Sonntag, 6. März 2011

Gedanken zur Psi-Forschung - oder dem Versuch, mit Stäbchen Suppe zu essen

(Aus meinem gedanklichen Skizzenbuch.)
Die Parapsychologie versteht sich als wissenschaftlicher Forschungszweig zur Untersuchung "paranormaler" Phänomene wie Telekinese, Telepathie, Präkognition usw. . Die "Wissenschaftlichkeit" der Parapsychologie wird nicht nur von organisierten "Skeptikern" wie der GWUP angezweifelt. Martin Mahner benennt in seinem Artikel Der Tod der Parapsychologie das meiner Ansicht nach zentrale Problem:
Schließlich müsse man feststellen, dass der Gegenstand der Parapsychologie – das ominöse Psi – immer noch rein negativ definiert ist (Alcock 2003). Psi ist immer gerade das, was nicht mit bekannten Mechanismen und Gesetzen erklärt werden kann. Das Fehlen einer positiven Charakterisierung führe aber dazu, dass man schlichtweg nicht sagen könne, ob ein festgestellter Effekt in einem Experiment wirklich auf derselben Ursache beruht wie ein Effekt in einem anderen Experiment.
Allerdings sind damit die mangels anderen Bezeichnungen "Psi-Phänomene" benannten Erscheinungen nicht aus der Welt. Oder anders gesagt: jedes Phänomen bzw. jede Klasse von Phänomenen braucht offensichtlich eine eigene Erklärung, die in vielen Fällen einfach "Täuschung" oder "Selbsttäuschung" heißen wird. In anderen Fällen sind "natürliche", aber komplexe, Erklärungen naheliegend: etwa im Falle des "Rutengehens". (Beim Rutengehen, Pendeln usw. usw. habe ich den Eindruck, dass das größte Hindernis für die Akzeptanz dieser Phänomene die pseudowissenschaftlichen Erklärungsversuche sind.) Um es noch mal zu sagen: "übernatürlich" ist ein leeres Wort. Wenn z. B. Telepathie funktioniert, dann ist sie ein natürliches Phänomen, egal, ob wir es zufriedenstellend erklären können oder nicht.

Bei einigen - nur einigen - der unter "Psi" zusammengefassten Erscheinungen neige ich dazu, der Forderung, die wissenschaftlichen Methoden zu ändern bzw. aufzuweichen oder, wie es Mahner formuliert, sich von der Wissenschaft abzuwenden und zum Okkultismus zurückzukehren, zuzustimmen. Mit der Konsequenz, dass auf die Intersubjektivität und damit auf "harte" Wissenschaftlichkeit verzichtet werden müsste.

Letzten Endes arbeitet die Parapsychologie mit dem kausal-mechanistischen Modell, das sich auf den Gebiet der klassischen Naturwissenschaften glänzend bewährt hat und, mit einigen Einschränkungen, auch in den Sozialwissenschaften anwendbar ist. Wenn es um etwas geht, was ich, wieder in Ermangelung eines besseren Begriffs, mit "Magie" bezeichne, versagt die Parapsychologie notwendigerweise kläglich - denn der "Magie" liegt ein Weltbild zugrunde, das sich dem analytische Denken prinzipiell entzieht. (Damit will ich allerdings nicht versuchen, die Existenz "paranormaler" Phänomene wie Telekinese, Telepathie, Präkognition usw. gegen Widerlegungen zu immunisieren.)
Die Parapsychologie gleicht, auch wenn es nicht um "Magie" geht, regelmäßig dem Versuch, mit Stäbchen Suppe zu essen.

Es gibt "paranormale" Phänomene, die, wenn es sie gibt, mit dem derzeitigen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis nicht kollidieren, für andere gilt, dass sie für ihre Existenz bisher unbekannte Naturgesetze voraussetzen würden, und eine dritte Kategorie würde, wenn es sie gäbe, sozusagen frontal mit den bekannten Naturgesetzen kollidieren, d. h, unsere Welterkenntnis wäre grundlegend falsch, wenn diese Phänomene real wären.

