Samstag, 19. Mai 2007

Ludwig Roselius und seine "nordisch-völkische" Ideologie

Auch ich möchte nach besten Kräften die Erkenntnis fördern, dass die germanische Kunst der der anderen Völker nicht nur nicht nachsteht, sondern dass sie selbst schöpferisch war und in fremden Ländern wiederum Kunsterzeugnisse angeregt hat, die die Nachwelt irrtümlicherweise als selbstständige Schöpfungen der betroffenen Länder wertete. "Ex oriente lux!" heißt es immer. "Ex occidente lux", muss es heißen."
Ludwig Roselius, in einem Rundfunkinterview, 1932

Nach längerer Pause: die angekündigte Ergänzung zu "Ariosophische Bauten" zwischen Schonkaffee und Atlantis.

Der Bremer "Kaffeebaron" Ludwig Roselius hing einer nordisch-völkischen Ideologie an, die einerseits viele Überschneidungen zur NS-Ideologie aufwies, aber auch einige markante Abweichungen. Chrakteristisch war seine Rückbesinnung auf die niederdeutsche Kultur, die Sprache ebenso wie Kunst und Kunsthandwerk - wobei er interessanterweise und für "Völkische" eher untypisch, Anhänger des Freihandels und Amerikafreund war. Dreh- und Angelpunkt seiner Aktivitäten als Bauherr der Bötcherstraße, als Kunstsammler und als Mäzen war die fixe Idee einer "Urkultur" im Norden und der "Germanen" als "Kulturschaffer" und "Kulturverbreiter" - und dass das legendäre Atlantis Zentrum und Urheimat dieser nordischen Super-Zivilisation war.

"Ur-Kulturheimat" Niedersachsen
Roselius stand, trotz seine politisch konservativen und ökonomisch liberalen Einstellung, der Lebensreform-Bewegung nahe. Sein entkoffeinierter "Kaffee Hag" wurde als Reformkaffee vermarktet, sein erster Fabrikbau, entworfen vom Reformarchitekten Hugo Wagner, funktional und "lichtdurchflutet", setzte Maßstäbe für die moderne Industriearchitektur. Daher verwundert es nicht, dass der schon früh an niederdeutscher Volkskultur und "germanischer" Frühgeschichte Interessierte mit völkisch-esoterischen, theosophisch beeinflußten Lebensreformern in Kontakt kam und deren Gedankenwelt übernahm. Roselius scheinbar in sich widersprüchliche Weltanschauung vereinigte Schonkaffee, Lebensreform, Heimatkunst, Werkbundgedanken und Internationalismus mit völkisch-rassistischem Überlegenheitswahn.
So sehr die völkisch-germanischen Kreise auch von der arischen Urkultur aus dem Norden überzeugt waren, sie hatten ein Problem: gegenüber den imponierenden Hinterlassenschaffen der "orientalischen" Hochkulturen wirkten Hünengräber und die spärlichen Überreste frühgeschichtlicher Bauern kärglich. Der Augenschein sprach für die von ihnen so verachtete "Barbarentheorie", nach der erst die Römer die Zivilisation nördlich der Alpen verbreitetet hätten. Deshalb stürzte sich Roselius mit Begeisterung auf die Hinterlassenschaften der Nordischen Bronzezeit. Die Hinterlassenschaften dieser Kultur standen den zeitgleich entstandenen Artefakten der Hochkulturen des östlichen Mittelmeers und des Nahen Ostens in keiner Weise nach. Zu Roselius großer Freude reichten Ausläufer dieser süd-skandinavischen Kultur bis in seine engere norddeutsche Heimat. Beinahe selbstverständlich hielt er wie andere völkische Germanenschwärmer die allenfalls protogermanische Nordische Bronzezeit für "germanisch", wie er auch nicht zögerte, auch die Megalithkultur zu "germanisieren". Das von ihm gegründete "Väterkundemuseum" verband eine wertvolle Sammlung früh- und vorgeschichtlicher Funde mit einer wissenschaftlich wertlosen Geschichtsideologie.
Auch wenn die "Barbarentheorie" faktisch widerlegt war, reichte es ihm wie anderen Germanenschwärmern nicht aus, dass es im Norden "Kulturträger" gab - es mußten schon "Kulturschöpfer" und "Kulturbringer" sein, es mußten die Hochkulturen des Mittelmeeraums, Mesopotamiens, Ägyptens, Persiens, Indiens "nordischen" Ursprungs sein. Deshalb reichten ihnen nordeuropäische Hochkulturen, die wunderschöne Kunstwerke und Gebrauchsgegenstände schufen, aber weder riesige Städte noch mächtige Reiche ereichteten, ebensowenig wie ein in mystischer Urzeit liegendes hyperboreisches Traumreich aus. Was sie wollten, war eine nordisch-germanische Hochkultur, gegen die das pharaonische Ägypten wie ein blasser Abklatsch gewirkt hätte. Das versunkene Atlantis bot sich dafür an.

