Aus der Wunderwelt der gut-doofen Filme: Thor

In meine kleinen und allseits beliebten Reihe über "gut-doofe" Filme ist "Thor" eine zweifache Novität.
Erst einmal sind die meisten Streifen, die ich in dieser Rubrik behandele, gut bis sehr gut abgehangen. Das ist das erste Mal, dass ich mir einem Film vorknöpfe, der gerade erst in die Kinos gekommen ist.
Der zweite Grund: diesen Film nahm ich mir schon einmal vor, und zwar als Ausblick zur Silvester 2008 über einen Film, der im Juni 2010 herauskommen sollte. Dass es bis Ende April 2011 dauern sollte, hatte ich nicht erwartet. Eher schon, dass er, wie viele andere Projekte, erst gar nicht das Licht der Leinwand erblickt hätte.

Ich habe mir den Film gleich nach der Premiere angesehen, und muss sagen, dass er ein richtig gut-doofer Film ist. Er ist allerdings, anders als ich befürchtete, inhaltlich kein grottendämlicher Streifen geworden, aber auch längst kein Film, in dem Kenneth Branag seine Regiekünste überzeugend unter Beweis stellen kann. Gutes Handwerk, mehr nicht - was für Popcorn-Kino schon ziemlich viel ist.

Da ich niemandem, der den Film noch nicht gesehen hat, den Spaß verderben will, nur soviel zur Handlung:
Thor greift mit ein paar Asen-Freunden eigenmächtig und rücksichtslos die Frostriesen in Jötunheim an. Damit verletzt er den heiklen Frieden, den sein Vater Odin mit den Frostriesen geschlossen hatte. Zur Strafe für seine unüberlegte Tat und seine Arroganz wird Thor daraufhin von Odin auf die Erde verbannt. Die Rückkehr in seine Heimat ist ihm erst gestattet, wenn er gelernt hat, seine Überheblichkeit zu zügeln. In der Nähe eines kleine Kaffs in New Mexico schlägt Thor buchstäblich auf. Drei Wissenschaftler (zwei Physiker und eine Politologin, die als Assistentin in das Team aufgenommen wurde, weil sich sonst niemand fand), die ein rätselhaftes Wetter-Phänomen (?) untersuchen, nehmen sich des geheimnisvollen jungen Mannes an, der ihnen buchstäblich vor den Geländewagen fällt (der ist übrigens ein österreichisches Fabrikat, ein "Pinzgauer" - im Südwesten der USA ein eher exotisch zu nennendes Fahrzeug). Thors Hammer, Mjölnir, steckt buchstäblich mitten in der Wüste fest, niemand kann ihn nur um einen Millimeter anheben. Auch eine undurchsichtige, offensichtlich im Regierungsauftrag handelnde und mit sehr weit reichenden Befugnisse ausgestattete Organisation namens S.H.I.E.L.D. nimmt sich des Falles bzw. des Hammers an und errichtet um Mjölnir mobile Labors und eine militärische Absperrung. Thor schlägt sich (buchstäblich!) zu seinem Hammer durch, kann ihn aber nicht anheben: Noch ist er verbannt.
Ich verrate für mitdenkende Zeitgenossen kein Geheimnis, wenn ich schreibe, dass Thor seine Chance zur Bewährung bekommt, dass die schöne sterbliche Wissenschaftlerin Jane Foster (Natalie Portman) sich in den gut gebauten und mit bengelhaftem Charme ausgestatetten Donnergott verliebt, und dass hinter all dem der intrigante Loki (Gott für schmutzige Tricks) steckt. Da der Film mit einem (buchstäblichen) Cliffhanger endet, und nach dem Abspann (also nicht zu früh aufstehen!) eine kurze, sehr aufschlussreiche Szene folgt, ist unbedingt mit einer Fortsetzung zu rechnen.
THOR - Filmplakat
Filmplakat. Das erkennbare "X" halte ich nicht für einen Zufall ...

