Düsenjäger

Vor gut zwei Jahren ging eine Meldung durch die Medien, die einige meiner "dummen Vorurteile" über den Kunstmarkt auf's Schönste bestätigte. ("Dumme Vorurteile" nannte eine Hamburger Galeristin, mit der ich mich vor einigen Jahren mal auf einer Vernissage darüber unterhielt, meine Ansichten. Immerhin: das kalte Buffet war gut, meiner Ansicht nach weitaus besser als die ausgestellten einfallslosen Schinken eines der zahlreichen Möchtegern-Neo-Rauchs. Danke nochmal für die Einladung damals!)
Gerhard Richters Frühwerk "Düsenjäger" wurde am 13. November 2007 in einer Auktion bei Christie's für 11,2 Millionen US-Dollar versteigert. "Düsenjäger" war damit das teuerste Bild eines noch lebenden deutschen Malers. Hysterische Herbstauktion: "Düsenjäger" in der Preisspirale (SpOn)

Ich schätze Gerhard Richter und sein Werk sehr, halte allerdings "Düsenjäger" für eine seiner schwächeren Arbeiten.
richter duesenjaeger
Der "Düsenjäger" von Gerhard Richter aus dem Jahr 1963 ist im Original 1,3 mal 2 Meter groß - ein großes, aber nicht ungewöhnlich großes Format also, jedenfalls gemessen an den wohnraumsprengenden Formaten, die etwa von vielen Neo-Expressionisten bevorzugt werden. Das Gemälde gehört zu den ersten, für die Richter ein Foto als Vorlage benutzte. "Foto" ist fast ein wenig übertrieben, denn es war ein simpler Illustriertenausschnitt den er abmalend vergrößerte (nach anderen Quellen: ein Foto aus einem Buch). Ohne Richters künstlerischen Rang schmähen zu wollen, gehört "Düsenjäger" nicht unbedingt zu seinen originellsten Werken. Tatsächlich erinnert es mich an eine typische Aufgabe aus dem Kunstunterricht der gymnasialen Oberstufe: Wie stelle ich Geschwindigkeit optisch dar? Dazu verwendet Richter genau das selbe Mittel, das wohl auch die meisten Schüler verwendet hätten: simulierte Bewegungsunschärfe durch Verwischen. Außerdem ist die Nase des Flugzeuges etwas "abgeschnitten", was aufgrund der Seherfahrung der meisten Betrachter den Effekt hat, dass das gemalte Flugzeug "aus dem Bild herauszufliegen" scheint.

Kein ganz großer Wurf also. Es ist allerdings ein "schönes", sprich dekoratives Bild, ich würde mir "Düsenjäger" durchaus ins Wohnzimmer hängen - womit ich beim ersten meiner "Vorurteile" über den Kunstmark wäre: Kunstwerke, die "leicht verständlich" sind, aber dennoch schön viel Spielraum für alle möglichen tiefsinnigen und unsinnigen Interpretationen lassen, verkaufen sich am Besten.

Wichtiger ist allerdings mein zweites bestätigtes "Vorurteil". Es liegt für mich auf der Hand, dass es bei den damals, im Jahr 1 vor der Finanzkrise, immer wieder erzielten Wahnsinnspreisen für Kunst gar nicht um das Kunstwerk ging, sondern um Kunst als Kapitalanlage. Eine "Aktie in Öl", gekauft als Spekulationsobjekt in Erwartung weiterer Preissteigerungen. (Wobei sich wenig später - wieder einmal - die extrem hohen Preise für moderne Kunst als Spekulationsblase erwiesen.) Das ist meine Erachtens auch eine Missachtung des Künstlers, der allenfalls indirekt von den hohen Preisen, die seine Werke auf dem Kunstmarkt erzielen, profitiert. Gerhard Richter verkaufte dieses Gemälde seinerzeit für einige tausend Mark an einen Privatsammler, vom Weiterverkauf seines Bildes hat er nichts. Er hatte allerdings noch das Glück, dass der "Marktwert" auch seiner aktuellen Kunst durch solche Wahnsinnspreise indirekt besser wurde. In der Regel ist ein Künstler schon tot, wenn seine Werke richtig teuer werden.

