Mittwoch, 19. Dezember 2007

"Religiöse Atheisten" - oder Umfageergebnisse nach Maß

Von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegebenen Studien rufen stets ein großes Medieninteresse hervor - warum auch immer. Außerdem sagt man diesen Studien nach, dass sie nach dem Prinzip vorgehen würden, dass schon bei Auftragsvergabe das Ergebnis fest stünde.

Beide Verdächtigungen treffen anscheinend auf den "Religionsmonitor" zu. Sein angeblich sensationelles Ergebnis: Jeder fünfte Bundesbürger ist ein hochreligiöser Mensch.
Man kann da anderer Ansicht sein, wie z. B. der Humanistische Pressedienst Deutschland: „70 % der Bundesbürger religiös"? Nein. Der hpd weist darauf hin, dass dieses "sensationelle Ergebnis" lediglich auf einem terminologische Trick beruhen würde: In der Studie werden für die Religiosität der Befragten drei Gruppen unterschieden: "Nicht religiös" - "religiös" - "hoch religiös".
Nennt man diese drei Gruppen weniger spektakulär "Nicht religiös" - "religiös indifferent/unentschieden" - "religiös", dann entspräche das dem Sprachgebrauch und den Ergebnissen, die in der empirischen Sozialforschung schon seit Jahren vorliegen.

Ein weiterer hpd-Beitrag nimmt sich der Studie auf satirischem Wege an. In der Märchenstunde bei Bertelsmann füllt eine überzeugte Atheistin den Fragebogen aus - mit dem Ergebnis, dass sie "religös" sei.

Man kann übrigens auch selbst an der Umfrage Teilnehmen: Religionsmonitor. Ich habe den Fragebogen ausgefüllt - mein ersten Eindruck: Petra Daheim vom hpd hat recht, die Erhebung unterbietet sogar das Niveau von Persönlichkeitstests der Marke „Wie treu sind Sie?" in Frau im Spiegel. Oder anders ausgedrückt: es ist nicht ganz leicht, die Fragen so zu beantworten, dass man am Ende "nicht religiös" ist.

Mein Testergebnis überrascht infolge dessen auch nicht sonderlich: Ich bin "hoch religios". beten Jedenfalls irgendwie. Insofern beruhigt es mich, dass der Test anonym ist. Jedenfalls irgendwie. Wenn man in einer Großstadt wohnt und die Monitor-Seite über "Tor"- aufruft, z. B..

Als Beispiel greife ich den ersten "Kernbereich" aus meinem Testergebnis heraus - der lässt außerdem wenig bis keine Rückschlüsse auf meine Persönlichkeit zu.
Religionstest
Die Erläuterung hierzu:
Der erste Themenbereich umfasst sieben Kerndimensionen des religiösen Erlebens und
Verhaltens. Sie kommen in allen Weltreligionen vor und können bei einem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Zusammen bilden sie die Grundstruktur der Religiosität eines Menschen.
"In allen Weltreligionen" - darunter versteht man bei Bertelsmann wohl "das Christentum". Jedenfalls sind die Frage meines Erachtens darauf zugeschnitten. Notfalls passen die meisten (nicht alle) noch zum Judentum und zum Islam. Außerdem wurde einige wage, "New-Age"-mäßige Antworten zur Wahl gestellt, die vermutlich auf Buddhisten zugeschnitten sein sollen.
Im Einzelnen können Sie sich zu den sieben Balken folgende Fragen stellen:
Interesse: Wie sehr interessiere ich mich für religiöse Themen und Fragen?
Ein Atheist, der sich intensiv mit Deschners "Kriminalgeschichte des Christentums" befasst, käme hier auf einen hohen Wert. ;-)
Glaube: Wie stark glaube ich an Gott oder etwas Göttliches?
Die Fragen zu diesem Komplex kann ich als Polytheist nur schwer beantworten.
Öffentliche Praxis: Wie oft bringe ich meine Religiosität in Gemeinschaft mit Anderen zum Ausdruck?
Hier liegt das Problem darin, dass nicht alle "Religionen" Alltag, "profane Feiern" und "Gottesdienst" so säuberlich trennen wie die meisten christlichen Kirchen. skaal
Gebet: Wie wichtig ist für mich das Gebet?
In gewisser Hinsicht führe ich durchaus "Zwiesprache" mit den Göttern (den Elementen, anderen Wesenheiten, aber auch Tieren, Planzen, Mineralien). Nicht in dem Sinne, dass ich mich mit ihnen laut unterhalten würde. ;-) Aber das unterscheidet sich doch sehr von einer verbalisierten Bitte an einen Gott, also ein Gebet im christlichen Sinne.
Du-Erfahrung: Wie oft mache ich Erfahrungen mit einem göttlichen "Gegenüber"?
Die Antwort ist klar - siehe Balken
Meditation: Wie wichtig ist für mich Meditation?
Dito.
All-Erfahrung: Wie oft mache ich die Erfahrung mit allem Eins zu sein?
Gut, dass sie den Begriff noch mal erläutert haben, hätte ja sein können, dass es um meine Erfahrung als Amateur-Astronom geht. rotfl

