Von Anhaltern und Illuminaten

Wer Science Fiction (& Fantasy) mag, kennt ihn bestimmt: Den Vorwurf des Eskapismus, der "Flucht in irreale Traumwelten".

Für mich hat sich diese Frage noch nie ernsthaft gestellt. Weil die Welt nämlich so phantastisch, bizarr, überraschend und voller Wunder ist, dass jeder, der darauf beharrt, die Welt und den Menschen "sachlich" zu sehen und immer "auf dem Boden der Tatsachen" zu stehen, unweigerlich bei realitätsfernen und (ziemlich öden) Weltanschauungen landet. Wobei es nichts zu Sache tut, dass erstaunlich viele jener selbsternannten Realisten zum utopischen Denken neigen.

Interessanter ist schon die Frage, welcher "phantastische" Roman wohl "die Wahrheit da draußen" am Besten beschreibt.
Jens schrieb irgendwo (die Stelle finde ich gerade nicht), sie sähe wie "Per Anhalter durch die Galaxis" aus, und nicht wie "Illuminatus!".

Bezeichnend übrigens, dass beide Romanzyklen nicht nur aus dem Bereich der phantastischen Literatur stammen, sondern auch noch ziemlich heftige Satiren sind. Anders läßt sich wahrscheinlich der Irrwitz unserer Welt nicht treffend beschreiben.
Das "Anhalter" Universum beschreibt m. E. ziemlich genau, wie wichtige Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung tatsächlich getroffen und umgesetzt werden. Wenn die Unterlagen über die bevorstehende Vernichtung der Erde für eine Hyperraum-Umgehungsstraße völlig vorschriftsmäßig auf Alpha Centauri ausliegen, oder der Regent des Universums einsam in einer Hütte auf einem unbedeutenden Planeten in Nirgendwo lebt - und sich gar nicht bewußt ist, dass er das Universum regiert - dann ist das nur eine geringfügige Übertreibung jener Vorgänge, die wir täglich beobachten, aber oft nicht wahrhaben wollen.

Das "Illuminatus!"-Universum, beherrscht von mächtigen Verschwörungen, karrikiert dagegen die Weltsicht jener, die den täglichen Irrwitz der realen Welt einfach nicht glauben können oder wollen und deshalb mit Verschwörungstheorien die Löcher in ihren "realistischen" Weltsicht flicken.
Die eher alberne "die-Apollo-Mondflüge-waren-im-Studio-inszeniert"-Verschwörungstheorie ist ein "gutes" Beispiel, wie schieres Unglauben in abenteuerliche "Erklärungsmodelle" umschlägt. Weniger albern, aber gefährlicher, sind die "Theorien" jener, die sich einfach nicht vorstellen können, dass die "allmächtigen" und "alles kontrollierenden" FBI, CIA und NSA nicht die Anschläge des 11. September 2001 verhindern konnten. Die nicht glauben wollen, dass es bei diesen mystisch überhöhten Diensten Schlampereien, Büro-Intrigen, Machtkämpfe, abenteuerliche Vorurteile, Profilierungssucht, schlichte Unfähigkeit, noch schlichtere Pannen usw. gibt - dass es also im "wirklichen Leben" so zugeht wie im "Anhalter".

Shea & Wilson, die Autoren der "Illuminatus!"-Trilogie, beschreiben meines Erachtens zwar nicht die Welt, wie sie "da draußen" ist, aber sehr wohl die Welt "da drinnen", in den Köpfen der Menschen, die die irrwitzigen Entscheidungen treffen und sie in irrwitziger Weise umsetzen. Und sie suchten sich nicht von ungefähr die an weitesten verbreitete und folgenschwerste, die "böseste", aller Verschwörungstheorien als zentrales Element ihrer Satire aus:
Die "Theorie" der "jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung", die die Welt regiert, der plump gefälschten "Protokolle der Weisen von Zion" alias "Illuminaten", dem bevorzugten Welterklärungsmodell (leider nicht nur) antisemitischer Rechtsextremisten. (Siehe auch mein Beitrag Demokratie-Dilemma.)

Überspitzt könnte man sagen: die Welt wird nicht von den "Illuminaten" kontrolliert, aber sehr wohl von den paranoiden Phantasien über die Macht der "Illuminaten" in den Köpfen zahlloser Menschen.

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