Donnerstag, 12. Mai 2011

Wovor haben die dänischen Rechtspopulisten Angst?

Zumindest im Norden Deutschlands sorgte diese Nachricht für Verwunderung, in der deutsch-dänischen Grenzregion sogar für Entsetzen: Dänemark will Grenzen wieder kontrollieren (FAZ.net). Worauf die dänische Regierung mit Beschwichtigung reagiert: Dänemark spricht von "viel Lärm um nichts" (Stern.de).

In das freundliche Dänen-Bild vieler Deutscher (auch meinem - ich bin bestimmt nicht frei von starken positiven Vorurteile gegenüber dem nördlichen Nachbarland) will so eine harte Maßnahme nicht so recht passen.
Verglichen mit Deutschland geht die dänische Meinungsfreiheit ziemlich weit - Verbote "verfassungsfeindlicher Symbole" oder "Volksverhetzung" als Offizialdelikt gibt es dort nicht. Gerade Touristen fällt die "dänische Lockerheit" auf, "die Dänen" wirken gelassen, tolerant, pragmatisch und "hyggelig" (gemütlich, freundlich).
Es gibt auch kleine, aber entscheidende Mentalitätsunterschiede, die dazu führen, dass Deutsche die "Nordländer" in einem vielleicht manchmal zu freundlichem Licht sehen. Meine schwedischen Bekannten erwähnen gerne, dass es bei ihnen, anders als in Deutschland, nicht üblich ist, sich bei Streitereien mit hochrotem Kopf anzupöbeln. Das mag zum Teil ein schwedisches Vorurteil sein, und ich erlebe Dänen in der Regel als weniger reserviert und distanziert als die Schweden, aber ein Körnchen Wahrheit steckt schon darin: die "nordische" Streitkultur ist zurückhaltender, was nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass sehr wohl Streitereien gibt.
Außerdem ist die "Stichprobe" der Dänen, die einem deutschen Touristen über den Weg laufen, verzerrt: in den Touristengegenden an der Küste ist man verständlicherweise über möglichst viele deutsche Urlauber froh. Einige Kilometer landein ist die Interessenlage schon ganz anders: von "den Deutschen" hat man dort nichts, außer Ärger darüber, dass die Touristen aus dem Süden die Straßen überlasten, sich an Stränden und andere Ausflugszielen unerträglich breit machen, keine Rücksicht nähmen usw. usw. . In einigen Gegenden Jütlands sind außerdem die "billigen Arbeitskräfte" aus dem (im Vergleich) Niedriglohnland Deutschland gefürchtet.
"Die Deutschen" sind aber bestimmt nicht die Ausländer, die in Dänemark am meisten unter Vorurteilen und Vorbehalten zu leiden haben. Wie bei uns trifft es "fremdartig" aussehende Menschen und Einwanderer und Besucher aus islamisch geprägten Kulturkreisen am härtesten. Meines Erachtens gibt es in Dänemark zwar nicht mehr, aber auch nicht weniger, "Fremdenfeindlichkeit", Rassismus und Minderheitenhass als in Deutschland.

Was bringt "die Dänen" zu so einer Entscheidung? Der dänische Finanzminister Claus Hjort Frederiksen sagt, Ziel der neuen Kontrollen sei es, "die zunehmende grenzüberschreitende Kriminalität" zu bekämpfen. Justizminister Lars Barfoed sagte, es ginge vor allem um Einreisende aus Osteuropa. Es sind Begründungen, die in deutschen Ohren sattsam bekannt klingen.

Die Wiedereinführung der Grenzkontrollen ist Teil einer politischen Vereinbarung (man kann auch sagen: eines hochpolitischen Kuhhandels) zwischen der aus Venstre (Liberalen) und Konservativen gebildeten Minderheitsregierung und der als "rechtpopulistisch" geltenden Dansk Folkeparti. Die DF hatte ihre Zustimmung zu einer Rentenreform von den Grenzkontrollen abhängig gemacht. In der Vereinbarung wird eine permanente Präsenz von Beamten an der Grenze zu Deutschland festgelegt. Immerhin ist die DF drittstärkste Partei im Folketing, dem dänischen Parlament.

