Homöopathie und Immunisierung (gegen Kritik)

Mein Verhältnis zur Homöopathie ist, vorsichtig gesagt, zwiespältig.
Modernen Anforderungen genügende Studien zeigen recht eindeutig, dass homöopathische Behandlungen nicht signifikant wirksamer sind, als die zur Kontrolle eingesetzten Placebos.

Dass heißt nun nicht, dass Homöophatie therapeutisch sinnlos wäre - denn der "Placebo-Effekt" besteht ja nicht darin, dass der Patient sich nur einbildet, dass es ihm besser ginge. Wie komplex das Thema ist, erkennt man z. B. daran, dass Homöopathie auch bei Tieren und kleinen Kindern wirkt. Auch gibt es einige homöopathische Präparate, die mehr sein dürften als reine Placebos.

Was ich allerdings für ausgemachte Pseudowissenschaft halte, ist die hahnemannsche Lehre. Hahnemann gründete vor gut 200 Jahren seine Homöopathie auf zwei Grundsätzen. Zum einen sollen Krankheiten durch Medikamente behandelt werden, welche ähnliche Symptome hervorrufen wie die Krankheit selbst: "Ähnliches werde durch Ähnliches geheilt" (similia similibus curentur). Es gibt tatsächlich Therapien, wie etwa Impfungen oder Desensibilisierungen gegen Allergene, die diesem Prinzip zu entsprechen scheinen - aber Hahnemanns Idee, dass ein Heilmittel an Gesunden ähnliche Symptome hervorrufen soll, wie die, an denen der Kranke leidet, ist in verallgemeinerter Form nicht haltbar.
Das andere Problem ist die sprichwörtliche homöopathische Verdünnung - ab etwa D 12 sind kaum noch Wirkstoffmoleküle im Präparat zu finden. Dementsprechend begründete Hahnemann die Wirksamkeit der "Hochpotenzen" in seinem Standardwerk "Organon der Heilkunst" nicht mit der Wirkung der körperlichen Substanz oder physischen Wirkung eines Arzneistoffes, sondern er schreibt sie einer immateriellen, beim Verschütteln oder Verreiben aus den Wirkstoffen freigewordenen, "spezifischen Arzneikraft" zu. Mit anderen Worten: Homöopathie beruht auf Magie.

