Paradigmenwechsel zum Elektroauto

Noch vor gar nicht so langer Zeit spielte das klassische batteriebetriebene Elektro-Auto in den Zukunftsstudien der Industrie eine Nebenrolle. Allgemein hieß es, Elektromobile seien langsam, lahm, hätten zu wenig Reichweite und zu schwere Batterien. Allenfalls würden sie als Zweit- oder Drittwagen für kurze Strecken im Stadtverkehr taugen. Nicht der Mühe wert.

Nur unter öffentlichem Druck oder aus Image-Gründen wurde das eine oder andere E-Mobil entwickelt. Der "Think City" von Ford z. B. entstand vor dem Hintergrund eines Gesetzesentwurf in Kalifornien (USA), welcher der Automobilindustrie auferlegte ab/bis im Jahre 2005 mindestens 10 % Fahrzeuge ohne Emissionsausstoß zu produzieren. Als dieses Gesetz unter Gouverneur Schwarzenegger kippte, wurde das entstandene Tochterunternehmen, die Think Group, wieder verkauft, und 440 E-Autos, bei denen der Leasingvertrag mit Ford ausgelaufen war, einfach verschrottet werden. Zum Glück war das nicht das Ende des Think Citys.

Aber ist das Elektro-Auto wirklich umweltfreundlich? Angeblich gibt es, wie ADAC-Sprecher Maximilian Maurer noch 2006 im "Spiegel" erzählte, Probleme mit der Batteriealterung, ungeklärte Fragen der Entsorgung, hohe Herstellungs- und Ersatzkosten - und angeblich kann die im Kraftwerk eingesetzte Primärenergie nur mit großen Verlusten auf die Straße gebracht werden.
Um es klar zu sagen: Maurer argumentierte nicht auf dem technischen Stand des Jahres 2006, sondern bestenfalls auf dem des Jahres 1986 - wahrscheinlich aber auf dem von 1966. Davon sind bei Einsatz von schwermetalfreien Lithium-Akkus, IGBT-Wechselrichtern, modernen Trafos und Drehstrommotoren allenfalls noch die Batteriealterung und Herstellungkosten ein Problem. Die Herstellkosten werden bei Großserienfertigung sinken. Bei der Batteriealterung gab es, wie unzählige Benutzer von akkugetriebenen Laptops, Werkzeugen und Kameras wissen, in den letzten Jahren enorme Fortschritte - es ist ziemlich sicher, dass dieses kleiner gewordene Problem in den nächsten Jahren vernachlässigbar klein wird. Ein Problem, dass Maurer gar nicht erwähnt, nämlich das der relativ langen Ladezeiten von 10 Stunden beim E-Smart fällt bei Privatwagen wenig ins Gewicht. Außerdem ist sie beim Tesla schon auf 3,5 Stunden reduziert - eine Ladung reicht bei vernünftiger Fahrweise für 350 km, was selbst für Fernpendler ausreicht. Bei Fahrzeugen, die ständig "auf Achse" sein müssen, etwa Taxis oder Lieferwagen, böten sich Wechselakkus an.

Auch die europäische Union will im Kampf gegen den Klimawandel künftig stärker auf Elektroautos setzen. EU will Elektroautos statt Biosprit.

Aber was ist mit dieser Greenpeace-Aktion gegen Elektro-Smarts?

Diese Aktion wendet sich nicht gegen die Elektroautos, sondern gegen den Stromanbieter RWE und dem Automobilkonzern Daimler.
Anfang September kündigten RWE und Daimler AG in Berlin an, in Hauptstadt ein Netzwerk von Aufladestationen für Elektroautos aufbauen und dieses mit 100 Fahrzeugen vom Typ Smart testen zu wollen. Daimler und RWE testen Elektroauto-Flotte in Berlin (Welt.de) Greenpeace - immerhin einer der Retter des "Think City" - initiierte gegen das Pilotprojekt sogleich eine Protestaktion. So bauten sie einen Smart zu einem „rosa Klimaschwein“ um und demonstrierten so vor dem Hotel in Berlin, wo die Pläne vorgestellt wurden. Wie "klimafreundlich" ein Elektroauto ist, entscheidet sich bei der Erzeugung benötigten Stroms. Nach Rechnung der Umweltschutzorganisation würden, wenn man den Energiemix der der REW gehörenden Kraftwerke zu Grunde legt, 113 Gramm CO2 pro gefahrenem Kilometer abgeben werde, gegenüber 88 g/km beim beim selben Fahrzeug mit Dieselmotor. Allerdings läge der C02 Ausstoß, wie "Greenpeace" einräumt, beim statisch durchschnittlichen Strom aus einer deutschen Steckdose, bei etwa 78 g/km. Wenn der E-Smart mit Strom aus regenerativen Energiequellen betrieben würde, wäre er auch nach "Greenpeace"-Angaben eine "feine Sache".

Ein Elektrosmart benötigt rund 13 - 15 Kilowattstunden Netzstrom für 100 Kilometer, der kräftig motorisierte Elektrosportwagen Tesla Roadster ca. 20 kWh. (Ein Mittelklassewagen mit Platz für 4 Personen läge wohl dazwischen. Damit wären sowohl der E-Smart wie der Tesla bereits bereits jetzt günstiger im Unterhalt als ein entsprechendes Fahrzeug mit Benzin- oder Dieselmotor. Wenn man nur den Strompreis berücksichtig und die (bislang) hohen Kosten für die Akkus vernachlässigt, ist die Fahrt im Elektromobil spottbillig: Für den Preis von 1 Liter Benzin (heute 1,449 Euro für den Liter Super an der Tankstelle um die Ecke) bekommt man im Haushaltstarif 7,7 kWh Strom. Damit kommt ein Elektrosmart bei zügiger Fahrweise über 50 km weit.