Praktisch auch die mitgelieferten Vergleichsbalken. Jedenfalls, wenn man sich sicher sein will, dass man "dazugehört" und ein "normaler, anständiger Durchschnitts-Deutscher" ist. Starke Abweichungen verstärken wahrscheinlich das Gefühl, "Außenseiter" zu sein, und das Bedürfnis, sich wenigstens äußerlich anzupassen. Was durchaus im Sinne des Auftraggebers liegen könnte.

Dass die Fragen teilweise arg "christozentrisch" sind, lässt sich z. B. hieran erkennen:
Religiöse Gebote im Alltag: Die zweite Perspektive richtet Ihren Blick auf die Frage, wie stark Sie sich in Ihrem Alltag an religiösen Geboten orientieren?
Ich für meinen Teil unterscheide nicht zwischen ethisch begründeten oder sich aus der Praxis des menschlichen Zusammenlebens ergebenden Geboten und solchen, die "religiös" begründet sind oder gar "offenbart" wurden. Von daher ist die Frage für mich nicht zu beantworten. Selbst wenn ich mich an die meisten der "10 Gebote" halte (bis auf das erste und zweite Gebot natürlich. ohne mich.)

Völlig absurd wird die Fragestellung, wenn z. B. danach gefragt ist, ob ich an "Engel" oder ob ich an "Dämomen" glauben würde (mit einer Selbsteinschätzung von "sehr" bis "gar nicht"). Ehrlicherweise müsste ich zugeben, dass ich von der Existenz von "Daimonen" überzeugt bin - im Sinne des Daimonion, das z. B. zu Sokrates sprach. Allerdings lässt die Gegenüberstellung mit "Engeln" (die in meinem Verständnis ebenfalls Daimonen sind) den Schluss, dass mit "Engeln" "Sendboten Gottes" und mit "Dämonen" "Sendboten des Teufels" gemeint sind. An so etwa glaube ich nicht.

Sinn und Zweck des "Religionsmonitors" ist es meiner Ansicht nach, den Christen im Lande (vor allen den politisch einflussreichen Exemplaren) das Bild eines im Großen und Ganzen religiös "ordentlichen" Deutschlands zu vermitteln. Also das zu erzählen, was sie gerne hören wollen. Was für die Bertelsmann-Stiftung nicht untypisch sein soll.

Dietrich Thor Steinars „Ring des Nibelungen“

Wagners monumentaler Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“ gehört – trotz oder gerade wegen seiner Sperrigkeit – zu den meistinszenierten Opernzyklen der deutschen Musikliteratur. Ein Grund, weshalb der „Ring“ sich allzu gefälligen Interpretationen versagt, und anderseits immer wieder Regisseure zu neuen Interpretationen des Zyklus reizt, liegt in Wagners Germanenbild, das stark von nationalromantischen und „deutsch-völkischem“ Gedankengut beeinflusst wurde. Obwohl Wagner trotzt seines Antisemitismus kein Rechtsextremist, etwa im Sinne der späteren NSDAP, war, schätzten Nazi-„Größen“, allen voran Hitler, Wagners Opern über alle Maßen. Erwähnt werden müssen auch der „Flirt“ vieler Nachkommen und Verwandten Wagners mit den Nazis, und die Vorliebe einiger „kultivierterer“ Neonazis, die Wagner (verständlicherweise) primitivem Rechts-Rock oder rechten Liedermachern vom Schlage eines Frank „Troubadix“ Rennicke vorziehen.