Einen Frontalzusammenstoß mit den bekannten Naturgesetzen erleiden die kinetischen Psi-Fähigkeiten bzw. die Psychokinese.
Dazu gehören:
  • das "Poltergeist"-Phänomen (Gegenstände werden ungezielt psychokinetisch bewegt),
  • die Telekinese: Gegenstände werden ohne direkte Berührung ertastet und gezielt manipuliert,
  • die psychokinetische Beeinflussung von Molekülen bzw. Atomen im Kristallgitter (Uri Geller behauptet, dass sein "Gabelbiegetrick" so funktionieren würde)
  • die Pyrokinese - dabei werden die Moleküle psychokinetisch in so starke Schwingungen versetzt, dass das Material sich entzündet - (angebliche Ursache "spontaner Verbrennung")
  • daneben wird auch die angebliche Beeinflussung des radioaktiven Zerfalls und die von Stromkreisen manchmal als "(Mikro-)Psychokinese", auch wenn hier Energie und nicht Materie manipuliert werden soll.
Alle kinetischen Psi-Phänomene - einschließlich der rein energetischen - haben ein großes Problem: Wo kommt eigentlich die Energie her?
Tatsächlich wären psychokinetische Phänomene, würde sie so ablaufen, wie sie meistens in der parapsychologischen Literatur geschildert werden, glatte Verstöße gegen den Energieerhaltungssatz, der übrigens entgegen einem in Esoteriker-Kreisen populären Missverständnis auch für die Quantenmechanik gilt. Die vom Gehirn "abgestrahlte" Energie reicht jedenfalls nicht aus, auch nicht für die Mikro-Psychokinese: das menschliche Gehirn hat eine Gesamtleistung von 15 bis 20 Watt, die in Form chemischer Energie zugeführt wird, wobei sich die elektrische Gesamtleistung aller Hirnströme höchstens im Milliwattbereich bewegt.
Der gängigste "Rettungsversuche" sind weitere Annahmen, etwa das Mana-Konzept, die Vorstellung, es gäbe eine universelle "Lebenskraft" (bekanntestes popkulturelles Beispiel: die "Macht" im Star Wars"-Universum). Od, Psi-Energie, Orgon, Qi oder Prana sind verwandte Konzepte. Letzten Endes sind Mana, Od, Qi usw. eher metaphysische als physikalische Konzepte, und der Versuch, Metaphysik in eine wissenschaftliche Theorie einzubinden, führt zu nichts, außer Begriffsverwirrung.
Da es auch mit dem empirische Nachweis der Psychokinese gelinde gesagt schlecht bestellt ist, ist der Schluss, dass alle auf Psychokinese hindeutenden Beobachtungen und Versuchsergebnisse auf Fehlern, auf Selbsttäuschung oder Betrug beruhen, beinahe zwingend.
Bei anderen "Psi-Phänomenen" ist die Situation für die Anhänger der Parapsychologie zwar nicht ganz so aussichtslos, aber es zeigt sich an den mageren Ergebnissen, dass sich mit Stäbchen die Suppe bestenfalls tröpfchenweise essen lässt.

Wie sähe aber ein "Löffel" aus?

Erst einmal muss jedes vermeintliche Psi-Phänomen für sich gesehen werden. Im 19. Jahrhundert wurde z. B. die Hypnose vielfach als paranormales Phänomen gesehen ("animalischer Magnetismus") - heute gilt die hypnotische Trance als normaler Bewusstseinszustand.

Das Beispiel "Hypnose" zeigt, dass für viele vermeintlich "paranormale" Phänomene im Sinne der Anomalistik gültige Erklärung gefunden werden können. In anomalistischer Sichtweise wird anerkannt, dass unerklärte Phänomene existieren, aber nicht von einer prinzipiellen Unerklärbarkeit ausgegangen, sondern vielmehr versucht, entweder konventionelle Erklärungen zu finden oder neue Erklärungsmuster zu entwickeln, die wissenschaftlich angemessen sind. Gültig im Sinne der Anomalistik sind Erklärungen, die auf konventionellem Wissen und Nachdenken beruhen sowie einfach und unbelastet durch Spekulationen oder Hyperkomplexität sind. Die Beweislast liegt auf dem, der eine anomale Behauptung aufstellt, und nicht beim Forscher, der sie überprüft. Außerdem gilt der auch von skeptische Grundsatz: Je ungewöhnlicher eine Behauptung ist, umso höher sind die Anforderungen an einen Beweis.
Die Hypnose war, als sie von der Psychologie "entdeckt" worden war, zunächst ein anomales Phänomen, für das neue Erklärungsmuster gefunden wurden, dem ein das Denken des 19. Jahrhunderts sozusagen auf den Kopf stellender Perspektivwechsel zugrunde liegt: "Wir", sprich unser Wachbewusstsein, sind nicht unumschränkter "Herr im eigenen Haus", es gibt geistige Vorgänge, die uns nicht bewusst sind.