"Rechtspopulistisch" ist ein schillernder und unscharfer Begriff, In Deutschland würde sich eine Partei wie die DF vielleicht "Nationalkonservativ" nennen. Mit aller Vorsicht, die bei solchen Vergleichen angebracht ist, erinnert mich die "Dansk Folkeparti" stark an den rechten Flügel der CSU oder den "harten schwarzen Kern" der hessischen CDU, was die betonte Nähe zum Christentum, allerdings auch das im Vergleich zu "Neokonservativen" und "Neoliberalen" sozialere Profil und, eher äußerlich, die Vorliebe für Tradition und für das Folkloristische angeht. Eher an die "Pro"-Parteien erinnert hingegen die scharfe Islamfeindlichkeit, außerdem ist die DF europafeindlich.
Die Dansk Folkeparti tritt, wie für "rechte" Parteien üblich, für strenge Ausländergesetze ein, und wegen ihrer Funktion als unentbehrliche und manchmal betont wankelmütige Mehrheitsbeschafferin erreichte sie es, dass die Ausländergesetzgebung in Dänemark massiv verschärft wurde.

Die DF machte 2005 den "drohenden" EU-Beitritt der Türkei erfolgreich zum Wahlkampfthema und schlug dabei schrill anti-islamische Töne an. Vor der Folketingswahl 2007 wurden die nationalistischen und anti-islamischen Züge der DF noch deutlicher,
sie setzte sich für offen diskriminierende Gesetze und Regelungen ein: Unter anderem forderte sie, dass das Tragen von Kopftüchern im öffentlichen Raum verboten werden sollte (ungeachtet der Tatsachen, dass Kopftücher in manchen Gegenden Dänemarks zur traditionellen Tracht gehören, und die DF sich sonst gern mit dem Hochhalten von Tradition und Folklore schmückt). Gebetsräume für muslimische Mitarbeiter in dänischen Firmen und Halal-Fleisch in Kindergärten sollten, ginge es nach den Wahlkampfaussagen der DF, auch abgeschafft bzw. gesetzlich verboten werden.
Offensichtlich kamen die schrillen Töne beim Wähler an, und ebenso offensichtlich ist, dass sich die Danske Folkeparti im beginnenden Wahlkampf für die Folketingwahlen im Herbst zu profilieren versucht.

Die DF selbst sieht sich als "Partei des Zentrums", was eine Parallele mit der Selbsteinschätzung der CSU als "Partei der Mitte" ist. (Auch die "Pro"-Parteien und die österreichische FPÖ sehen sich, wenn man Parteifunktionäre fragt, in der politischen Mitte.) Was soziologisch gesehen gar nicht so falsch ist: solche Partei finden ihre Anhänger nicht unter gesellschaftlichen Außenseitern oder unter "abgehängten Modernisierungsverlierern", wie es manchmal heißt, sondern unter sich etabliert fühlenden Menschen, von der unteren Mittelschicht an aufwärts.

Offensichtlich ist, dass die Danske Folkeparti weit verbreitete Ängste bedient und fördert. Die meisten dieser Ängste gibt es auch bei uns, und es gab sogar einmal eine deutsche Partei, die (Hamburger) PRO alias "Schill-Partei, die sich neben der CSU stark am Vorbild der Dansk Folkeparti aus dem nicht allzu weit entfernten Dänemark orientierte.
Der DF in die Hände spielt, dass es seit Jahren ziemlich widerliche Pressekampagnen gegen die "rückständigen" Moslems gibt. (Wobei die weltweit Wellen schlagende "Mohammed-Karrikaturen"-Aktion der Jyllands-Posten bei weitem nicht die schlimmste Aktion war. Ich gestehe ihr sogar zu, "gut gemeint" (oft das Gegenteil von "gut gemacht") gewesen zu sein.)
Ähnliche Kampagnen gab es aber auch in Deutschland, und zwar nicht nur in der BILD, sondern auch z. B. im "Spiegel".

Die Wähler der DF sorgen sich, wie sehr viele Dänen (und auch sehr viele Deutsche) um die Zukunft ihres Sozialstaates. Wie auch in Deutschland führt das zur (von Medien und Politikern bis weit in die "Mitte" geförderten) Angst vor "ungezügelter Zuwanderung in die Sozialsysteme und die Kriminalität".
Eine weitere Angst, die es auch in Deutschland gibt, ist die Angst vor dem "europäischen Superstaat" und der Verlust der nationalen Souveränität - die angesichts erheblicher Demokratie-Defizite auf EU-Ebene meiner Ansicht teilweise nachvollziehbar sind.
Zuwanderern wird oft nicht zugetraut, dass sie das dänische Wertesytem übernehmen und sich den sozialen Normen anpassen könnten. Dieses kulturelle Vorurteil gilt manchmal schon für Deutsche, mitunter sogar für Schweden. Erst recht gilt es für Einwanderer aus außereuropäischen Ländern, vor allem Moslems.

