Bewußtsein
Das wissenschaftliche Denken in der heutigen Medizin, Psychatrie, Psychologie und Anthropologie stellt inhaltlich eine direkte Ausdehnung des aus dem siebzehnten Jahrhundert stammenden newtonianisch-kartesianischen Modells vom Universum dar. Da sämtliche Grundannahmen dieser Wirklichkeitsauffassung von der Physik des zwanzigsten Jahrhunders transzendiert werden, dürfte man eigentlich erwarten, dass es in sämtlichen Disziplinen, die ihre direkten Derivate sind, früher oder später zu großen Veränderungen kommt.Stanislav Grof: Geburt, Tod und Tranzendenz (Originaltitel: Beyond the Brain)
Wo er recht hat, hat der Mit-Begründer der transpersonalen Psychologie recht - trotz seiner Beliebtheit unter Dummschwätz-Esoterikern, Wochenendseminar-Schamanen und LSD-Astronauten, an der er selbst nicht so ganz unschuldig ist ...
Als ich ich gestern abend, als ich, auf meinem Sofa gefläzt, bei Kerzenlicht ein wenig abschaltete (was für ein schmarotzerhaftes, faules, dekadentes, unproduktives und unkreatives Lebensgefühl, wird manch ein Leitkultur-Avangardist meinen), ging mir das Grof-Zitat nicht aus dem Sinn - und ein interessanter Beitrag über Quantenteleportation von Köppnick, an dessen Ende er schrieb:
Ganz am Schluss outet er sich dort als Anhänger der Kopenhagener Deutung der Quantentheorie, wonach die Existenz des bewussten Beobachters ganz wesentlich für die Existenz der Welt ist.Ich vermute hingegen, dass sowohl die "Kopenhagener" wie die Neurowissenschaftler recht haben, und sich ihre Deutungen nur im von Grof so genannten "newtonianisch-kartesianischen Modells vom Universum", also dem Weltbild der "alten" Physik vor Plank und Einstein, widerspechen. Wobei viele der Neurowissenschaftler, die die Existenz eines "freien Willens" verneinen, und das Bewußtsein als nachgeordnetes Scheinphänomen, als eine Art PR-Stunt betrachten, eindeutig positivistisch im Sinne des späten 19. Jahrhunderts argumentieren. Aber eben nicht alle.
Es würde mich sehr interessieren, wie sich dieser spezielle „Glauben“ einiger Physiker mit dem „Glauben“ einiger Neurowissenschaftler verträgt, die Bewusstsein auf einen simplen physikalischen Prozess reduzieren wollen. Eines der beiden Glaubenspostulate muss falsch sein. Ich vermute sogar fast, beide..
Ein "Glaubenspostulat" ist die Feststellung, es gäbe aus neurologisch keinen Hinweis auf einen freien Willen, und auch keinen Grund, so ein metaphysisches Konstrukt in eine naturwissenschaftliche Theorie einzubauen, an sich keineswegs. Sie ist vielmehr mit dem methodologischen Atheismus in der Naturwissenschaft vergleichbar. Auch die Meßergebnisse, nach denen die bewußte Entscheidung, z. B. ein Auge zu schließen, erst erfolgt nachdem der Nervenimpuls zum Schließen des Auges längst gesendet wurde, ist kein Glaubenssatz, sondern ein Meßergebnis. Man kann (muß aber nicht) das so interpretieren, dass unser Bewußtsein so handelt, wie eine kleiner Junge, der auf einem Bahnsteig auf seiner Trillerpfeife pfeift und dann meint, der Zug wäre auf sein Signal hin abgefahren.
