Die Erschaffung des Vitamin-C-Mythos

Mangel an Ascorbinsäure - besser bekannt an "Vitamin C" - führt zur der als "Geisel der christlichen Seefahrt" bekannten Mangelkrankheit Skorbut und erhöht die Infektanfälligkeit. Aber schon eine halbwegs gesunde Ernährung deckt den Vitamin-C-Bedarf von 100 mg pro Tag ab (das ist die bereits hochgegriffene Empfehlung der deutschen Gesellschaft für Ernährung - schon 20 mg Ascorbinsäure reichen aus, um Skorbut zu verhindern). Wer viel Obst und Gemüse isst, übertritt diesen Wert bei weitem. Daher sind Vitamin-C-Präparate für einen gesunden Menschen, der sich abwechslungsreich und vollwertig ernährt, völlig überflüssig. Sie schaden aber auch in aller Regel nicht, da der Körper einen Überschuss an Ascorbinsäure wieder über die Nieren ausscheidet.

Im Anschluss an den Beitrag über Entsäurerung lässt sich sagen, dass sehr hohe Vitamin-C-Dosen, auf die selbst der eifrigste Obstesser und Gemüsefan nicht kommen dürfte, die Oxalat- und sekundär auch die Harnsäure-Konzentrationen im Blutplasma steigern. Das ist ab 1000 mg pro Tag - dem zehnfachen der empfohlenen Dosis - nachweisbar. Erst ab etwa 6000 mg pro Tag steigt auch der Oxalatspiegel im Urin und damit das Risiko für Nieren- und Blasensteine. Allerdings sinkt die Resorption von Ascorbinsäure im Darm bei hohen Dosen ab - ein Grund, weshalb man mit natürlichen Vitamin-C-Quellen nicht auf einen gefährlich hohen Ascorbinsäurespiegel kommt. Anders gesagt: man muss sich schon mit Megadosen quälen, um sich mit Vitamin C zu schaden.

Weil es, auch für therapeutische Zwecke, genügend Vitamin C aus natürlichen Quellen gab, gab es 1933, als dem Schweizer Chemiker Thadeus Reichstein ein Verfahren zur synthetischen Herstellung von Ascorbinsäure patentiert wurde, dafür im Grunde keinen Bedarf. Das Pharmaunternehmen Roche kaufte das Patent trotzdem, da es in der Weltwirtschaftskrise auf der Suche nach neuen Produkten war und auf eine noch zu entdeckende neue therapeutische Anwendung hoffte. Diese neue Anwendung als Arzneimittel wurde aber nie entdeckt. Trotz fehlendem Bedarf für synthetisches Vitamin C wurde es für Roche zur Goldgrube. Denn nach dem Vitamin selbst wurde auch die Nachfrage nach dem Vitamin künstlich hergestellt.
Das Unternehmen stützt sich dabei – und das ist gesellschaftlich brisant – auf einen ganz bestimmten Begriff von Gesundheit: Gesund ist nicht, wer nicht krank ist, sondern wer leistungsfähig bleibt. Es geht um Prävention und die «Volksgesundheit», und Roche gelingt es, Vitamin C mit dem öffentlichen Interesse an einem leistungsfähigen «Volkskörper» zu verknüpfen. Und genau darin sieht Bächi das Entscheidende in der Karriere dieses Stoffs.
Vitamin C – vom Ladenhüter zum Milliardengeschäft (BaZ) - via Stationäre Aufnahme.

Trotz des bis heute nachwirkenden Vitamin-C-Hypes wird die meiste synthetisch oder biotechnisch gewonnen Ascorbinsäure zu einem nicht-pharmazeutischen Zweck verwendet: Sie wird als Konservierungsmittel - genauer gesagt: als Antioxidans - vielen Lebensmittelprodukten (unter der Nummer E 300) zugesetzt. Diese Anwendung erschloss sich dem einstigen "Ladenhüter" Ascorbinsäure aber lange nachdem es als "Fitmacher" etabliert war.
Gregor Keuschnig - 6. Sep, 21:58

Naja, der "Ladenhüter" ist als Antioxidant noch relativ teuer. Obwohl die Chinesen L-(+)Ascorbinsäure inzwischen in sehr grossen Mengen herstellen und exportieren.

M. Mugge (Gast) - 11. Sep, 18:59

Vitamin C, gut oder schlecht?