Atlantis in der Nordsee
Die Idee von Atlantis als "Urheimat der Arier" und "Urheimat der Kultur" geht, wie so vieles andere in der "rechten" Esoterik, auf die Theosophie Helena Blavatskys zurück. Die Vorstellung, dieses Arier-Atlantis hätte im Norden Europas gelegen und wäre mit Thule oder dem aus der griechischen Mythologie bekannten Land der Hyperboreer identisch, stammte aus dem Umfeld der aus der Theosophie abgeleiteten Ariosophie. Ein fanatischer Anhänger dieser Idee war der zeitweilige "NS-Chefideologe" Alfred Rosenberg ("Der Mythus des 20. Jahrhunderts") - der in erbitterter Rivalität mit dem wichtigsten völkischen "Atlantis-Forscher" Herman Wirth stand. Wirths esoterische These einer matriarchalischen Ur-Kultur im Norden Europas fand bei den meisten Nazis wenig Anklang, mit der bezeichnenden Ausnahme des "Reichsführer SS" Heinrich Himmler. Wirth war es auch, der Atlantis mit Helgoland identifizierte. Er stand ab den 1920er Jahren in Kontakt zu Ludwig Roselius, den er für seine Thesen begeisterte. Wirth war Mitbegründer der Stiftung Ahnenerbe der SS. Die Helgoland-Atlantis-"Theorie" wurde seinerzeit in esoterischen Kreisen sehr populär, Norbert Willys Buch "Hilligenlei - Trümmer eines versunkenen Reiches" wurde viel gelesen, und Heinrich Pudor, Ariosoph und Menschenzuchtphantasien anhängender Lebensreformer, deklarierte 1931 in "Völker aus Gottes Athem" sein "Atlantis-Helgoland" zum "arisch-germanischen Rassenhochzucht- und Kolonisationsland". Heinrich Himmler ordnete ab 1936 mehrere Tauchexpeditionen des "Arnenerbes" an, die bei Helgoland nach Überresten des versunkenen Atlantis suchten. Jürgen Spanuth griff die Atlantis-Helgoland-Idee in der Nachkriegszeit wieder auf, allerdings in abgemilderter, "entschärfter" Form. Spanuth war der Ansicht, dass die Atlanter mit den Protogermanen der nordischen Bronzezeit gleichzusetzen seien. In rechtsextremen Kreisen und unter Neonazis ist das "nordische Atlantis" noch heute populär.
Roselius war ein eifriger und finanzkräftigsten Förderer der völkischen Atlantis-Schwärmer und setzte dieser fixen Idee mit dem "Haus Atlantis" ein beeindruckendes Bau-Denkmal.

Roselius - ein völkischer Transatlantiker
Im Unterschied zu anderen völkischen Germanenschwärmen und den meisten Vordenkern der Nazis war Roselius kein strammer Antiwestler.
Als Kaffeeimporteur hatte er andere Länder und Kulturen kennen und manchmal auch lieben gelernt. Sein besonderes Interesse galt Nordamerika. Er war genauso fasziniert wie abgestoßen von der unkomplizierten amerikanischen Mentalität. Er besuchte Henry Ford und Frederick W. Taylor, arbeitete eng mit dem damals noch lebensreformerisch orientierten Lebensmittelkonzern Kellogg's zusammen, der den US-Vertrieb von Kaffee Hag übernahm, und lernte von deren jeweiliger Unternehmensphilosophie. Schon bald errichtete er ein Kaffee-Hag-Zweigwerk in den Vereinigten Staaten.
Seine heute bizarr anmutende bremen-zentrische Weltanschung wurde durch die damaligen Verkehrsverhältnisse untermauert. Bremerhaven war in der damaligen Zeit, der großen Zeit der großen Transantlantikliner, die wichtigsten Umsteigestation zwischen den Weltstädten Berlin und New York. Einige der größten und schnellsten dieser Schiffe waren in Bremen beheimatet und auf bremischen Werften erbaut worden. Vor dem Aufstieg Rotterdams zum "Europort" lief der größte Teil des Überseehandels Kontinentaleuropas über Hamburg, Bremerhaven und Bremen. Ludwig Roselius sah sich in Bremen sozusagen im verkehrstechnischen Zentrum der Welt. Das verband sich nahtlos mit seiner festen Überzeugung, dass der Nordwesten Deutschlands ein uraltes kulturelles "Ausstrahlungszentrum" war, als Erbe des "germanischen Atlantis". Hier, in der Heimat der Angelsachsen, vermutete er die geistigen Wurzeln Englands und der USA.

Anders als die meisten Vordenker und Nachbeter der Nazi, anders auch als die meisten Vertreter der "Konservativen Revolution" und ihren "neurechten" Nachfolger träumte Roselius nicht von einem kontinentaleuropäischen, von Deutschland beherrschten Großraum oder gar von zu eroberndem Lebensraum im Osten. Sein Traum war ein "pangermanisches", von allen "germanischen Völkern" (zu denen er auch England und die "germanisch beherrschten" USA rechnete) gebildetes, weltumspannendes Reich. (Hitler bekam es dann fertig, sich beide eigentlich außschließende größenwahnsinnige Machtträume gleichzeitig zueigen zu machen und sie beide zu forcieren.)
Hitler lehte Roselius sicher nicht allein deswegen ab, da dieser sich lieber als Kunstmäzen und Bauherr betätigte, als, wie andere Industrielle, der NSDAP mit großzügigen Spenden unter die Arme zu greifen.(Hitler rechnete ihm einmal vor, dass er mit dem Geld, das Roselius in die Böttchergasse steckte, die Macht Jahre früher hätte erringen können.)

Trotzdem sollten man sich hüten, Roselius' Ideologie etwa als "bessere Alternative" oder auch nur als als "kleineres Übel" gegenüber dem Hitlerfaschismus zu sehen. Diese Weltanschauung war genau so totalitär, antisemitisch, rassistisch wie die der "typischen" Nazis. Ein "roselianisches" "Drittes Reich" wäre vielleicht weniger aggressiv gewesen, aber auch weniger realitätsfremd - und damit wahrscheinlich "erfolgreicher". Ein historischer Alptaum ganz eigener Art. Zum Glück hatte Roselius nicht den nötigen politischen Ehrgeiz, um seine Vorstellungen durchzusetzen.

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