Das entscheidende Kriterium, die hahnemannsche Lehre als Pseudowissenschaft zu bezeichnen, ist allerdings die Art und Weise, mir der Hahnemann seine Hypothese gegen ihre Widerlegung immunisierte: Wirkt ein hömöopathisches Medikament nicht oder nicht wie gewünscht, dann gibt es eine lange Reihe Einflüsse, die Hahnemann für die Nichtwirkung der Homöopathie verantwortlich machte. Ich zitiere aus der Fußnote zu § 260 des "Organon", was alles laut Hahnemann die Wirkung einer homöopathischen Arznei stören kann:
Kaffee, feiner chinesischer und anderer Kräuterthee; Biere mit arzneilichen, für den Zustand des Kranken unangemessenen Gewächssubstanzen angemacht, sogenannte feine, mit arzneilichen Gewürzen bereitete Liqueure, alle Arten Punsch, gewürzte Schokolade, Riechwasser und Parfümerieen mancher Art, stark duftende Blumen im Zimmer, aus Arzneien zusammengesetzte Zahnpulver und Zahnspiritus. Riechkißchen, hochgewürzte Speisen und Saucen, gewürztes Backwerk und Gefrornes mit arzneilichen Stoffen, z. B. Kaffee, Vanille u.s.w. bereitet, rohe, arzneiliche Kräuter auf Suppen, Gemüße von Kräutern, Wurzeln und Keim-Stengeln (wie Spargel mit langen, grünen Spitzen), Hopfenkeime und alle Vegetabilien, welche Arzneikraft besitzen, Selerie, Petersilie, Sauerampfer, Dragun, alle Zwiebel-Arten, u.s.w.; alter Käse und Thierspeisen, welche faulicht sind (gemeint sind fermentierte Fleischprodukte wie z.B. Salami M. M.), (Fleisch und Fett von Schweinen, Enten und Gänsen, oder allzu junges Kalbfleisch und saure Speisen; Salate aller Art), welche arzneiliche Nebenwirkungen haben, sind eben so sehr von Kranken dieser Art zu entfernen als jedes Uebermaß, selbst das des Zuckers und Kochsalzes, so wie geistige, nicht mit viel Wasser verdünnte Getränke; Stubenhitze, schafwollene Haut-Bekleidung, sitzende Lebensart in eingesperrter Stuben-Luft, oder öftere, bloß negative Bewegung (durch Reiten, Fahren, Schaukeln), übermäßiges Kind-Säugen, langer Mittagsschlaf im Liegen (in Betten), Lesen in wagerechter Lage, Nachtleben, Unreinlichkeit, unnatürliche Wohllust, Entnervung durch Lesen schlüpfriger Schriften, Onanism oder, sei es aus Aberglauben, sei es um Kinder-Erzeugung in der Ehe zu verhüten, unvollkommner, oder ganz unterdrückter Beischlaf; Gegenstände des Zornes, des Grames, des Aergernisses, leidenschaftliches Spiel, übertriebene Anstrengung des Geistes und Körpers, vorzüglich gleich nach der Mahlzeit; sumpfige Wohngegend und dumpfige Zimmer; karges Darben’ u.s.w. Alle diese Dinge müssen möglichst vermieden oder entfernt werden, wenn die Heilung nicht gehindert oder gar unmöglich gemacht werden soll. Einige meiner Nachahmer scheinen durch Verbieten noch weit mehrer, ziemlich gleichgültiger Dinge die Diät des Kranken unnöthig zu erschweren, was nicht zu billigen ist.
Da ich mich ein wenig mit zeremonieller Magie befasst habe, fällt mir die Parallele zu einer bestimmten Sorte magischer Rituale ein, deren Urheber gleich einen langen Katalog von Begründungen, oder besser Entschuldigungen, angeben, wieso dieses mächtige Ritual normalerweise überhaupt nichts bewirkt - der Magier kann schrecklich viel falsch machen, und wenn er das Ritual doch richtig durchgeführt hat, gibt es viele böse, böse störende äußere Einflüsse.

Allerdings: Homöopathie hilft oft, vielleicht sogar über den Placeboeffekt hinaus. Meiner Ansicht nach ist die pseudowissenschaftliche Lehre hinter der Homöopathie kein Grund, homöopathische Präparate, die sich in der Praxis bewährt haben, aus der Medizin zu verbannen.

Ein Beispiel für eine in vielen Fällen wirksame Therapie, deren "theoretische Grundlage" wissenschaftlichen Ansprüchen in keiner Weise gerecht wird, ist die Akupunktur. Die von der traditionellen chinesischen Medizin angenommenen Wirkmechanismen konnten nicht nachgewiesen werden, sie widersprechen sogar wissenschaftlichen Erkenntnissen über Funktion und Aufbau des menschlichen Körpers. Es ließ sich bisher auch kein anderer Wirkmechanismus stichhaltig nachweisen (außer dem bei jeder Therapie wirksamen Placeboeffekt). Trotzdem ist die Akupunktur erstaunlich wirksam.
Bodecea - 15. Jun, 12:13

Ich haber eine ähnliche Einstellung zu Homöopathie. Die angeblichen Wirkmechanismen leuchten mir nicht ein, dennoch habe ich schon mit Erfolg ein paar Wehwehchen damit behandelt. Jeder Homöopath wird mich hauen, aber meine Logik ist - so ein Fläschlein Globuli kostet nicht viel, und wenn es nicht hilft, so wird es doch zumindest auch nicht schaden...

Bodecea

Jari (Gast) - 15. Jun, 22:22

Den einzigen sicheren Erfolg den ich mit Homöopathie hatte waren homäopathische Halsschmerztabletten - jedoch erst nachdem ich die Dosierung verdreifacht hatte. *ja, ja, is gefährlich un so*

Ob das aber nun am Wirkstoff lag oder Placebo war, egal - die Wirkung war echt und meine Halsschmerzen waren weg.