Das dritte "Vorurteil" ist das, dass solche Preise nur dank ebenso intensiver wie verlogener Werbung zustande kommen. Im Falle des "Düsenjäger" beschreibt Christie's im Auktionskatalog das Bild als einen künstlerischen Kommentar auf die Zeit des Kalten Krieges. Es mache "existenzielle Angst" spürbar und "sein Stachel" sei fast 50 Jahre nach seiner Entstehung und gerade in Zeiten globalen Terrors "so scharf wie nie zuvor".
Wer unbedingt will, kann das natürlich in das Gemälde hineininterpretieren, aber mindestens ebenso plausibel wäre die Behauptung, der Künstler wäre von der ästhetisch ansprechenden Form und der Geschwindigkeit eines Kampfflugzeuges fasziniert gewesen. Eine Einschätzung, die wahrscheinlich dazu geführt hätte, dass Richters Gemälde als "Militärkitsch" abqualifiziert und für den Kunstmarkt "unmöglich" gemacht worden wäre. (Vergleichbare Gemälde des "Gebauchskünstlers" Johnny Bruck etwa gelten bei ernsthaften Kunstkennern immer noch als Kitsch.)
Dietmar Elger, der führende Experte für die Kunst Richters, wies jedenfalls darauf hin, dass das Thema Militärflugzeuge 1963 und 1964 in mehreren Werken auftauchte. Wahrscheinlich ginge das auf Richters Erfahrungen als Jugendlicher gegen Ende des Zweiten Weltkrieges zurück. Mit der aktuellen politischen Situation um 1963 hätte das Werk eigentlich weniger zu tun.
Aber auch ein aufgearbeitetes Kriegstrauma verkauft sich offensichtlich schlechter als gemalte Zeitkritik. Jedenfalls eignet es sich weniger für blumige Interpretations-Prosa.

"Düsenjäger" ist meines Erachtens ein gelungenes Werk, und war seinen ursprünglichen Verkaufswert ohne Weiteres Wert, aber ist bei weitem nicht so künstlerisch herausragend, dass es Millionensummen wert wäre. Im Gesamtwerk Richters ist es eher Mittelmaß, ein gekonntes Routinegemälde. Nicht mehr, nicht weniger.

Ich will nicht verschweigen, dass ich durch Recherche-Nebenergebnisse für Aus der Wunderwelt der gut-doofen Filme: Düsenjäger (Jet Pilot) darauf kam, etwas über Richters "Düsenjäger" zu schreiben. Ein weiteres "Nebenprodukt" ist die Erkenntnis, dass das Gemälde im streng militärisch-technischen Sinne den falschen Titel trägt. Das dargestellte Flugzeug ist eine Fiat G 91, bei der Bundesluftwaffe meistens "Gina" genannt. Die "Gina" ist ein leichtes, einsitziges Erdkampfflugzeug, es gibt auch eine zweisitzige Trainer-Variante. Sie wurde zwar auch als "leichter Jagdbomber" bezeichnet, aber Jagdaufgaben, also die Bekämpfung feindlicher Flugzeuge, spielten im Einsatzspektrum der G 91 kaum eine Rolle. Zur der Zeit, als Richter sein Bild malte, war der aktuelle "Düsenjäger" der bundesdeutschen Luftwaffe der Lockheed F 104 Starfighter. Man könnte natürlich tiefsinnige Vermutungen anstellen, wieso Richter die vergleichsweise "lahme" (1075 km/h Höchstgeschwindigkeit, 850 km/h Reisegeschwindigkeit - nicht schneller als ein gewöhnliches Verkehrsflugzeug) und kleine "Gina" und nicht den extrem schnellen und extrem umstrittenen "Starfighter" malte, was, wäre es ihm wirklich um politische Kritik gegangen, nur logisch gewesen wäre. Die wahrscheinlichste Erklärung ist banal: Richter fiel das Illustriertenfoto wohl eher zufällig ins Auge.

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