Zwischen Anti- und Philosemitismus

"Das Schrecklichste nach dem Antisemitismus ist der Philosemitismus"
Egon Schwarz, jüdischer Publizist

Neulich wurde mir, so durch die Blume und über Bande, zu verstehen gegeben, dass ich 1. wohl ein Philosemit und 2. deshalb in Sachen Palästina-Frage und (Anti-)Islamismus voreingenommen sei.
Immerhin ist das ein Fortschritt. Denn ich trage gelegentlich einen Anhänger, der mich in den Augen bestimmter Menschen, wenn nicht gleich zum Nazi, dann doch zum "völkischen" Antisemiten stempelt:

Thorshammer

Zu diesem Symbol liest man z. B. so etwas:
Thorshammer:
Bei diesem Zeichen handelt es sich um den Hammer des altnordischen Gottes Thor. Er gilt als der stärkste der altnordischen Götter. Er ist Gott des Blitzes und des Donners und repräsentiert Stärke und hohes Alter. In der heutigen rechtsextremistischen Szene wird diese altnordische Bedeutung ersetzt durch das Symbol der völkischen Verbundenheit. So gilt er beispielsweise als Symbol des Widerstandes gegen die Religion aus dem Orient. Der Thorshammer findet sich u.a. auf Kleidungsstücken, ist aber besonders verbreitet als Anhänger für Halsketten. Das Verwenden dieses Zeichens ist nicht strafbar.
Zeichen und Symbole der Rechtsextremismus

Der Hammer dabei ist nicht der, dass Thor mitnichten "hohes Alter" repräsentiert. Und auch nicht die ziemlich freihändig erstellten Vermutungen, wofür Mjönir bei rechtsextremen Germanenschwärmern stehen könnte. Sondern die im Kern richtige Aussage, weshalb Rechtsextremisten - beleibe nicht nur Neo-Nazis - so gerne spirituelle Symbole heidnisch-germanischer und heidnisch-keltischer Herkunft mißbrauchen.
Während die straßenüblichen Neo-Nazis weniger für germanische Götter als für göttliche Germanen schwärmen und den Thorshammer vor allem als Ersatz für verbotene Symbole verwenden, gibt es vor allem in der "Neuen Rechten" Versuche, ihre Ideologie der Ungleichwertigkeit quasi-religiös zu fundieren.
Das ist nichts Neues, schon Houston Stewart Chamberlain, die Ariosophen um 1900 und auch ein Teil der Nationalsozialisten versuchten, germanische Mythologie - oder das, was sie dafür hielten, zu reaktivieren. (Texte zur Ariosophie und zum "rechten Heidentum" in: ODINS AUGE - Beobachtung gesellschaftlicher Tendenzen (ehem. “Ariosophieprojekt”) ).
Mit dem Bekenntnis zu einem „neuen Heidentum“ germanischer bzw. indogermanischer Prägung führen z.B. Alain de Benoist und Sigrid Hunke diese unselige Tradition in modernisierter Form fort.
Allen verbalen Versuchen sich vom offenen Antisemitismus abzugrenzen zum Trotz, bleibt die Zielrichtung dieses "Heidentums" eindeutig: Christentum und Judentum werden als Gegenpositionen und Feindbilder modelliert, Werten der liberalen Demokratie und der Gleichwertigkeit aller Menschen wird eine Weltanschauung entgegengesetzt, in der die Höherwertigkeit bestimmter "Rassen" (ersatzweise: Kulturen) und die völkische Gemeinschaft zentral sind.

Für die meisten Rechtsextremisten ist das "neue Heidentum“ pure Ideologie und nicht etwa "Religion". Eine "Religion" nämlich wirkt durch ihre eigene Kraft zur Sinnstiftung und Welterklärung, durch die Fähigkeit, Menschen einen "Glauben" zu vermitteln, durch ein Angebot der Transzendenz. Das sucht man bei Benoist vergeblich und bei Frau Hunke und den Ariosophen ist es ziemlich dünn und an den Haaren herbeigezogen.
Allerdings - es gibt durchaus ernsthaft "religiöse" Ásatrú bzw. Anhänger der Forn Siðr, die stramm antisemitisch sind. Meist fängt das mit einer scharf anti-christlichen Haltung an. Und allzu oft endet es in einer antisemitisch-antimodernen Ideologie:
Das Christentum ist eine Religion der Schwäche und des Selbsthasses, die von Juden für Juden geschaffen wurde.
(Aus dem wohlweislich nicht verlinkten Online-Zine für Nazi-Black-Metal BlutKriegSieg.)