Es gibt aber auch Unterschiede zu deutschen "Rechtpopulisten". Die Hochburgen der Danske Folkeparti liegen im ländlichen Raum, vor allem im ländlichen Jütland. Hier spielt die bereits erwähnte "Jyllands-Posten" eine große Rolle: Das Blatt stellt sich vor allem gegen die traditionell tolerante Haltung "Kopenhagens" in gesellschaftspolitischen Fragen.
Aus der Sicht mancher Leserbrief- und Forenschreiber in der Online-Kommunity der JP ist die dänische Hauptstadt eine Brutstätte der Einwanderkriminalität - und hoffnungslos überfremdet.
Bei der Debatte um die Grenzkontrollen wurde aber auch deutlich, dass es eine noch viel schlimmer Stadt gibt, bedrohlich nahe an der dänischen Südgrenze, nur gut zwei Autostunden von der Idylle Jütlands entfernt, in der es nicht nur Millionen rücksichtsloser Deutscher, sondern auch ganze Stadtteile, mit mehr Einwohnern als die größten Städte Jütlands, voller Türken, Araber und sonstiger Musels gibt. Eine Hochburg der Kriminalität (unter anderem daran erkennbar, dass so viele deutsche Krimis in Hamburg spielen), der losen Sitten, des Drogenhandels und des ungehemmten Linksradikalismus!
(Bevor man sich über die "dänischen Provinzler" abfällig amüsiert: solche Vorurteile gegen Hamburg habe ich auch schon von Deutschen gehört.)
Die Probleme mit deutschen Arbeitskräften, die für eine geringere Bezahlung als dänische Kollegen arbeiten, habe ich bereits erwähnt. Das ist in etwa vergleichbar mit der Angst in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen vor den "polnischen Billigarbeitern". Da Dänemark ein kleines Land ist, gibt es diese Angst nicht nur im Grenzgebiet.

Trotz einiger Besonderheiten - zu denen auch die wichtige Rolle, die Fragen der nationalen kulturellen Identität in Dänemark im Vergleich zu Deutschland einnehmen, gehört - sind "dänische Verhältnisse" auch in anderen Staaten Europas gar nicht so unwahrscheinlich. Man stelle sich nur einmal vor, im deutschen Bundestag säße eine rechtspopulistische Partei, vielleicht vom Schlage der glücklicherweise verblichenen "Schill-Partei", und die Regierung Merkel wäre darauf angewiesen, sich von den "Rechten" tolerieren zu lassen.
Ich gehe jeder Wette ein, dass wir kurz über lang Ausländergesetze vom "dänischen Zuschnitt", wenn nicht noch schärfer, hätten - und diese Gesetze bei einer soliden Mehrheit der Deutschen populär sein könnten.
Dass das bei österreichischen Regierungen mit FPÖ-Beteiligung nicht in diesem Ausmaß geschah, liegt daran, dass eine Partei, die eine Minderheitsregierung toleriert, ein größeres Erpressungspotenzial hat als eine Koalitionspartei. Sie wird zwar zwar quantitativ weniger von ihren politischen Zielen durchbringen als eine koalierende Partei, aber die wenigen Gesetze, die eine erpresserisch eingestellte Mehrheitsbeschafferpartei durchbringt, können dicke Kröten sein, die die Regierungspartei nur äußerst ungern schluckt.

Die die geplante Wiedereinführung der dänischen Grenzkontrollen wird in einer gemeinsamen Erklärung der beiden Minderheitenparteien im deutsch-dänischen Grenzland, des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) und der Schleswigsche Partei (SP), scharf kritisiert: SP und SSW: Grenzkontrollen sind »unverantwortlich« (Nordschleswiger.dk)
»Der Alltag der Menschen im Grenzland wird erschwert, um einer politisch geschürten Angst vor Kriminellen gerecht zu werden. Das ist unverantwortlich«, heißt es in der gemeinsamen Erklärung der SP-Vorsitzenden Marit Jessen Rüdiger und des SSW-Vorsitzenden Flemming Meyer.
»Sicherheitsmäßig gibt es keine vernünftige Begründung für eine derartige Ausweitung der Grenzkontrollen«, befinden die Grenzland-Politiker.
Weiter heißt es: »Der Grenzraum wird bereits heute durch eine Schleierfahndung von Polizei- und Zollbehörden engmaschig und weiträumig überwacht. Deshalb ist es absolut überflüssig, dass die dänische Regierung künftig wieder feste Zollkontrollen an den Grenzübergängen einrichten will. Der einzige Grund für diese Überwachung ist, dass die Regierung die Stimmen der DF braucht, um ihr Haushaltskonsolidierungspaket zu beschließen.«
Dem ist wenig hinzuzufügen.

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