Homäopathie selbst fand ich aber schon vorher höchst zweifelhaft, denn wenn ich einen Wirkstoff verdünne, soll sich seine Wirkung erhöhen? Wenn ich das weiterdenke und den Wirkstoff maximal verdünne - also er quasi fast nicht mehr vorzufinden ist, habe ich die maximale Wirkung... . Das kommt mir vor wie "je weniger Kaffeepulver ich nehme, desto besser schmeckt der Kaffe", doll, dann trink doch gleich Wasser. (Hab Kaffee genommen, weil man den auch überdosieren kann) ;)

Gruß, Jari

MMarheinecke - 16. Jun, 10:57

Bei homöopatischen Halsschmerztabletten kann es auch eine "echte" Wirkung gewesen sein: da wird gern Apis (Gift der Honigbiene) gegeben. Die Verwendung von Bienengift stammt aus der Volksheilkunde der Indianer. In der Homöopathie hat es sich in niedrigen Potenzen (d. h. relativ wenig verdünnt) bewährt. Von daher halte ich Apis für ein der Wirkung nach "konventionelles" Naturheilmittel: ein hochwirksamer Wirkstoff, der in kleiner Dosierung gegeben wird. (Ähnlich ist es z. B. mit Schlangengiften.)
In homöopathischen Halstabletten werden eine Reihe Pflanzenextrakte verwendet, die auch in der nicht-homöopathischen Naturheilkunde gegen Halsprobleme verordnet werden, z. B. Eukalyptus, Guajak, Euphorbium (Wolfsmilch) oder Ginseng - bezeichnenderweise in D2 bis D6 Verschüttungen, also durchaus im Bereich "konventioneller" Wirksamkeit.
Gegen "brennende" Halsschmerzen gibt der Homöopath gerne Capsicum - also Chilischoten-Extrakt, der reich an Capsain ist. Capsain regt die Schleimhäute an - ein Beispiel, in dem das "Simile"-Prinzip die Homöopathen eher zufällig auf eine wirksame Substanz brachte.
Jari (Gast) - 17. Jun, 21:26

Jo, ich will auch gar nicht "Alternative Medizin-Bashing" betreiben, im Gegenteil. Wenn ich aber das Bienengift der Homöopathie-Lehre entsprechend immer weiter verdünne, wird diese "echte" Wirkung ausbleiben und es bleibt bei meiner echten Placebo-Wirkung (die teilweise hammermäßig wirken kann!)...eeeees sei denn ich gehe tatsächlich von einer "übernatürlichen Wirkung" aus, wie das auch immer dann aussehen soll.

Will sagen, auch wenn die Homöopathie wirksame Stoffe gefunden hat, verdünnt sie sie solange bis sie nicht mehr wirken. *überspitz*

Jari
eisenia - 17. Jun, 01:53

hallo MMarheinecke,
ich stolperte grade über diese aussage:

"... Dementsprechend begründete Hahnemann die Wirksamkeit der "Hochpotenzen" in seinem Standardwerk "Organon der Heilkunst" nicht mit der Wirkung der körperlichen Substanz oder physischen Wirkung eines Arzneistoffes, sondern er schreibt sie einer immateriellen, beim Verschütteln oder Verreiben aus den Wirkstoffen freigewordenen, "spezifischen Arzneikraft" zu. Mit anderen Worten: Homöopathie beruht auf Magie."

das ist ein kurzrückschluß, der sehr kurz gedacht ist. nimm doch nur mal kurz an, "magie" (die mit übernatürlichem zu tun hat) sei eigentlich "energie" (die wissenschaftlich gesichert auch auf feinstofflicher ebene vorhanden ist). kannst du unter dieser annahme deine sichtweise aufrecht erhalten?
nur ein denkansatz - ich will nicht rechthaben oder diskutieren ... dein artikel ist gedanklich schön entwickelt, aber er betrachtet nur einen winzigen ausschnitt der hömöopatischen lehre (die in der tat doch etwas komplexer ist, als du offenbar annimmst).

nix für ungut
eisenia

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