Selbstlosigkeit aus Konkurrenzdruck

Interessante Fundsache zu einem Thema, dass in den Gassen Kleinbloggersdorfs, in denen ich mich herumtreibe, durchaus relevant ist: die Frage nach segensreicher oder schädlicher Konkurrenz.
Auf wissenschaft.de: Steinzeitmenschen mit sozialer Ader.

Altruismus hat sich als Folge der Konkurrenz unter Menschengruppen entwickelt - zu dieser Ansicht sind einiger Forscher um Samuel Bowles vom Santa Fe Institute gekommen, die mittels noch lebender Jäger-Sammler-Kulturen den genetischen Variantenreichtum und die gesellschaftlichen Grundzüge der Menschen in der Steinzeit rekonstruierten.

Dabei gehen Bowles und sein Team von einem stark von der Soziobiologie geprägten Ansatz aus - was bringt den Genen einer Menschengruppe einen evolutionären Vorteil?
Gemeinschaften, in dem es innerhalb der Gruppe uneigenützig zugeht, haben einen evolutionären Vorteil gegenüber Gruppen, in denen jeder stets um den eigenen Vorteil bemüht ist.
Sie konnten sich als Gemeinschaft mit engen sozialen Bindungen besser gegen fremde, konkurrierende Gruppen durchsetzen und dadurch ihre Überlebenschancen steigern. Der sogenannte Altruismus konnte sich so als wichtiger Wesenszug des Menschen etablieren.
Bei ihren Untersuchungen zeigte sich, dass die genetische Vielfalt innerhalb einer Gruppe von Steinzeitmenschen war weitaus geringer war als Forscher bisher dachten. Dagegen waren die Unterschiede zwischen den Gruppen sehr viel größer.

Ganz im Sinne der Soziobiologie argumentiert Bowles, dass diese Konstellation vom evolutionären Standpunkt aus die Entwicklung von altruistischem Verhalten fördern würde.
Wer sich nämlich für die eigene Gruppe und deren Überleben selbstlos einsetzt, sichert damit auch den Bestand der eigenen Gene. Das Wohlergehen der Gruppe als Ganzes ist damit wichtiger als der persönliche Vorteil – ein Zusammenhang, aus dem schließlich Verhaltensweisen entstanden, wie etwa Kranke und Verletzte zu pflegen oder Nahrung zu teilen.

Ich persönlich halte diese Argumentation - wohlgemerkt: nicht die Forschungsergebnisse an sich! - für problematisch: die Nähe zu guppenegoistischen oder gar rassistischem Denken ist frappierend. Damit liessen sich sowohl "völkische" bzw. auf Neurechts, "ethnopluralistische" Blut & Boden-Ansätze, im Sinne des "blutsverwandten Stammes" und sogar nationalistisch-kollektives Denken, im Sinne "du bist nichts, dein Volk ist alles", biologistisch rechtfertigen.

Die Hypothese, dass Altruismus innerhalb einer Gruppe die Überlebenschancen steigert, ist naheliegend. Es ist auch plausibel - und u. A. durch die Verhaltensforschung belegt - dass unter zwei rivalisierenden Gruppe jene, in der es soziale" zugeht, bessere evolutionäre Chancen hat - und sei es, weil die Kinder- und Müttersterblichkeit geringer ist.
Hingegen ist es m. E. durchaus fragwürdig, ob der nachgewiesene größere Verwandschaftsgrad innerhalb einer Gruppe den Altruismus wirklich fördert. Es gibt ernstzunehmende Hinweise, dass z. B. das sexuelle Interesse zwischen engen Verwandten durch den jeweiligen Körpergeruch gedämpft wird - jemand, der so ähnlich riecht wie ich, den kann ich als Sexpartner normalerweise "nicht riechen". Ein simpler Mechanismus gegen zuviel Inzucht. Übrigens eine mögliche biologische Erklärung dafür, wieso viele Stammesgesellschaften relativ leicht "Fremde" adoptieren. (Und zwar im Wortsinne.)
Exogamie - die Heirat außerhalb der eigenen Gruppe - ist in nahezu allen Stammesgesellschaften üblich.