Der Film ist unterhaltsam und hat die üblichen Zutaten der Verfilmung eines Marvel-Comics: Sehr viel Action, viel Selbstironie, Bezüge zu anderen Teilen des "Marvel-Universums" (S.H.I.E.L.D., Iron Man, Hawkeye ... ) und natürlich der obligatorische Gastauftritt des ehemaligen Marvel-Managers und Texters Stan Lee. (Außerdem hat Autor Michael Straczynski einen Kurzauftritt.) Nur für Kenner der nordischen Mythologie oder der Marvel-Comics erkennbar haben drei der Kampfgefährten Thors kein Vorbild in der eddischen Dichtung: die "Warriors Three" Volstagg (Ray Stevenson), Fandral (Joshua Dallas) und Hogun (Tadanobu Asano) sind reine Marvel-Superhelden.

Theoretisch hätte "Thor" auch ein richtig guter Film werden können. Immerhin schrieben zwei der anerkanntermaßen besten Filmautoren für Science Fiction und Fantasy, Michael Straczynski ("Babylon 5") und Mark Protosevich ("I Am Legend") das Skript, Regie führte Kenneth Branagh.
Die Besetzung spart nicht mit namhaften Schauspielern: Natalie Portman, Tom Hiddleston, Anthony Hopkins und Stellan Skarsgård. Die Titelrolle ist mit Chris Hemsworth besetzt, einem jungen australischen Schauspieler, der mir bisher nur als George Kirk in Star Trek bekannt war. Eine gute Wahl, nicht nur wegen Hemsworths Schwergewichts-Boxer-Figur und seinem hübschen Gesicht - er zeigt als Thor mehr unterschiedliche Gesichtsausdrücke als Arnold Schwarzenegger in seiner ganzen Filmkarriere und empfiehlt sich auch fürs "romantische Helden"-Fach. Den Thor spielt er mit sichtbarem Vergnügen, vielleicht, weil er die "Wikinger-Klischees" schön dick auftragen durfte. (Wer da Overacting moniert, ist definitiv im falschen Film! Wie z. B. der Kritiker der FR, der zwar schreibt, dass es eine Comic-Verfilmung ist, aber es offensichtlich nicht ganz wahrnimmt:
Obwohl die drei Drehbuchautoren mit den nordischen Göttersagen nicht viel anzufangen wissen, haben sie die Bedeutung des Begriffs „Ragnarök“ verinnerlicht und künden den drohenden Untergang des Götterreichs Asgard mit angemessenem Kampfgetöse an.
Meines Erachtens wäre es grundfalsch gewesen, wenn sich der Film eng an die nordischen Göttersagen gehalten hätte. Zur Verdeutlichung, aus einer anderen Mythologie: Samson funktioniert in Sandalenfilmen auch nur deshalb als "Superheld", weil er darin mit dem biblischen Samson kaum etwas gemeinsam hat.)
Dass ich die Besetzung des Wächters der Regenbogenbrücke Bifröst, Heimdall mit dem schwarzen Schauspieler Idris Elba für genial halte, habe ich andernorts schon erwähnt. Zwar ist die Rolle keine Herausforderung an Elbas Schauspielkünste, aber - es passt!
Gut besetzt ist die Rolle des schwedischen Physikers Dr. Erik Selvig mir dem schwedischen Schauspieler Stellan Skarsgård - ihm kauft man sowohl den Physiker, wie den Kenner der nordischer Mythologie, wie auch den väterlichen Freund Janes ab.