Ich weiss ehrlich gesagt nicht so genau, was ich glauben soll. Nobelpreisträger Linus Pauling hat ja sehr gute Ergebnisse mit seinen exorbitant hohen Dosen Vitamin C gemacht. Er empfahl 1000 mg pro Tag, das kommt in etwa in die Region, die größere Hunde ebenfalls selbst produzieren. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass Hunde 'einfach so' mal eben zuviel an Vitamin C produzieren, also schon reichlich, aber nicht 100 mal mehr als sie eigentlich benötigten. Wir müssen das über Nahrung ausgleichen, aber 1000 mg pro Tag ist schon irgendwo heftig, ob synthetisches Vitamin C im Übrigen auch genauso gut ist, wage ich auch mal zu bezweifeln, aber okay, da fische ich auch im Trüben.

MMarheinecke - 11. Sep, 23:47

Vitamin C ist schon gut

Allerdings sind Riesendosen nicht besser. Linus Pauling war ein genialer Biochemiker und theoretischer Chemiker, und ein großer Humanist (Nobelpreis für Chemie 1954 und Friedensnobelpreis 1962), aber auch er war vor Irrtümern und fixen Ideen nicht sicher.
Die von ihm empfohlenen hohen Dosen orientieren sich an der körpereigenen L-(+)Ascorbinsäure-Produktion von Hunden und Schweinen. Untersuchungen mit C14 markierter Ascorbinsäure zeigten aber, dass der tägliche Ascorbatumsatz des Menschen unabhängig von der Ascorbinsäurezufuhr nur etwa 20 mg beträgt. Sicher kann der Bedarf unter Umständen erheblich höher sein, aber auf 1000 mg pro Tag kommt man auf keinen Fall. Das schaffen, bezogen aufs Körpergewicht, nicht mal sich ausschließlich von Früchten ernährende Affen, die ja ebenfalls kein Vitamin C in der Leber produzieren können.
Man kann meines Erachtens nicht pauschal sagen, dass die orthomolekulare Medizin, der Pauling anhing, durchweg pseudowissenschaftlicher Unsinn ist, aber ihre Anhänger sparen nicht eben mit vollmundigen (und nicht belegten) Behauptungen (die bei den Herstellern von Nahrungsergänzungsmitteln für gesunde Gewinne sorgen).
Paulings bekannteste Behauptung, die dass hohe Dosen Vitamin C vor Erkältung schützen, konnte bislang durch keine wissenschaftliche Studie bestätigt werden. (Obwohl z. B. Roche sehr an einem positiven Ergebnis der Tests interessiert war.) Was stimmt: bei Infekten ist der Vitamin C-Bedarf etwas erhöht, Hausmittel wie warmer (nicht heißer!) Zitronen- oder Orangensaft oder Hagebuttenkompott bei Schnupfen sind also durchaus sinnvoll. Dass Vitamin C-Mangel Infekte begünstigt und der Bedarf bei bereits ausgebrochener Erkrankung erhöht ist, bedeutet nicht automatisch, dass hohe Dosen Vitamin C den Ausbruch eines Infektes verhindern oder wenigstens die Krankheitsdauer wesentlich verkürzen können. Pauling formulierte das als seriöser Wissenschaftler nur als Hypothese - allerdings stellte er sich stur, als diese Hypothese nicht bestätigt werden konnte.
Heute ist sogar das von Pauling gegründete "Linus Pauling Institute of Science and Medicine", eine der Hochburgen der orthomolekularen Medizin, von den massiven Dosen Vitamin C wieder abgekommen.
Michael Mugge (Gast) - 22. Sep, 17:36

Hallo MMarheinecke,

leider komme ich jetzt erst wieder dazu hier vorbeizuschauen. Jedenfalls möchte ich dir für die wort- und inhaltsreiche Aufklärung danken, ich bin auf diesem Gebiet leider nur laienhaft bewandert. Deine Ausführungen sind in jedem Falle schlüssig, v.a. das Argument mit den Affen war doch sehr interessant.

Viele Grüße,
Michael

steppa (Gast) - 6. Okt, 21:49

Naja Goldgrube...

Ein 100 g Töpfchen Ascorbinsäure in der Drogerie oder im Supermarkt gibt's für 1,50 € und das würde selbst in der Region von Paulings Dosierung fast ein halbes Jahr halten.
Da gebe ich aber im Jahr mehr für Waschpulver aus, auch wenn sich Ascorbinsäure manchmal ganz vorzüglich als Reinigungsmittel einsetzen lässt, wenn es mal irgendwo rostet.

MMarheinecke - 7. Okt, 09:09

Gerade wegen des inzwischen sehr günstigen Preises ist Ascorbinsäure eine Goldgrube für die Nahrungsergänzungmittel-Hersteller. 20 Brausetabletten mit je 1 g Vitamin C kosten, wenn man die "preiswerten" von Ratiopharm nimmt, locker 3 Euro.

Selbst wenn man die Kosten für die (ebenfalls billigen) übrigen Bestandteile der Brausetabletten, Herstellung und Verpackung in Rechnung stellt, ist die Gewinnmarge enorm.

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