Darüber geriet eine andere musikalische Bearbeitung des alten Sagenstoffes völlig in Vergessenheit, die dem „deutsch-völkischen“ Germanenbild noch weitaus näher kommt als Wagners „Ring“ und die sich bei Rechtextremisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einiger Beliebtheit erfreute: Dietrich Thor Steinars „Ring des Nibelungen“, unter Opernkennern meist kurz "Thor Steinar Ring" genannt.

Dietrich Steinar, der sich wegen seiner Vorliebe für alles „nordisch-germanische“ auch in der Öffentlichkeit gerne „Thor“ nannte, wurde am 1. 4. 1888 als 3. von 8. Kindern des Preussischen Unteroffiziers und späteren Zollbeamten Jürgen Steinar und der Klavierlehrerin Trude Steinar (geb. Ackermann) im damals zur Preussischen Provinz Schleswig-Holstein gehörenden Dorf Sande geboren. Nach absolvierter Volksschule und anschließender Lehre im Einzelhandel komponierte Dietrich, dessen musikalisches Talent schon von seiner Mutter gefördert worden war, erste Lieder, die sich bei ländlichen Festen großer Beliebtheit erfreuten. Bei einem Besuch in Hamburg kam er 1910 zum ersten Mal in Kontakt mit der Musik seines großen Vorbildes, Richard Wagner: er wohnte einer Aufführung des „Fliegenden Holländers“ an der hamburgischen Staatsoper bei. Zu dieser Zeit entdeckte der junge Komponist die Schriften der Ariosophen Jörg Lanz „von Liebenfels“ und Guido „von“ List. Begeistert von den Rasse-, Elite- und Germanenphantasien der Ariosophen schloss er sich noch im selben Jahr einer kleinen völkisch-germanischen Sekte an, der „Groß-Germanischen Goden Gesellschaft“ (G.G.G.G.), die ihren Hauptsitz in Berlin hatte. 1912 regte das Sektenoberhaupt der G.G.G.G., Georg von Nehmwanich , Thor Steinar zu seinem Opernzyklus an. Von Nehmwanich glaubte durch intensive Textüberinterpretationen den einzig wahren und wissenschaftlich zweifelslosen Glauben „unserer slavischen Urväter“ gefunden zu haben (er meinte herausgefunden zu haben, dass Slawen, Germanen, Kelten, Finnen und Samojeden „im Grunde das selbe Volk“ seien). Er ergänzte die ältere isländische Edda durch Fragmente der neueren Edda, des Beowulfs, des Nibelungenliedes, der Odyssee, der Fabeln Äsops, des Alten Testaments, des tibetischen Totenbuches, des „Liber al“ Crowleys, der „Deutschen Mythologie“ Jakob Grimms, der Märchen der Gebrüder Grimm, der Märchen aus 1001er Nacht, des Gilgamesch-Epos, H. G. Wells „Zeitmaschine“, Petras Klöppers Kinderbuch „Der wilde Wikinger“ und zahlreicher anderer „unzweifelhaften Primärquellen“ zur „Traditionell Germanischen Edda“, auch „Heidenbibel“ genannt.
Da ihn störte, dass das, was Wagner in seinen Opern über die alten Germanen und ihre Götter dichtete nicht mit der historischen Wahrheit (sprich: seiner „Traditionell Germanischen Edda“) übereinstimmte, bat er seinen Freund Thor Steinar, den „Wahren Ring des Nibelungen“ zu schreiben.
Steinar stürzte sich in die Arbeit. Schon 1913 wurden die beiden ersten Opern des Zyklus, „Das Rheingold“ und „Die Wahlkürre“ (die ungewöhnliche Schreibweise geht auf Von Nehmwanich zurück) im Musikpavillion der Kurpromenade des vorpommerschen Ostseebades Steinwerder uraufgeführt. 1914 folgten „Der Wer-Wolf“, „Siegmunds Sieg“, „Hagens Holmgang“ und „Kriemhilds Krache“ (nicht, wie fälschlich oft geschrieben wird: „Rache“). Die abschließende Oper des Zyklus, „Das göttliche Gelage“ (wie von Nehmwanich „Ragnarök“ übersetzte) bliebt wegen des frühen Todes Steinars ein Fragment.