Für gelungen halte ich die Umsetzung der Marvel-Bildsprache ins Kino, oft mit seitlich geneigter Kamera oder aus Ober- oder Untersicht, mit Schlagschatten und harten Kontrasten, während die gerade bei 3-D-Filmen leider Mode gewordene Wackelkamera erfreulich sparsam eingesetzt wird. (Übrigens: Wer kein 3-D-fähiges Kino in der Nähe hat, versäumt meines Erachtens nicht viel. Vielleicht wäre der Film in "2-D" sogar optisch besser geworden, da er ja die Bildsprache eines "flachen" Mediums aufgreift.)
Alles in allem gelungenes, sehenswertes Popcorn-Kino. Es reicht aber nicht ganz zu einem "nicht doofen" Film, was bei Comic-Verfilmungen zwar schwierig, aber, wie z. B. "Batman Beginns" zeigt, möglich ist.
Die CGI-Schauwerte sind eher mittelmäßig und die Wikinger- und Schlachtszenen am Anfang wirken für den "Herr der Ringe"-Verwöhnten Fantasy-Film-Freund sogar ziemlich sparsam. Das überrascht, denn andere Szenen sehen teuer aus und waren wahrscheinlich auch teuer.
Das größte Problem des Films ist meiner Ansicht nach die Vorlage. Deren Hauptproblem: Thor ist als Superheld viel zu stark für jeden menschlich-sterblichen Gegner, ein Problem, das er mit Superman teilt. Helden ohne Superkräfte, aber einer ungewöhnlichen Persönlichkeit, wie Batman, mit beschränkten Superfähigkeiten, wie Daredevil, oder mit einer Durchschnittspersönlichkeit und reichlich Alltagsproblemen, wie Spiderman, wirken "cooler" und (soweit das bei Superhelden überhaupt möglich ist) glaubwürdiger.
Straczynski und Protosevich haben einen Dreh gefunden haben, mit Thors allzu gewaltigen Superkräften umzugehen - die meiste Zeit hat er sie nicht, wobei er nach normal-menschlichen Maßstäben immer noch sehr stark, kampfkräftig und trinkfest ist.
Eng an die Comic-Vorlage angelehnt ist das in Komplementärfarben (Goldgelb und Blau) gezeichnete Asgard. Einerseits hat die die CGI-Götterburg mit ihren wie Orgelpfeifen aufragenden Türmen und dem glitzernden Sternenhimmel und der imposanten Regenbogenbrücke ihre Schauwerte. Andererseits funktioniert sie als skizzenhafte Comic-Zeichnung erheblich besser als in aller metallisch glänzender Pracht. Anders gesagt: sie wirkt kalt und protzig , und so, als wäre sie erst gestern fertiggestellt worden und nicht schon Jahrzehntausende alt. Die Star Wars-Filme zeigen - bis auf "Episode i" - wie man so etwas besser macht.
Aber alle Drehbuch-Tricks und Regiekünste können nicht verbergen, dass der ganze Film fast wie der überlange Vorspann des schon lange geplanten Filmes um das Superhelden-Team "The Avangers" wirkt. Da wird zu viel angedeutet, zu viele lose Ende bleiben; das nach einer Fortsetzung schreiende Ende habe ich schon erwähnt.

