"Naturvölker": mehr Morde als in der Bronx

Entgegen dem Klischee vom "Edlen Wilden" sind in Jäger-Sammler-Kulturen Gewalttaten mit tödlichem Ausgang häufiger als in heutigen US-Großstädten.
Das berichtet bild der wissenschaft in ihrer aktuellen Ausgabe. (Thorwald Ewe: "Todschlag im Paradies, bild der wissenschaft 4/2006, S.34.)
Selbst etliche Enthnologen halten bis heute daran fest, dass Gewalttaten in Jäger-Sammler-Kulturen äußerst selten seien. Jürg Helbig, Professor für Ethnologie an der Uni Zürich, wertete die Berichte von Ethnologen, Forschungsreisenden und Missionaren aus, die längere Zeit bei Wildbeutern gelebt hatten. Helbig legte Listen über die Zahl und die näheren Umstände von Gewalttaten an und rechnete die gewonnenen Daten auf jewails 100.000 Personen um. So wurden die Angaben statisch vergleichbar. Selbst die friedfertigste der untersuchten Gemeinschaften, die BaMbuti, kamen auf statisch 40 Tötungsdelikten auf 100.000 Menschen, deutlich mehr als die übel beleumundeten US-Großstädte.

(Allerdings ist die Statistik wegen der kleinen absoluten Fallzahlen in einigen Fällen mit Vorsicht zu genießen: die erschreckenden hochgerechneten 419 Totschläge pro Jahr bei den Copper-Innuit im Beobachtungzeitraum 1900-1920 beziehen sich auf eine Gemeinschaft von einigen hundert Menschen. Real kam in den meisten Jahren niemand um.)

Die Ursachen waren meistens eskalierende Konflikte um den Lebensunterhalt. Normalerweise gehen die normadischen Wildbeuter Konflikten durch Ausweichen aus dem Wege. In bestimmten Situation, etwa bei der winterlichen Robbenjagd der Inuit, ist es ihnen nicht möglich, einander auszuweichen. Streitigkeiten können bis zu Mord und Totschlag eskalieren.
Da wird den Wildbeutern ihre egalitäre Gesellschaftsform zum Verhängnis", erklärt der Züricher Forscher. "Es gibt keinen Häuptling oder eine andere Autoritätsperson, die solche Konflikte unblutig entschärft."
Ganz falsch ist das Klischee von den "friedlichen Naturvölkern" nicht: zwischen Jäger-Sammler-Gruppen finden keine Kriege statt. Das ist erst bei sesshaften Stammesgesellschaften der Fall: Für sie wäre es zu verlustreich, durch Wegzug auf Ressourcen zu verzichten. Sie verteidigen sich. Der eigentliche "Brennstoff" für Stammeskriege ist allerdings die kollektive Rache. Bei den weniger organisierten Wildbeutern ist Rache eine persönliche Angelegenheit, die weder die Sippe noch den Stamm zur Blutrache verpflichtet.

Nicht von ungefähr geht es im preisgekrönten Film Atanarjuat um mörderische Auseinandersetzungen innerhalb einer Inuit-Gemeinschaft vor der Ankunft der "Weißen", und nicht von ungefähr wurde dieser realistische Film von Inuit produziert.

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