Maß an ökomischen Leistungswettbewerb verbinden. Staat A kämpft entschieden gegen Vermachtungsformen im ökonomischen Wettbewerb und leistet viel, um die Markttransparenz und ökonomischen Machtmissbrauch zu bekämpfen. Staatlich gewährte Verwertungsmonopole (z.B. Urheberrechte) werden stark befristet, auch, um damit staatliche und gesellschaftliche Kosten zu reduzieren. Im Übrigen bekämpft dieser Staat das Überhandnehmen von Sozialstaatsausgaben durch Organisierung obligater Gegenleistungspflichten (z.B. Kinderbetreuung).

Beispiel B) Oder man könnte sich einen Staat denken, der eine hochgradig kapitalistische Ökonomie mit einem vergleichsweise geringen Maß an Leistungswettbewerb, dafür große Ausgaben für staatliche Bürokratie, für Rüstungsprojekte, Terrror- und Kriminalitätsbekämpfung verbindet. Der Staat ist stark auf Wirtschaftsinteressen orientiert, seine Verwaltung ist dennoch in vielen Bereichen disfunktionabel, gleichwohl teuer und gegenüber der Bevölkerung repressiv. Staatliche Aufgaben werden gerne und auf korrupte Weise an private Anbieter gegeben, und aus Steuermitteln finanziert. Monopole an private Anbieter (z.B. Patentschutz) werden zur Förderung der Wirtschaftstätigkeit reichhaltig gewährt und vom Staat aufwändig verteidigt.

So, und beide Staaten haben eine Staatsquote von 40%, in Staat A herrscht ein höheres Maß an wirtschaftlichen Wettbewerb (die Anbietervielfalt ist höher und die Marktzugangsbarrieren niedriger).

Tja, ich würde sagen: Aus linksliberaler Sicht ist der Staat A in ökonomischer Hinsicht deutlich freiheitlicher (da: weniger vermachtet), und aus rechtsliberaler Sicht ist der Staat B deutlich freiheitlicher (da: Privateigentümerinteressen hier besser zum Zuge kommen).

Warum gilt eigentlich Großbritannien als kapitalistisches Musterland, obwohl man dort inzwischen fast die Staatsquote von Deutschland hat, bei einem gleichzeitig relativ grausamen Zustand der öffentlichen Infrastruktur (und: teuer für die Bürger dank Privatisierung von Monopolen)?

Ich denke zudem, dass das grobe Raster "links" versus "rechts" immer noch recht aussagefähig ist. Ich würde auch nicht Autoritarismus und Gleichheit als Gegenpole auffassen, sondern unabhängig betrachten. Also, die "Z-Achse", da sollte man noch was machen.

Insgesamt fände ich es informativer, vielleicht mit gleich 26 Kategorien zu arbeiten:

A) Kollektivismus
B) Chauvinismus
C) Etatismus
D) Politische Freizügigkeit
E) Außenpolitik
F) Verhältnis zu Minderheitengruppen, Neigung zu Sündenbockstrategien
G) Bürokratische Regulationsdichte
H) Sozialstaatlichkeit
I) ökologische Nachhaltigkeit
J) Monopolfeindlichkeit
K) Art der Steuererhebung
L) Demokratie direkt/indirekt
M) Einfluss auf Wettbewerbsintensität von Märkten
N) EInfluss auf Transparenz von Märkten
O) Autoritarismus
P) Chancengleichheit
Q) Bildungswesen
R) Rüstungswirtschaft
S) Haltung zur Religion bzw. zu Religionen
T) Haltung zur Würde des Menschen/Menschenbild
U) Nähe zu ökonomischen Interessengruppen
V) Ideologisierungsgrad
W) ökonomische Freizügigkeit (Marktzutrittsbarrieren u.a.)
X) Gemeinwohlorientierung
Y) Realismus, Wissenschafts- und Praxisnähe der pol. Richtung
Z) Diskurstiefe und Offenheit

Sorry.

Aber ich kann dir hier jeweils relativ genau sagen, wo hier Rechts- und Linksliberalismus stehen, wo Libertäre stehen. Was sie trennt, wo sie sich treffen, wo die Unterschiede zu Sozialdemokraten, Konservativen und Sozialisten sind.

MMarheinecke - 6. Mai, 17:03

Reue!

Wenn ich das so lese, dann bereue ich, dass ich diesen Artikel in mein Blog gesetzt habe - was übrigens sehr spontan geschah, “Idee gehabt und gleich gebloggt”. Und der Anlaß war primär, dass ich mich schon wieder mal über die übliche Links-Rechts-Gesäßgeographie geärgert hatte. Die sich daraus entwickelnde Debatte hatte zwar anfangs ihren Reiz, aber ich habe so den Verdacht, dass einige hier meine Schnaps- (bzw. - zuviel Kaffee-) Idee etwas zu ernst nehmen.

che2001 - 7. Mai, 15:34

Ich wusste es durchaus zu goutieren. Passt auch gut zum Pfefferthunfischsteaknachgeschmack im Mund und dem schönen wetter beim Hafengeburstag.Wobei, wo würdest Du mich denn einordnen? Extrem antietatistisch bis an die Grenze zum Anarchismus, für autoritäre Maßnahmen dennoch zu haben, wenn sie als punktuelle Intervention erfolgen, im Grundsatz Kommunist, gegen Privateigentum an Produktionsmitteln aber nur dann, wenn dies die lohnabhängige Beschäftigung Anderer bedeutet (ein Selbstständiger oder Genossenschaftsunternehmer leistet in dem Sinne ja keine entfremdete Erwerbsarbeit), der Überzeugung, das die Menschheit vor allem mehr und besseren Sex braucht, in der Weltsicht von Chaostheorie, Sympathie für den Taoismus und Zen und einem existenziellen Humor geprägt und im Übrigen bemüht, transgalaktisch zu denken.
bin Kritzeln (Gast) - 8. Jul, 13:08

Ich habe auch ein Modell

Hallo, ich hab einen etwas anderen Ansatz. Bei mir heißt links gegen das System und rechts pro System. Außerdem werden die rechten und die linken in machtgeil und machtverzichtend eingeteilt.
Natürlich könnte man noch eine dritte Achse anbringen (friedlich oder gewaltbereit) aber das ist mit einer Tabelle zu schwierig darzustellen.

Bei meinem politischen Modell würde ich mich irgendwo zwischen pro und contra System verorten, unter der Mitte.

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