Eines finde ich aber an dem Film wirklich erfrischend: Thor wirkt zwar auf der Erde, im Umfeld einer amerikanischen Kleinstadt, wie ein Rocker ohne Motorrad aber mit einem (nun ja) ziemlichen Hammer. Ein arroganter Kraftprotz, der erst mal kräftig auf die Schnauze fallen muss, bis er abrafft, was Sache ist.
Aber er ist endlich mal wieder ein Held ohne massiven Psycho-Knacks. Der Versuchung, einer etwas simpel gestrickten Comic-Figur "Tiefe" zu verleihen (weil das doch bei Batman und den X-Men so gut funktioniert hätte), widerstanden die Autoren glücklicherweise. Dafür ist ihr Loki angemessen zwielichtig und zwiespältig, und komplexer als ein gewöhnlicher Superheldenfilm-Bösewicht.

Ebenfalls erfrischend ist, obwohl der Film angemessenen Sicherheitsabstand von der Mythologie hält, der Umgang mit der nordischen Götterwelt. Ich sehe jedenfalls starke Hinweise darauf, dass die Autoren sich mit den Göttersagen, anders als manche Kritiker meinen, sehr wohl auskennen - wahrscheinlich besser als seinerzeit Stan Lee, als er auf die Idee kam, aus Thor einen Superhelden zu machen. Dass Loki anders als in der Mythologie, Thors Stiefbruder und nicht Odins Blutsbruder ist, wurde im Comic etabliert - aber ein wichtiger Punkt im Film ist, dass Loki, wie sein mythologisches Vorbild, von Geburt ein Riese ist, Laufeyas Sohn, und ein abgründiger, unberechenbarer Trickster, der zu jeder Schandtat, aber auch, wenn es einmal passt, zu jeder Heldentat fähig ist.
Bis auf Sif - in der Mythologie Thors Ehefrau und überdies mit wie echtes Haar nachwachsendem goldenem Haar ausgestattet - und dem Umstand, dass Odin ein Auge Mimir zum Pfand gab, um aus der Quelle der Weisheit trinken zu können - entsprechen die Götter ziemlich genau ihren mythologischen Gegenstücken. Natürlich ist das ein Kompromiss, wie Thors kurzer Vollbart ein Mittelding zwischen dem glatt rasierten Comic-Thor und den rauschebärtigen Donnergott der Mythologie ist.
Ich halte es nicht für einen Zufall, sondern eine Anspielung, dass die Assistentin Darcy Lewis "Mjölnir" ausgerechnet als "Mimir" missversteht.
Ich halte es auch für einen absichtlichen Gag, dass Thor, als er den bis zur Bewusstlosigkeit betrunkenen Dr. Erik Selvig in Jane Fosters Wohnwagen trägt, lobt, dass seine Ahnen stolz auf ihn wären. Thors Lob ergibt nur dann wirklich Sinn, wenn man weiß, was ein Sumbel ist, und das bei diesem rituellen Umtrunk in der zweiten Runde die verstorbenen Ahnen gepriesen werden ...
Ansgar (Gast) - 4. Mai, 18:12

Japp.

Hiho Martin,

gutes Review - ich teile Deine Ansichten in jedem Punkt. Es macht wirklich Spaß den Film zu sehen und er ist für eine Marvel-Verfilmung wirklich gut gelungen. Die kleinen Kritikpunkte hast Du ja schon angeführt.

Anzumerken wäre noch, dass zumindest für mich Asgard ein wenig zu sehr "technologisiert" wurde. Aber ich vermute mal, dass das zum einen im Marvel-Cosmos begründet ist und zum anderen entspricht das wohl auch dem Zeitgeist. Die Funktionsweise / Darstellung von Bifröst war mir zu technisch und die Gebäude in Asgard hatten waren zu metallisch und industriell. Aber das liegt sicherlich auch an der Darstellung der Asen als "Außerirdische".

Ich hab Thor in 3D gesehen, weil ich keine andere Wahl hatte. An sich bin ich kein ausgesprochener 3D-Fan und hätte ihn mir lieber in 2D angeschaut. Allerings ist mir aufgefallen, dass z.B. im Vergleich zu Avatar schon bei deutlich mehr Szenen tatsächlich auch mit 3D-Effekten gearbeitet wurde.

LG aus Aachen
Ansgar

Serdar (Gast) - 16. Mai, 17:46

Ich hätte da noch einen Kritikpunkt. Es kam mir persönlich so vor, als hätte der Film viel länger sein können. Ansonsten haste eine super Review geschrieben.

Was hälst du eigentlich persönlich davon, wie Thor im Comic und Film so dargestellt wird? So als Gläubiger :)

MMarheinecke - 16. Mai, 18:23

Blasphemie!1eins-elf!11!111!! (Nicht.)

Nein, von den mir bekannten Ásatrúar wüsste ich keinen, der darin Blasphemie, Verhöhnung ihres Glaubens, Respektlosigkeit oder etwa in dieser Preislage sehen würde - auch wenn nicht alle den Comic-Thor oder den Film-Thor mögen.
Ich weiß aber, dass Nazitrus und andere "germanisch-völkisch" gestrickte Rassenquassler den Film "Thor" verabscheuen, und zwar aus immer wieder den selben zwei Gründen:
1. Heimdall wird von einem Schwarzen dargestellt, und
2. amerikanische Superheldencomics, amerikanisches Popcornkino und erst Recht amerikanisches Popcornkino nach Superheldencomics seien schon mal aus Prinzip "undeutsch" und "kulturzersetzend".

Den Comic-Thor mag ich nicht sonderlich, aus den gleichen Gründen, aus den ich Superman nicht mag. Die Darstellung des Film-Thors finde ich, im Rahmen eines unterhaltsamen Action-Spektakels, gelungen. Mit meinem persönlichen Verhältnis zum "Donnerer" hat das nichts zu tun.

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ryuus Hort - 16. Jan, 10:03

Meine Filme 2011

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