Hingegen ist es seit langem bekannt, dass sich Erwachsene besonders um jene Kinder kümmern, von denen sie annehmen, dass sie ihre Kinder sind. (Es waren solche Beobachtungen, die die Soziobiologie erst anstieß.) Wichtig scheint dabei aber die Annahme der Elternschaft zu sein - außer dem simplen, störanfälligen, unbewußt wirkenden und im Falle der Menschen äußerst "leistungsschwachen" Körpergeruchs-Mechanismus gibt es unter Steinzeitbedigungen keine Möglichkeit für einen Mann, seiner Vaterschaft sicher zu sein.
Ob sich also Menschen als "Sippe", "Clan" oder "Stamm" verstehen, und als solcher "Zusammenhalten", hängt meiner Ansicht nach nicht von ihrer genetischen, sondern ihrer gefühlten Verwandtschaft ab.
Njörd (Gast) - 10. Dez, 01:27

Biologische Tatsachen

Ich begreife das nicht, daß du aus ideologischen Gründen biologische Erkenntnisse beiseite schiebst! Wenn es dir nicht in den Kram paßt, daß "Stämme" von "Abstammung" kommt, Völker auch durch "Blutsbande", wie man das früher nannte, zusammengehalten werden und Verwandte instinktiv den Sex miteinander scheuen, aber ebenso instinktiv aneinander beschützen, wenn sie nicht total verkommen sind, dann gebe das zu. Du wirst schon merken, daß du in solchen Dingen nicht zwischen den Stühlen sitzen kannst!

Sven (Gast) - 11. Dez, 14:59

Du demonstrierst hier sehr schön, was in den unteren Kommentaren thematisciert wurde: "Naturbeobachtung" als "Gesetzmäßigkeit" dogmatisieren und damit eigene Ideologie und Denk-/ bzw. Handlungsmuster rechtfertigen, um diese nicht reflektieren zu müssen. Danke :-)
Rayson - 10. Dez, 13:20

Zitat
Ich persönlich halte diese Argumentation - wohlgemerkt: nicht die Forschungsergebnisse an sich! - für problematisch: die Nähe zu guppenegoistischen oder gar rassistischem Denken ist frappierend. Damit liessen sich sowohl "völkische" bzw. auf Neurechts, "ethnopluralistische" Blut & Boden-Ansätze, im Sinne des "blutsverwandten Stammes" und sogar nationalistisch-kollektives Denken, im Sinne "du bist nichts, dein Volk ist alles", biologistisch rechtfertigen."
Zitatende

Damit müssen wir leben. Da diese von dir zu Recht kritisierten ideologischen Ansätze ja gerade versuchen, aus biologischen Erkenntnissen Honig zu saugen, wird sich das nicht vermeiden lassen. Es wäre aber ein Fehler, deswegen weiter die biologischen Hintergründe heutigen menschlichen Verhaltens nicht mehr weiter zu untersuchen. Aber dagegen sprichst du dich, wenn ich das richtig verstanden habe, ja auch nicht aus.

Wir haben da aber ein sprach-logisches Problem, dass den Ideologen in die Hände spielt. Üblicherweise wird formuliert, dass die Menschen dies und jenes getan hätten, um ihre Gene weiterzugeben. Ganz so, als ob sie selbst oder eine höhere Macht allein dieses Ziel anstrebten. Aber weder kenne ich einen Menschen, noch wüsste ich eine solche Macht, die so handelten.

Die tatsächliche soziobiologische Logik ist eigentlich genau umgekehrt: Welche Verhaltensweisen wurden genetisch "belohnt"? Menschen handeln vielfältig, aus verschiedenen Motiven, aber es ist einem evolutorischen System zwangsläufig so, dass irgendwann die Verhaltensweisen "übrigbleiben" (ob vererbt oder institutionell weitergegeben), die für die Weitergabe der eigenen Gene sich als am günstigsten erwiesen haben - und zwar unter den jeweils herrschenden Umweltbedingungen.

Der Fehler, den die biologistischen Ideologen begehen, ist zugleich ein sachlicher und ein logischer. Ein sachlicher, weil die Umweltbedingungen (insbesondere die menschlich geschaffenen, gesellschaftlichen) von heute eben nicht mehr die von vor zigtausend Jahren sind. Ein logischer, weil es keinen Grund gibt, aus einer zwangsläufigen Entwicklung in der Vergangenheit ein allgemeingültiges Ziel abzuleiten, das dann auch noch zur Norm zu erheben wäre.

Im Gegenteil: Wir können und müssen uns schon immer wieder selbst entscheiden, wie wir uns verhalten, welchen ethischen Vorstellungen wir folgen wollen. Da erscheint es mir doch wesentlich sinnvoller, an das Zusammenleben der Menschen hier und heute zu denken und nicht an irgendwelche Gene. Wenn es keinen Gegensatz zwischen dem gäbe, wie die Menschen (geworden) sind, und dem, wie sie gerne sein mögen, wären Ethik, Moral und Religionen überflüssig und: evolutorisch vielleicht nie entstanden. Und da sind wir dann wahrscheinlich irgendwo schon wieder bei Nietzsche, aber immerhin einordenbar in eine gegebene Ideengeschichte...