Gemessen an der Energieerzeugung in Deutschland, würde ein 20 kWh Auto, etwa ein Tesla Roadster oder ein gut motorisierter Mittelklassewagen, nach Angaben des IFEU- und des Wuppertalinstitutes soviel CO2 ausstoßen wie ein modernes 3-Liter Auto. (Nach meiner eigenen Rechnung eher weniger.) Wenn ganz Deutschland mit E-Autos fahren würde, würde dies den Stromverbrauch nur um 16% steigern. Schon mit den Überschüssen der deutschen E-Werke ließen sich rechnerisch 10 Millionen Elektroautos (vollwertige Autos wohlgemerkt, bei einer Fahrleistung von 20.000 km pro Jahr) versorgen: heise: Rechnerisch laufen drei Atomkraftwerke nur für den Export. Da ein Elektroauto bzw. dessen Akku auch ein Energiespeicher ist, ist auch Strom aus "unzuverlässigen" Wind und Solarkraftwerken für Fahrzwecke geeignet.

Selbst der Aufbau einer Versorgungsinfrastruktur wäre kein allzu teures Unterfangen, jedenfalls verglichen mit dem Aufwand, den nur ein flächendeckendes Erdgas-Tankstellennetz erfordern würde.

Aber warum setzt dieser Paradigmenwechsel zum Elektroauto erst jetzt ein?
Ein Grund dafür ist, dass der Elektroantrieb mit Akkus die einzige "ölfreie" Antriebstechnologie ist, die in überschaubarer Zeit verfügbar ist (anders als etwa das Wasserstoff-Brennstoffzellen-Auto) und anders als etwa "Biosprit" nicht mit schwer kalkulierbaren ökologischen Folgen belastet ist.

Und warum erst jetzt? Sicher, weil es technische Neuerungen gegeben hat, sicher auch, weil das Öl-Problem (nicht ganz unerwartet) drängend geworden ist.
Ohne jetzt in Verschwörungstheorie einzusteigen, ist es offensichtlich, dass dem Elektroauto seitens der Mineralölindustrie reichlich Steine in den Weg gelegt wurden. Zum Beispiel kaufte Exxon Patente auf und verhinderte so, dass moderne NiMH Akkus in den in den USA gebauten Elektroautos wie dem EV-1 von GM oder dem schon erwähnten Ford Think City eingesetzt werden konnten. Die Mineralölindustrie hat ein Interesse daran, ihre vorhandenen Infrastruktur, vor allem ihr Tankstellennetz, auch nach dem "Ölzeitalter" weiter zu nutzen - am einfachsten mit "Biosprit", aber auch nach einem Übergang auf Wasserstoff / Erdgas bräute man ein Tankstellennetz. Eine Ladestation für ein Elektroauto ist ein kleiner Kasten mit Netzanschluß in der Garage oder auf dem Firmenparkplatz. (Auch der sehr lesenwerte "Spiegel"-Artikel: Fahren ohne Feuer überschätzt m. E. den Aufwand zum Aufbau einer E-Auto-Infrastruktur.) Mehr noch: bei einer generellen Umstellung auf E-Antrieb gäbe es für die Mineralölindustrie kein "Beyond Petroleum" mehr. Sie wäre, als Lieferant egal welcher Treibstoffe, aus dem Rennen. Mit einem flüssigen oder gasförmigen "Benzinersatz" könnte sie auch nach dem Ölzeitalter weitermachen.

Nicht so leicht nachvollziehbar ist, wieso die großen Automobilhersteller (mit der zeitweilige Ausnahme von Toyota) in Sachen Elektroauto bisher durch "negatives Marketing" oder gar Sabotage ihrer eigener Produktion auf. Es fällt auf, dass Elektro und andere "Öko-Autos" normalerweise den optischen Charme eines motorisierten utesacks oder einer Tupperdose auf Rädern haben und hinsichtlich ihre Leistungsmerkmale an der Nachfrage vorbeiproduziert wurden. Offenkundig waren viele dieser Ökomobile Alibi-Projekte, die belegen sollten, dass z. B. einfach niemand den 3-Liter-Lupo haben wollte. Auch die Negativ-Propaganda seiten z. B. des ADACs (siehe oben) ist nur schwer nachvollziehbar.

Siehe auch mein Beitrag: Kein elektrischer Jutesack.
Nyarla (Gast) - 15. Sep, 07:41

Notebook Akkus

Als langjähriger Notebook-Nutzer muss ich dem Argument der geringeren Alterung widersprechen.
Es ist immer noch so, dass ein Notebook-Akku circa 3 Jahre hält, unabhängig davon, ob er täglich im Gebrauch ist oder man ihn unbenutzt in das Regal stellt.
Drei Jahre sind bei einem Notebook nicht so wild, bis dahin hat man eh wieder ein Neues. Die Nutzungszeit bei Autos, gerade im privaten Bereich ist deutlich länger.

MMarheinecke - 15. Sep, 13:27

Dass es das Problem noch gibt, habe ich gar nicht bestritten

Es ist allerdings so, dass Akkus heute eine längere Lebensdauer haben - mehr Ladezyklen überstehen - und viel weniger zum "Memory-Effekt" neigen, als noch vor 5, 10 oder 15 Jahren.
Da weitere Verbesserungen in Entwicklung sind - z. B. Akkus mit keramischen Membranen - bin ich hinsichtlich des klassischen Elektroautos ziemlich optimistisch, während das Brennstoffzellenauto nicht aus den Kinderschuhen heraus kommt.
Stephan (Gast) - 15. Sep, 09:32

BP

Es gäbe eine Zukunft für Öl-Multis, sie müssten Strom verkaufen.

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