Samstag, 31. Mai 2008

"Verteidiger des Glaubens" gegen Pappdrachen

Ein Pappdrache ist ein Geschöpf, das die Eigenschaften eines
Papiertigers und eines Strohmannes in sich vereint.
Oder anders ausgedrückt: eine selbst erfundene, dem Gegner zugeschriebene, Bedrohung, der man "mutig" entgegentritt.

Ein Pappdrache gegen den hochrangige Kirchenvertreter wie der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper anrennen wie der heilige Georg gegen den Drachen, wird "agressiver missionarischer Atheismus" genannt.
Was diese Kirchenvertreter im heiligen Zorn erbeben lässt, ist „Die Provokation der neuen Atheisten“, wie sie Philosoph Prof. Dr. Holger Zaborowski bei einem Vortrag an der Katholische Akademie des Bistums Trier nannte. (Das Bistum Trier trägt zufälliger- und passenderweise das Georgskreuz im Wappen.). Gemeint ist die Wiederkehr der Religionskritik, beziehungsweise die für eine bestimmte Sorte Christen offensichtlich als bedrohlich wahrgenommen religionskritischen Bestseller von Richard Dawkins, Edward O. Wilson oder Christopher Hitchens. Zaborowski meint, dass das Niveau der "neuen Atheisten" (zu denen er auch den Deutschen Michael Schmidt-Salomon zählt) oft wesentlich niedriger als bei den Klassikern wie Marx oder Feuerbach sei. Es gäbe eigentlich keine neuen Argumente, und das Weltbild des neuen Atheismus sei sehr einfach.
In dieser Einschätzung kann ich Professor Zabrowski nur zustimmen. Der Hauptgegner der ach so bösen "neuen Atheisten" ist der christliche Fundamentalismus, eine Glaubensauffassung, die in Deutschland eher wenige Anhänger hat. Im übrigen ist die Kritik etwa des "neuen Atheisten" Dawkins trotz einiger polemischer Spitzen vergleichsweise zahm. Wenn ich Dawkins "Gotteskomplex" und Karlheinz Deschners "Kriminalgeschichte des Christentums" vergleiche, dann habe ich den Eindruck, dass schon schon ein Kapitel im "Deschner" mehr scharfe und treffende Kritik am "christlichen Weltbildes" enthält als der ganze "Dawkins".
Ich schließe daraus: eine reale Bedrohung für die großen Kirchen und ihr Weltbild geht von den "neuen Atheisten" eher nicht aus.

Trotzdem blasen Kirchenfürsten wie Bischof Gerhard Ludwig zur Attacke gegen den atheistischen (Papp-)Drachen:
'Wo Gott geleugnet wird, fällt Menschenwürde'
, wobei er seine rhetorische Lanzenspitze nicht nur gegen Dawkins richtet, sondern auch gegen ein Bilderbuch für Kinder: "Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel" von Michael Schmidt-Salomon. Darin werde das Bild vermittelt, dass sich alle, die an einen Gott glauben, auf dem Niveau eines Schweines befänden. Wie der gute Bischof zu diesem Schluss kam, ist mir rätselhaft, denn das steht nicht im "Ferkelbuch" und zwar auch nicht "zwischen der Zeilen" oder als "versteckte Botschaft". Ich habe den unguten Eindruck, dass der Bischof Ludwig es bei seiner Philippika gegen die Atheisten nicht immer mit dem 8. Gebot (nach katholischer Zählweise) so genau nimmt.
Der christliche Glaube habe Zeiten überdauert, so Ludwig, in denen ein aggressiver Atheismus wie Nationalsozialismus und Kommunismus herrschte. Nun, die Nazis waren aggressiv, aber, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, keine Atheisten. (Und die mit ganz wenigen löblichen Ausnahmen bestenfalls opportunistische, in schlechteren Fall eifrig mitmachende Haltung der katholischen Christen im Nationalsozialismus ist wahrlich kein Ruhmesblatt.) Nun gibt es bekanntlich neben der religiösen (oder antireligiösen) Rechtfertigung eines Herrschaftssystems noch eine Vielzahl weitere politische, ökonomische, kulturelle usw. usw. Faktoren, die ein Regime prägen. Zudem können fanatisierte Anhänger einer "materialistische" Pseudoreligion genau so verheerend wirken wie "echte" Glaubenskrieger und "Kreuzritter".
Atheismus sei aber auch heute noch präsent, meint de Bischof, teils werde er – wie im Falle des Buches "Gotteswahn" von Richard Dawkins - wissenschaftlich getarnt. Womit Ludwig den Bogen von Stalin, Mao oder Hitler zum pazifistisch gesonnenen Biologen Dawkins geschlagen hätte. Dawkings "tarnt" seinen Atheismus auch nicht als Wissenschaft, sondern trennt deutlich die Forschungsergebnisse der Evolutionsbiologie von den in der Tat atheistischen Konsequenzen, die er daraus zieht.

Wie viele Apologeten setzt sich Bischof Ludwig mit Behauptungen auseinander, die niemand aufgestellt hat - jedenfalls nicht die "neuen Atheisten":
Sogar Kindstötungen stellten nach dieser völlig amoralischen Sichtweise (dem Atheismus) kein Verbrechen dar, weil der Mensch keinen freien Willen habe und nur von seinen Genen gesteuert handle. Der Mensch dürfe niemals Mittel zum Zweck werden, meint der Bischof, Menschen dürfen niemals als bloßes Biomaterial missbraucht werden nach dem Motto: Das Recht ist immer auf der Seite des Stärkeren. So, als ob irgend eine prominenter neuer Atheist wirklich solche Ansichten vertreten würde. Und weiter: Die Einsicht, dass jeder einzelne Mensch eine unveräußerliche Menschenwürde besitze, rühre vom christlichen Menschenbild. Interessant, denn immerhin gründet sich der "neue Atheismus" auf das säkulare Vernunftdenken der Aufklärung, das sich wiederum auf die vom Gottesglauben freie ethische Traditionen der antiken Philosophie beruft. Sie entstanden lange, bevor Paulus das Christentum auch unter Rückgriff auf die Ethik der griechischen Stoiker schuf. Auch dürfte dem Geistlichen nicht unbekannt sein, dass die Vorstellung der Gleichheit aller Menschen vor Gott und der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz im Judentum schon spätestens seit dem Ende des "babylonischen Exils" im 6. Jahrhundert vor Christus tief verankert war.

Die Argumentation gegen den Atheismus läuft bei Ludwig wie den meisten "neuen Apologeten" darauf hinaus, dass ohne den Glauben an einen allmächtigen, allwissenden und strafenden Gott - der Mensch zu moralisch angemessenem Verhalten unfähig sei. (Siehe z. B. Die Lehre von der Hölle ist letzte Warnung auf dem konservativ-katholischen KATH.NET.) Die scheinbar gemäßigtere und intellektuell anspruchsvolleren Variante diese "Argumentes" ist, dass ohne transzendente Letztbegründung (die für die christliche Apologeten selbstverständlich mit der "göttlichen Offenbarung" identisch ist) kein moralischen Handeln möglich wäre.

Diese Sichtweise ignoriert wesentliche Traditionen der Geistesgeschichte, sondern denunziert zugleich auch alle Menschen, darunter auch durchaus religiöse und hochgradig spirituell gesonnene, deren Ethik und Moral nicht von "Gottesfurcht" bestimmt wird. Damit wird auch - mindestens - einem Drittel der Deutschen de facto moralisches Denken und Handeln abgesprochen.

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