Zurück zu mir. Nach meiner Selbsteinschätzung bin ich gewiß kein Antisemit. Was ist Antisemitismus?
Philosemit überigens auch nicht. Denn auch ein Philosemit sieht in Juden "etwas Besonderes" - Juden sind für ihn irgendwie keine normalen Menschen. Für mich schon. Ohne Einschränkung. Schon gar nicht gehöre ich zum Typ des "Gefühls-Philosemiten", der gerne Jude wäre oder sich sogar eine gefälschte "jüdische Identität" zulegt. Weshalb - hat jemand mit (mutmaßlich echter) jüdischer Identität so formuliert:
Und das komische Gefühl hat man auch oft bei Leuten, die sich eine jüdische Identität erfinden. Was im Prinzip das Dümmste ist, was man machen kann, denn Judentum ist weder cool noch lässig und hat auch keine Vorteile, es ist einfach eine verstaubte Religion mit sterbenslangweiligen Funktionsträgern.
(aus: Rebellen ohne Markt - Deja vu bei Ayaan Hirsi Ali)

Bei allem Respekt vor der jüdischen Tradition, der jüdischen Philosophie, der jüdischen Religion und all dem, was "das Judentum" für die menschliche Zivilisation geleistet hat: Der Don Alphonso hat Recht!

Wieso ich für einen Philosemiten gehalten werde? Vielleicht, weil meine pro-israelische Haltung für bestimmte Leute wahlweise nur durch einen "deutschen Schuldkomplex" oder eben durch "Philosemitismus" "erklärbar" ist. (Meine wirklichen Gründe sind komplex und sprengen den Rahmen eines Blogs.)
Oder einfach, weil ich in manchen Foren diesen Avatar verwende:
Davidsstern
Dabei ist das Hexagramm - (auch "Davidstern" genannt) nicht immer - und erst in relativ neuer Zeit - Symbol des Judentums. Auf das Hexagramm kam ich, weil ich mich ernsthaft mit so obskuren Sachen wie Magie und Hexerei beschäftige und nicht auf das auch von mit gernl verwendete Pentagramm (siehe links oben in der Titelleiste) zurückgreifen wollte.
Ich merkte - und zwar recht bald - dass sich antisemitische Heiden, die sonst gern den Vorwurf des Antisemitismus von sich weisen, mit dem harmlosen Hexagramm wirksam aus der Reserve locken lassen. Ein Grund mehr, das Hexagramm zu verwenden.

Ad Astra!
First_Dr.Dean - 9. Jun, 14:59

Mensch ist Mensch

Im Grunde genommen ist es ganz einfach: Mensch ist Mensch. Ich bin etwas skeptisch gegen Philosemitismus, aber auch hier muss man differenzieren.

1. Da gibt es als Quelle des Philosemitismus auch ein natürliches Schutzbedürfnis. Das ist, sofern es nicht zur totalen Einseitigkeit zwingt, eine ganz gute Sache, besonders, wenn es nicht nur auf Juden beschränkt wird.

2. Dann gibt es Philosemiten, wo der Philosemitismus eine "religiöse Technik" ist. Messianics zum Beispiel. Für die kommt es - oft - darauf an, am Ende Juden zum Christentum zu konvertieren.

Ich sehe es nicht unbedingt als Gewinn an, wenn ein Mensch seine Religion wechselt, und religiöse Juden betrachten diese Form des Philosemitismus oft als Angriff auf die eigene Religion, als eine Art Ranschmeißen im Namen der christlichen Religion. In harmloseren Fällen immer noch als Aufdrängung und Ausbeutung ihrer religiösen Identität.

3. Dann gibt es Philosemiten, wo der Philosemitismus eine "politische Technik" ist. Faschistoide Neocons zum Beispiel. Dort dient der Philosemitismus als Waffe gegen den politischen Gegner, zum Beispiel Pazifisten oder die Linken, dem man möglichst oft "Antisemitismus" vorwirft. Der Philosemitismus dient dort weiterhin dazu, den eigenen Rassismus und Gruppenhass (z.B. Islamphobie) verdecken oder sogar zu legitimieren. Diese Form des Philosemitismus bedient sich häufig jüdischer "Vorbilder" und Politsekten, welche extremistisch sind. Es handelt sich hierbei oft um eine politische Umfunktionierung von Judentum und/oder Israel.

4. Dann gibt es auch so etwas wie "sentimentale Philosemiten". Dazu würde ich mich selbst rechnen, bei mir ist es ein positives Sentiment hinsichtlich eines, leider fast ausgerotteten, linksliberalen Deutschjudentums. Hier habe ich meine geistigen Wurzeln. Außerdem gibt es da einige familiäre Gründe, für mich. In meinem Fall könnte man also von einer Art "Trennungsschmerz" sprechen, so doof das vielleicht auch klingt.

Wie auch immer.

Es ist kein besonderes Kunststück, Juden zu mögen, und genauso gut kann man auch z.B. Armenier, Syrer, Russen oder Franzosen mögen. Letzten Endes kommt es darauf an, in allen Menschen den Menschen sehen zu können.

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