Soviel ich weiß - ich bin kein Physiker - ist die "Kopenhagener Deutung" ursprünglich reiner Pragmatismus: man verzichtete darauf, Aussagen über das Geschehen "hinter den Kulissen" der Meßergebnisse zu machen, sondern nahm die Meßergebnisse einfach als Tatsache hin. Eine ihrer grundliegenden Thesen ist, dass das, was wir als "materielle Realität" wahrnehmen, in Wirklichkeit eine Konstruktion nach Maßgabe unserer Wahrnehmungen ist. Ein souverän entscheidendes "Bewußtsein" scheint mir zum Kollaps der Wellenfunktion nicht erforderlich zu sein.
Aus der Quantenpsysik läßt sich, egal ob nach Kopenhagener Deutung oder nicht, eines ableiten: der beobachtete Vorgang hängt vom Art der Beobachtung ab: beim photoelektrischen Effekt zeigt sich Licht eindeutig als Teilchenstrom, am Beugungsgitter eindeutig als Welle.
Das heißt, für mich jedenfalls, wenn ich ein Gehirn auf die dort stattfindenden elektrischen und bio-chemischen Vorgänge untersuche, werd ich dort auch nichts als elektrische und bio-chemische Vorgänge finden. Ich würde den selben kategorischen Irrtum wie die Anhänger des "intelligent desing" unterliegen, wenn ich annehmen würde, dass da irgendwie ein "Gott" oder ein "Bewußtsein" in den Mechanismus der neuronalen Funktionen eingreifen würde.
Also: Aus neurologischer Sicht gibt es keinen freien Willen und Bewußtsein ist ein nachgeordnetes Phänomen.
Aber die Neurobiologie ist nicht die einzige Wissenschafr, die reproduzierbare Ergebnisse zur Arbeitsweise des menschlichen Gehirns liefert. Viele Ergebnisse der Experimentalpsychologie lassen sich ohne die Annahme einer bewußten Entscheidung nicht erklären (jedenfalls nach meinem Kenntnisstand). Man könnte das zwar durch die Annahme eines streng deterministischen Universums umgehen (alles, was geschieht, war schon beim Entstehen des Universums festgelegt, das jetzt so abläuft wie ein Film - einschließlich der Illusion, wir hätten einen freien Willen) - aber spätestens seit der Entdeckung der Heisenbergschen Unschärferelation wissen, wir, dass das Universum nicht streng deterministisch sein kann.
Was mich nicht im mindesten beunruhigt.
Also: ob wir einen freien Willen haben, hängt möglicherweise einzig von der Art der Beobachtung ab. Wenn sich erst einmal, mit über 100 Jahren Verspätung, die naturwissenschaftliche Moderne auch in der Neurologie und der Psychologie völlig durchsetzt, wahrscheinlich gar nicht mehr seltsam erscheinen wird.
MMarheinecke - Donnerstag, 22. März 2007
Wie ich schon einige Male betonte, bin ich in Sachen Philosophie weitgehend Autodidakt
Vom A"bschied vom mentalistischen Paradigma" habe ich auch gehört, allerdings hatte es auf mich die Wirkung, dass es mein Interesse an Philosophie dämfte: ich nahm zeitgenössische Philosophie fast nur noch als Sprachkritik - bzw. Symbolkritik wahr. Am schlimmsten übrigens bei den Existenzialisten, die ich für Weltverneiner hielt.
Neurowissenschaftler , wie Naturwissenschaftler überhaupt, pflegen die zeitgenössischen Philosophie zu ignorieren, einschließlich der Wissenschaftstheorie übrigens. Vielleicht vom einem bißchen Popper abgesehen, der ist ja ganz praktisch. Und Kuhn, über den und seine "New-Age"-Nachbeter man beim Pausenkaffee so schön lästern und sich als "nüchtern-vernüftiger" naturalistischer Naturwissenschaftler so herrlich überlegen fühlen kann.
Also, in der vordersten Linie der praktischen Forschung, der "Frontier" der Wissenschaft, findet man meiner Ansicht nach vor allem dualistisch denkende "Cartesianer" und materialistisch-monostische "Positivisten". Weil sie andere Denkrichtungen schlicht nicht kennen bzw. für irrelevant halten.