Seine Opern halten rein kompositorisch dem Vergleich mit Wagner in keiner Weise stand. Immerhin zeichnen sich seine Arien durch eine gewisse Originalität und unfreiwillig groteske Texte aus, und stellen selbst für ungeübte Sänger keine stimmliche Herausforderung dar. (Ein zeitgenössischer Kritiker meinte: “Ein Glück, dass das Orchester so laut krawallt, dass man die Sänger nicht hören muss.“)
Kompositorisch bediente sich Steinar einer Technik, die als „Klepto-Kreativität“ bekannt wurde. Er nahm Fragmente aus erfolgreichen Opern, aber auch Operetten, Musicals und Schlagern, montierte sie neu und modifizierte die so entstandenen Stücke so, dass die Urheberrechtsverletzung nicht sofort auffiel.
Die Texte bedienen sich ausgiebig des Stabreims; wenn etwas sich nicht auf Anhieb stabte, schreckte Steinar auch nicht vor orthographischen Anpassungen wie „Kriemhilds Krache“, „durch diese dohle Dasse duss der dommen“, oder „Heiliger Hohsack“ nicht zurück.
Inhaltlich war Thor Steinar völlig den völkischen und ariosophischen Idealen verpflichtet. Da nach ariosophischer Auffassung die zahlreichen Götter, wie sie aus der germanischen Volksreligion bekannt sind, für die ariogermanische Führerschicht, die Armanen, in Wirklichkeit ein Gott sind, werden alle Götterrollen von einem einzigen Sänger übernommen. Das setzt die Fähigkeit zum schnellen Kostümwechsel voraus, in den meisten Inszenierungen wechseln die Sänger nur das Attibut (Wotans Speer, Donars Hammer, Freijas goldenes Halsband, Lokes brennendes Feuerzeug ). Helden erkennt man bei Steinar äußerlich daran, dass sie hellhäutig sind, blaue Augen haben und hohe Schnürstiefel tragen. Blond müssen sie, wegen des extremen Kurzhaarschnittes, nicht unbedingt sein. Die Bösen sind stets Juden, Freimauer, christliche Geistliche, Kommunisten, Ausländer oder Sektenbeauftragte – meistens alles zusammen.

Nach Ausbruch des 1. Weltkrieges meldete sich Dietrich Steinar freiwillig zum Kriegsdienst. Nach der Grundausbildung wurde er zum 88. westfälischen Infanteriebattaillon an die nordfranzösische Front versetzt. Er fiel schon beim ersten Einsatz. Sein „Spieß“, Hauptfeldwebel Alfred E. Neumann, erinnerte sich in seinen „Kriegstagebüchern“: „Steinar robbte sich bis auf 30 Meter an den französischen Schützengraben `ran. Dann stand der Idiot doch tatsächlich auf und stürmte mit „Hurrah!“ auf die Franzosen vor. Keine zwei Sekunden später war der Kerl ein Kugelsieb.“
Die Gebeine Steinars konnten später aufgrund der zahlreichen Einschussspuren eindeutig identifiziert werden.
Dietrich Thor Steinar und seine Opern erfreuten sich in den 20er Jahren bei jungen Nazis einiger Beliebtheit. 1935 verbot Hitler die Steinar-Verehrung „weil der Spinner deutschen Soldaten das denkbar schlechteste Vorbild gab.“
Im Soldatenjargon des 2. Weltkriegs nannte man Kleidungsstücke mit Einschusslöchern „Thor-Steinar-Mode“.

Heutzutage wird der "Thor Steinar Ring" kaum noch aufgeführt.

Dieser Artikel ist ein Beitrag zur Literarisierung von Suchergebnissen, vor allem denen, die bisher mit unangenehmen Dingen, wie dem Nazi nahen Modelabel Thor Steinar verbunden sind. Es ist Teil der Aktion: “Thor Steinar’s Ring, ein Blog born hoax”.

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