MomoRules (Gast) - 10. Dez, 17:29

Die Pointe ist, glaube ich, eine noch ganz andere: Welche Naturvorstellung sich jeweils in wissenschaftliche Fragenstellungen einschleicht, verweist in der Regel auf die jeweilige Kultur und Gesellschaft mit ihrem spezifischen Institutionengefüge, wenn's über Basics wie die Schwerkraft hinaus geht. Nicht umsonst erforscht ja niemand die gelebte Sinnlichkeit von Steinzeitmenschen. Die jeweilige Form Naturalisierung ist immer Produkt einer Kultur und gesellschaftlicher Machtgefüge.
MMarheinecke - 10. Dez, 18:19

Rückprojektion

Es ist ja nicht so, dass "niemand" sich um die gelebte Sinnlichkeit von Steinzeitkulturen kümmern würde - aber "wissenschaftlicher Mainstream" ist es sicher nicht.
Auch - oder gerade - in den USA stehen Wissenschaftler unter einem starken Druck, dass ihre Forschung "nützliche" oder zumindest "gesellschaftlich relevante" Ergebnisse bringen soll. Steinzeitkunst, steinzeitliche Schamanismusrituale, erst recht steinzeitliche Sinnlichkeit - das sind "Orchideenthemen". Das Konkurrenzverhalten der Steinzeitstämme nebst einer biologischen (also "naturwissenschaftlich gesichterte") Erklärung für die Entstehung des Altruismus - das ist "gesellschaftlich relevant", daraus "können wir heute etwas lernen". Ich mit MomoRules einer Meinung, es ist unser gesellschaftliches Machtgefüge, das darüber entscheidet, was als gesellschaftlich relevant bzw. nützlich angesehen wird: wir leben in einer Konkurrenzgesellschaft und immer noch in Nationalstaaten. Unter Umständen können solche Forschungsergebnisse zu ideologische Rechtfertigung bestehender Verhältnisse herangezogen werden.
Wobei ich in diesem Falle noch eine bekannte Falle gerade der Vorgeschichtsforschung wittere: "Sie fanden, was sie kannten." Oder: die Erwartungshaltung der Forscher bestimmt nicht nur die Interpretation einer Entdeckung, sondern, ob eine Entdeckung überhaupt als (relevante, erforschenswerte) Entdeckung wahrgenommen wird. In einer Kultur, die selbstverständlich davon ausgehen würde, dass Menschen zueinander immer nett waren, würde ein biologischer Erklärungmechanismus für altruistisches Verhalten auf wenig Interesse stoßen - wer erforscht schon Binsenwahrheiten? Wir leben in einer Gesellschaft, in der Altruismus offensichtlich erklärungsbedürftig ist, weil der Egoismus als "Normalzustand" erscheint. Wobei die bevorzugten "Erklärungsmodelle" für Altruismus einerseits transzendenter Natur ("göttliche Offenbarung") sind - anderseits auch möglichst materialistische/mechanistische Erklärungen Populariät genießen - der Biologismus gehört in die zweite Ecke, der Ökonomismus wäre auch ein Beispiel.
Rayson - 12. Dez, 12:17

Ich finde, wir sollten vor lauter Suche nach einem "Unterbau" die Forschungsergebnisse selbst nicht vergessen. Entweder sie lassen sich halten oder nicht - und es spricht aus meiner Sicht Einiges dafür, dass sie stimmen.

Das mit der gesellschaftlichen Determinierung von Forschungsgegenstand und -ergebnis führt entweder zu einem Zirkelschluss, wenn wir uns selbst als Teil dieses Prozesses betrachten, oder der so Urteilende erhebt sich selbst über die Bedingungen, die für die anderen angeblich gelten sollen - da wäre dann die Frage, warum er das schafft, "die Gesellschaft" aber nicht.

Es ist ja auch nicht so, dass in einer Gesellschaft entweder nur Altruismus oder Egoismus, Konkurrenz oder Kooperation gibt, sondern das alles passiert gleichzeitig in den verschiedensten Ausprägungen. Als alter Ökonomist würde ich da zur Erklärung z.B. das Stichwort "Transaktionskosten" in die Runde werfen, das auch bei der Institutionenökonomik übrigens eine gewisse Rolle spielt.

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