Die hypnotische Trance gibt meiner Ansicht nach auch ein Erklärungsmuster für viele "paranormale" Vorgänge, nämlich das es sich dabei allein um Bewusstseinsphänomene handelt.
in Beispiel: Unsichtbarkeit.
Ich stelle fest, dass ein Mensch sich durch eine Menschenmenge bewegt hat, und das sich anschließend niemand daran erinnern konnte, diesen Menschen gesehen zu haben.
Ein ad hoc-Erklärung könnte sein, dass dieser Mensch tatsächlich physikalisch unsichtbar war. Das z. B. eine psychokinetische Erklärung sein: dieser Mensch "biegt" die Lichtstrahlen um sich herum. Dieser Erklärung erscheint doch etwas weit hergeholt, und könnte gegebenenfalls empirisch, etwa mit Hilfe einer Überwachungskamera, widerlegt werden.
Eine einfachere Erklärung wäre, dass dieser Mensch alle, die ihn gesehen haben, auf irgend eine noch zu erklärende Weise so beeinflusst hat, dass sie alle vergessen haben, ihn gesehen zu haben. Vielleicht durch Hypnose?
Damit bin ich beim Bewusstsein angelangt. Es kommt also bei der "Unsichtbarkeit" gar nicht darauf an, nicht gesehen zu werden, sondern darauf, nicht wahrgenommen zu werden. Und in der Tat gibt es viele erprobte Methoden, "übersehen" zu werden. Die Erstaunlichste ist die Unaufmerksamkeitsblindheit: Objekte können sich direkt durch das Zentrum der Aufmerksamkeit bewegen und werden trotzdem nicht "gesehen", wenn wir ihnen keine spezielle Aufmerksamkeit entgegenbringen. Ein verblüffendes Experiment ist der unsichtbare Gorilla.

Ich teile die "Psi-Phänomene" vorläufig und grob in folgende Kategorien ein:
  1. mit bestehenden wissenschaftlichen Theorien erklärbare Phänomene (das sind meiner Ansicht nach die meisten),
  2. Phänomene, die neue wissenschaftliche Theorien zur Erklärung erfordern,
  3. metaphysische, d. h. mit (natur-)wissenschaflichen Methoden grundsätzlich nicht erklärbare Phänomene.
Eine "außersinnliche" Wahrnehmung gibt es meiner Ansicht nach nicht. Es gibt jedoch Wahrnehmungen mittels uns normalerweise nicht bewusster Sinneseindrücke, vielleicht sogar solche, die von uns bisher unbekannten und normalerweise unbewussten Sinnen stammen.

Der Schlüssel - oder der "Löffel" zum Verständnis vieler (ich vermute: der meisten) "paranormalen" Phänomene sind die unterschiedlichen Bewusstseinszustände.

Ein sehr stark vereinfachendes, aber grundsätzlich meiner Auffassung nach stimmiges, Bild der Bewusstseinszustände ist das eines Radios. Der "Sender", auf den wir im Wachzustand normalerweise eingestellt sind, ist die Konsensrealität oder, neoschamanisch ausgedrückt, die Alltägliche Wirklichkeit. Sie entspricht dem Programm eines üblichen "Informationssenders": kurze Nachrichten, Verkehrsdurchsagen und Popmusik. Im Zustand verminderter Konzentration empfangen wir "Dudelfunk": immer noch Popmusik, aber weniger von uns gewollte Information, dafür mehr "Werbespots" - wie sind in diesem Zustand manipulierbarer. Im Extremfall sind wir auf einen Propagandasender eingestellt - wenn wir nichts anderes mehr hereinbekommen, nennt man das "Wahnvorstellung", wenn man uns hindert, einen anderen Sender zu empfangen, "Gehirnwäsche". In meditativer oder schamanischer Trance oder unter dem Einfluss psychoaktiver Substanzen, oder beim hochkonzentrierten geistigen Arbeiten können wir auch noch weitere "Sender" empfangen, die uns mehr bieten, als "Radio Konsens": vielleicht klassische Musik, Jazz, Hintergrundberichte, Reportagen, Folklore aus aller Welt, experimentelle Musik, Talkshows, Anrufsendungen, Quizshows usw. usw. .

Die "Radiowellen", die unsere "Antennen" erreichen, die Sinneseindrücke, sind immer die selben. Was uns davon erreicht, bestimmt die "Abstimmung" unseres Bewusstseins. Manche "Sender" werden so wenig gehört, dass sie von Menschen, die fast nur "Radio Konsens" hören, für "paranormal" gehalten werden können.

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